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Technoparty in Berlin: Der Karneval hat einen Ort

Nach Absage eines anderen Veranstaltungsortes wird der Karneval de Purim nun im Club Renate gefeiert

  • Interview: David Vilentchik
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Karneval de Purim wurde bisher im Club Ritter Butzke gefeiert.
Der Karneval de Purim wurde bisher im Club Ritter Butzke gefeiert.

Herr S., im Berliner Club Zenner wollten Sie die Party »Karneval de Purim« ausrichten. Ein Mitarbeiter lehnte die Anfrage mit Verweis auf den Nahost-Konflikt ab. Wie ist es Ihnen seither ergangen?

Inzwischen geht es mir wieder besser. Die Wut ist verflogen. Ich habe überwältigende Unterstützung erhalten. Trotzdem fühlt es sich beängstigend an, eine Veranstaltung in dieser Größenordnung und mit so viel finanziellem Aufwand zu organisieren, wenn im Hintergrund in den sozialen Medien Hass, Lügen und antisemitische Propaganda verbreitet werden.

Wochenlang war unklar, ob Karneval de Purim wegen des gesellschaftlichen Klimas stattfinden kann. Auf Instagram hieß es, dass die Party nun im Club Renate stattfinden wird. Wieso haben Sie sich für die Veranstaltung entschieden?

Interview

Roy S. organisiert seit Jahren die Techno-Party »Karneval de Purim«. Dieses Jahr hätte er lieber auf das Event verzichtet – da viele Leute darum gebeten haben, findet es nun doch statt. An Purim feiern die Juden traditionell ausgesprochen ausgelassen, in biblischen Zeiten der Vernichtung in der persischen Diaspora entkommen zu sein. Der Karneval de Purim findet in diesem Jahr am Samstag, dem 23. März, ab 23 Uhr im Club Renate (Alt-Stralau 70 in Friedrichshain) statt.

Die Entscheidung, die Party zu veranstalten, fiel uns nicht leicht. Ich persönlich hätte gerne auf das diesjährige Event verzichtet. Aber uns haben so viele Leute geschrieben und gebeten, nicht aufzugeben und dem Hass klein beizugeben. Der jüdische Philosoph A. D. Gordon sagte einmal: »Anstatt die Dunkelheit zu bekämpfen, müssen wir das Licht vermehren« – und das ist es, was uns zur Entscheidung gebracht hat, die Veranstaltung durchzuführen. Wir fühlen uns verpflichtet, weiterhin Licht, Musik und Freude zu verbreiten, anstatt uns einen Fuchsbau zu graben und dem Hass und der Polarisierung zu erliegen. Dabei hoffen wir auf breite Unterstützung und darauf, dass wir auch dieses Jahr wieder eine schöne, bunte und friedliche Veranstaltung haben werden.

Ihre Veranstaltung hat seit Jahren gute Resonanzen. Wie ist »Karneval de Purim« entstanden und wofür steht das Event?

Jüdische Feiertage haben normalerweise ein gemeinsames Motiv: »Sie haben versucht, uns zu töten, wir haben überlebt, lasst uns essen!« An Purim jedoch geht es nicht ums Essen, sondern darum, sich zu besaufen, sich albern zu verhalten, fröhlich zu sein und Kostüme zu tragen. Für mich ist es der lustigste Aspekt der jüdischen Tradition, weil er auch Leichtigkeit ausdrückt. Wir hatten die Party zunächst als Studentenparty organisiert. Als ich dann merkte, dass die jüdische Kultur und Folklore beim Karneval der Kulturen nicht wirklich vertreten gewesen waren, entschied ich, die Party »Karneval de Purim« zu nennen. Bei der Ausgestaltung sollte sie meine eigene Sozialisation in Berlin widerspiegeln: Eine ordentliche Techno-Clubnacht, auch mit mittelöstlicher und hebräischer Musik, die für alle offen ist, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Glauben. Zudem ein Fest der Freiheit, des Pluralismus und der Verjüngung der jüdischen Kultur hier in Berlin.

In einem Statement entschuldigt sich Zenner für den Vorfall. Es wolle bei Antisemitismus für mehr Sensibilität sorgen. Ein Weg, Judenhass in der Clubszene abzubauen oder muss mehr passieren?

Das Zenner hat sich verpflichtet, einen Bildungsprozess und eine Sensibilisierung in seinen Reihen zu durchlaufen. Wenn das wirklich passiert, ist das ein Teil des Weges. Tatsache ist jedoch, dass fast die gesamte Clubszene nach dem Massaker vom 7. Oktober geschwiegen hat, und ich sehe immer noch keine Koalition von Clubbesitzern, die sich für eine wirkliche Veränderung der Szene einsetzt. Die Leute haben schlicht Angst, ihre Meinung zu sagen.

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Nach dem 7. Oktober gab es wenig Reaktionen in der Clubszene. Warum fällt es einer sich als links und progressiv begreifenden Szene schwer, Solidarität mit den Ermordeten und Verletzten zu üben?

Viele der Äußerungen, die ich immer noch sehe, sind so tief im Antisemitismus verwurzelt, dass selbst die Leute, die sie machen, überrascht wären, als solche dargestellt zu werden. Es ist eine hässliche Sache, als Einrichtung oder als Mensch, der mit Musik zu tun hat, zu schweigen, wenn Hunderte von Musikfestivalgästen ermordet, vergewaltigt und entführt werden. Aber es ist eine ganz andere hässliche Sache, sich Wochen später gegen die israelische Gegenwehr auszusprechen, ohne ein Wort über die Rolle der Hamas zu verlieren. Die Reaktion auf das Massaker lässt sich grundsätzlich in drei Kategorien einteilen: Erstens, eine unverhohlene Freude und eine Darstellung des Massakers als legitimer Widerstand, wie im Fall der stellvertretenden Vorsitzenden der Clubcommission, die für »sichere Räume« in Berliner Clubs zuständig sein soll. Zweitens: trockene Berichterstattung über das Massaker mit einer unmittelbaren Kontextualisierung am Ende, die das Massaker als Teil eines andauernden einseitigen Konflikts darstellt, in dem das Opfer schließlich Vergeltung üben könnte, wie im Fall von führenden Magazinen wie Resident Advisor. Drittens, zuerst Schweigen und Wochen später Statements zur Unterstützung des palästinensischen Volkes, die sich auf wundersame Weise mit dem »Day of Rage« der Hamas decken, wie im Fall des Atonal Festivals.

Was wünschen Sie sich persönlich und für die Clubszene in Bezug auf Israel, den wachsenden Antisemitismus und der Polarisierung?

Die Clubs in Berlin waren schon immer der Ort, an dem Identität keine Rolle spielt. Wenn du einen Berliner Club betrittst, triffst du auf alle möglichen Leute mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Auf der Tanzfläche waren alle gleich und du konntest frei sein von der Identität, die dir bei deiner Geburt aufgezwungen wurde. Die Clubs müssen begreifen, dass all das jetzt bedroht ist. Wenn sie nicht zusammenstehen und den Leuten und Organisationen Einhalt gebieten, die Clubs und die Bühne, die sie bekommen, für polarisierend politische Stunts nutzen, wird es bald keine Clubszene mehr geben und Berlin wie eine blasse Version irgendeiner anderen langweiligen europäischen Metropole aussehen.

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