Fußball: Hongkong macht beim Asien-Cup Lärm – auch gegen China

Die Fußballer Hongkongs spielen nach 56 Jahren wieder bei der kontinentalen Meisterschaft

  • Felix Lill, Hongkong
  • Lesedauer: 4 Min.
Everton Camargo (r.) hofft mit Hongkong nach dem 0:1 gegen Iran um Torwart Alireza Beiranvand noch auf ein Weiterkommen.
Everton Camargo (r.) hofft mit Hongkong nach dem 0:1 gegen Iran um Torwart Alireza Beiranvand noch auf ein Weiterkommen.

Timmy ist dieser Tage ziemlich gut drauf. »Hongkong vergießt Öl!«, schwärmt die Sozialarbeiterin. Soll heißen: Ihre Heimat sorgt für Furore. Und zwar die Fußballer beim Asien-Cup, den die 42-Jährige am heimischen Fernsehbildschirm verfolgt: »Dass wir diesmal dabei sind, ist ja schon ein großer Erfolg. Aber dass sich die Mannschaft gut schlägt, ist sensationell!« Dem 1:3 im Auftaktspiel der Gruppe C gegen die Vereinigten Arabischen Emirate folgte eine knappe 0:1-Niederlage gegen Iran. Mit einem Sieg an diesem Dienstag gegen Palästinas Fußballer wäre ein Weiterkommen noch möglich. Und falls das nicht gelingen sollte? »Lärm machen wir sowieso«, sagt Timmy.

Am Tag nach der Auftaktniederlage beim seit 12. Januar in Katar laufenden Asien-Cup schrieb die »South China Morning Post«: »Es war ein Moment, auf den man 56 Jahre warten musste, aber egal, wie es ausgehen würde, es war ein Moment des Stolzes.« Hongkong war es zuvor mehr als ein halbes Jahrhundert lang nicht gelungen, sich für die Endrunde des Asien-Cups zu qualifizieren. Nun sind sie als krasser Außenseiter dabei: In der Weltrangliste steht Hongkong auf Platz 150, kein anderes teilnehmendes Land rangiert niedriger.

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Die Fußballer lassen Hongkong seit Wochen auf Wolke sieben schweben. Nach der überraschenden Qualifikation für den Asien-Cup gewann das Team aus der einst politisch autonomen 7,5-Millionenmetropole auch noch gegen ihren eher ungeliebten, sehr großen Bruder: China. Ein 2:1-Sieg am Neujahrstag markierte den ersten Triumph gegenüber dem Festland seit drei Jahrzehnten. Und es ist einer, der vielleicht noch wichtiger ist als der Asien-Cup.

»Gegen China muss ich die Mannschaft nicht motivieren«, sagte nach dem Testspiel Jörn Andersen, der in den 90er Jahren als Bundesligaprofi unter anderem in Nürnberg und Hamburg gespielt hat und seit 2021 Hongkongs Team trainiert. Denn kein Messen könnte wichtiger sein als das mit China. Der Hintergrund ist ein politischer: Inwieweit Hongkongs Auswahl heute überhaupt noch eine Legitimation hat, ist nämlich zusehends umstritten. Schließlich ist es mittlerweile schon verboten, auch nur zu behaupten, Hongkong sei eine Nation. Wozu dann eine Nationalmannschaft?

Einen nationalen Fußballverband gibt es seit 1914, als Hongkong noch britische Kolonie war. Im Jahr 1997 aber ging das Gebiet wieder in chinesischen Besitz. Der chinesisch-britische Vertrag, der die Rückgabe regelte, versprach Hongkong damals für zumindest 50 Jahre weitgehende Autonomie. Die Menschen sollten weiterhin Presse- und Versammlungsfreiheit genießen und ihre eigene Regierung wählen können. Doch schon bald begann Chinas Regierung in Peking, das mit der Übergabe festgelegte Prinzip »Ein Land, zwei Systeme« auf eigenwillige Weise zu interpretieren.

Wiederholt versuchte die auf dem Festland regierende Kommunistische Partei das autonome Hongkong unter ihre Kontrolle zu bringen. Immer wieder regte sich dagegen lauter Widerstand. Ab Mitte des vergangenen Jahrzehnts protestierten Hunderttausende, teils Millionen Menschen auf den Straßen Hongkongs. Und als China schließlich 2020 das Nationale Sicherheitsgesetz erließ, womit auch in Hongkong Kritik am Pekinger Einparteiensystem verboten und mit langen Haftstrafen belegt ist, kam es wochenlang zu Ausschreitungen. Peking ließ sie niederschlagen, die Anführer wurden verhaftet.

Was das mit Sport zu tun hat? Viel, meint Timmy: »Zu gewinnen, macht glücklich. Und glücklich sein ist auch mal wichtig!«, sagt sie zum Sensationssieg gegen China: »Wir lieben Hongkong!« Ihren Nachnamen will sie lieber nicht in den Medien lesen. Denn schon diese banale Liebeserklärung an ihre Heimat sei politisch aufgeladen, zeige sie doch, dass es in Hongkong weiterhin Patriotismus und Nationalismus gibt. »Früher haben Sportfans während der chinesischen Hymne gebuht«, sagt ein Journalist aus Hongkong, der seinen Namen ebenfalls anonym hält: »Heute kommt man dafür hinter Gitter.«

Seit Verabschiedung des Sicherheitsgesetzes schwebt der Hongkonger Sport in einem sonderbaren Zustand der Unklarheit. Der Fußballverband, ebenso wie das Nationale Olympische Komitee, tragen den Namenszusatz China, treten bei Wettkämpfen aber weiterhin formal unabhängig an. Doch wie unabhängig sind sie noch?

Als der Hongkonger Fechter Edgar Cheung 2021 in Tokio Olympiagold holte und danach die chinesische Hymne gespielt wurde, hallte bei einem Public-Viewing-Event in einer Hongkonger Mall der populäre Schlachtruf: »We are Hong Kong!« Kurz darauf wurde ein Mann, der offenbar beim Buhen erwischt worden war, verhaftet. Wiederholt ist seither bei Sportveranstaltungen – offiziell aus Versehen – statt der chinesischen Hymne das Protestlied »Glory to Hong Kong« gespielt worden.

Sollte Ähnliches während des Asien-Cups passieren, wäre Streit garantiert. Noch brisanter aber wäre wohl eine erneute Begegnung zwischen China und Hongkong, diesmal im Turniermodus. Das Testspiel Anfang Januar fand hinter verschlossenen Türen statt, wohl um Ausschreitungen vorzubeugen. In Katar aber gäbe es internationales Publikum. Und auf den Straßen Hongkongs womöglich patriotische Schlachtrufe – falls sich noch jemand traut.

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