Offene Fragen vor erster Stickstoff-Hinrichtung

In Alabama soll ein zum Tode verurteilter Mann mit Stickstoff hingerichtet werden. Bislang wurde diese Methode nirgendwo getestet.

  • Luzia Geier, dpa
  • Lesedauer: 5 Min.

Tausend US-Dollar: Dafür hat sich der damals 22-jährige Kenneth Eugene Smith im März 1988 auf einen Auftragsmord eingelassen. Wenig später war die Frau des Auftraggebers tot, ermordet in ihrem Haus an einer Landstraße im entlegenen Norden Alabamas. Smith und zwei Mittäter wurden gefasst – einer bekam eine lebenslange Haftstrafe, der andere starb 2010 durch die Giftspritze.

Auch Smith wurde zum Tode verurteilt. Alabama gehört zu den US-Bundesstaaten, in denen Mördern bis heute die Hinrichtung droht.

Doch nie zuvor wurde ein Mensch dort oder im Rest der USA – vermutlich sogar weltweit – mittels sogenannter Stickstoffhypoxie hingerichtet. Bei der ungetesteten Prozedur bekommt eine Person über eine Gesichtsmaske Stickstoff zugeführt. Die Folge ist der Tod durch Sauerstoffmangel. Innerhalb einer 30-stündigen Zeitspanne von Donnerstag auf Freitag soll der heute 58-jährige Smith so sterben. 2022 war seine Exekution mit der Giftspritze gescheitert.

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Viele ungeklärte Fragen

Menschenrechtsexperten warnen, es könne sich um Folter handeln. Dafür, dass die Inhalation von reinem Stickstoff keine schwerwiegenden Leiden verursacht, fehlen nach UN-Angaben wissenschaftliche Beweise. »Hier wird an einem Menschen ein Experiment durchgeführt«, mahnt Amnesty International in einer Mitteilung.

Smith habe die ihm erlaubten 15 Minuten für einen Telefonanruf beim »Guardian« genutzt, berichtete die britische Zeitung am Sonntag. Er sei von Albträumen geplagt, die davon handelten, in die Hinrichtungskammer zurückkehren zu müssen. »Dafür bin ich nicht bereit«, sagte er demnach. »Auf keinen Fall. Ich bin einfach nicht bereit.« Aus Gerichtsdokumenten geht hervor, dass Smith nach dem ersten Hinrichtungsversuch eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert wurde. Dem Gefängnispersonal gelang es damals nicht, die Kanüle in seinen Arm zu legen. Nach mehreren Stunden, in denen er angeschnallt auf einem Exekutionstisch lag, kam er wieder in seine Zelle.

»Ich weiß nicht, wie wir das, was ihm widerfahren ist, von einer Scheinhinrichtung unterscheiden können«, sagt auch Robin Maher, Juristin und Geschäftsführerin des Death Penalty Information Center. Die Organisation führt eine umfassende Datenbank zur Todesstrafe in den USA und nimmt explizit keinen politischen Standpunkt ein. Viele Stellen im Hinrichtungsprotokoll seien geschwärzt, sagt Maher. »Was passiert, wenn das Gas aus der Maske austritt, weil sie nicht eng genug anliegt?«, listet sie einige der ungeklärten Fragen auf. »Wo kommt das Gas her? Was passiert in einem Notfall?« Nicht nur in Alabama würden konkrete Details wie diese eher spärlich kommuniziert. »Das ist in einer Demokratie problematisch.«

Die Todesstrafe gibt es in den USA heute noch beim Militär, auf Bundesebene sowie in 27 Bundesstaaten, wobei sie etwa in Kalifornien de facto nicht mehr vollstreckt wird. Die zugelassenen Methoden variieren. Hypoxie ist auch in Oklahoma und Mississippi erlaubt. Unter anderem in Arizona gibt es eine Gaskammer. Idaho führte erst 2023 wieder Erschießungskommandos ein. Diese Methoden kommen aber nur sehr selten zum Einsatz. Eher werden Menschen auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet, vorwiegend in South Carolina. Die mit Abstand am häufigsten angewandte Methode in anderen Bundesstaaten – allen voran Texas – ist die Exekution mit der Giftspritze. Seit 1976 wurden von insgesamt 1582 Hinrichtungen 1402 auf diese Weise vollstreckt.

Kein medizinisches Fachpersonal

Zwar blockieren viele Pharmaunternehmen den Einsatz ihrer Medikamente oder des für die Injektion benötigten Equipments. Über die Frage, inwieweit die US-Arzneimittelbehörde involviert sein sollte, tobt außerdem seit Jahren ein juristischer Streit. Bundesstaaten können Engpässe und Zulassungsfragen aber umgehen, indem sie die Giftcocktails über sogenannte Compounding Pharmacies (Deutsch: Rezepturapotheken) beziehen. Diese werden nicht auf Bundesebene reguliert – und machten in der Vergangenheit etwa wegen fehlender Hygiene Schlagzeilen. Weil außerdem die US-Standesvertretung von Ärzten und Pflegepersonal AMA ihren rund 270 000 Mitgliedern das Mitwirken an Hinrichtungen untersagt, werden sie mitunter nicht von ausreichend geschultem Fachpersonal durchgeführt.

Was das für Todeskandidaten bedeutet, zeigen schauerliche Augenzeugen- und Autopsieberichte. Immer wieder scheitern Exekutionen oder ziehen sich über Stunden hin. Smiths Fall war 2022 einer von drei in Alabama.

Seine Anwälte versuchten bislang vergeblich, den zweiten Hinrichtungstermin zu stoppen. Neben einer laufenden Berufungsklage vor einem Bezirksgericht argumentieren sie zeitgleich vor dem Obersten US-Gerichtshof mit dem achten Verfassungszusatz. Dieser verbietet »grausame und ungewöhnliche Strafen«. Schon die gescheiterte Hinrichtung falle darunter, schreiben die Anwälte. Ob sich der Supreme Court ihrem Gesuch annimmt, ist völlig unklar. Aufhalten könnte die Exekution noch per Erlass die republikanische Gouverneurin von Alabama, Kay Ivey. Das halten Beobachter aber für unwahrscheinlich.

Öffentliche Meinung ändert sich

Eine knappe Mehrheit in den USA unterstützt weiterhin die Todesstrafe für Mörder – der Sohn der Frau, an deren Mord Smith beteiligt war, gehört dazu. »Wenn man ein Verbrechen begeht, weiß man, dass man dafür bezahlen muss«, sagte er 2022 dem Sender WAAY. »Meine Schwägerin ist Krankenschwester. Wir bringen sie das nächste Mal mit. Sie wird sie (die Vene) schon finden.«

Meinungen wie diese finden sich aber immer weniger. Während es keine belastbaren Zahlen für Justizirrtümer gibt, wächst in der US-Öffentlichkeit das Bewusstsein dafür. Fortschritte in der Forensik – etwa die DNA-Analyse -, aber auch Enthüllungen über zurückgehaltene Beweise und Falschaussagen führen zu Zweifeln, ob manche der bereits hingerichteten Menschen tatsächlich schuldig waren.

Diskriminierung im US-Strafjustizsystem ist ein weiterer Aspekt. Bei einer Verurteilung spielt längst nicht die Tat allein eine Rolle, sondern auch die Qualität des Rechtsbeistands. »Die Menschen, die in diesem Land zum Tode verurteilt werden, sind die Ärmsten der Armen«, betont Maher vom DPIC. »Sie können sich keine guten Anwälte leisten.« Etliche Studien zeigen zudem, dass Mörder von weißen Menschen eher zum Tode verurteilt werden als jene, die schwarze Menschen umgebracht haben. Gleichzeitig bekommen schwarze Verurteilte bei gleichen Verbrechen tendenziell schwerere Strafen als weiße.

2023 wurden in den USA 24 Todesurteile vollstreckt und 21 gefällt. Noch vor zehn Jahren waren es deutlich mehr. 2331 Menschen warten landesweit auf ihre Hinrichtung, wie Kenneth Eugene Smith oft schon seit Dekaden. Bei seiner Verurteilung 1996 empfahl die Jury eigentlich eine lebenslange Haftstrafe, doch der Richter setzte sich darüber hinweg. Heute wäre das so nicht mehr möglich: Das Gesetz des sogenannten Judicial Override schaffte Alabama 2017 als letzter US-Bundesstaat ab.

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