Hertha BSC: Kein Betriebsrat für Blau-weiß

Unternehmensführung von Hertha BSC setzt zweifelhaften »Belegschaftssausschuss« gegen gewerkschaftsaktive Mitarbeiter durch

Im Frühsommer 2023 wird klar: Der Hauptstadtklub muss runter, Hertha BSC Berlin steigt in die zweite Bundesliga ab. In Anbetracht anzunehmender Mindereinnahmen von 40 bis 50 Prozent kündigt Hertha an, Entlassungen vornehmen zu müssen. Von mindestens 13 Spieler und 50 bis 60 der etwa 300 Mitarbeiter*innen der Geschäftstelle ist im Juli die Rede.

Die Angst vor dem Jobverlust treibt einige Beschäftigte dazu, die Wahl eines Betriebsrates zu erwägen. Sie holen sich Rat bei der Gewerkschaft Verdi. Doch das Vorhaben scheitert. Zum Jahreswechsel 2023/2024 wird über eine Anwaltskanzlei bekannt: Anstelle eines Betriebsrates soll ein sogenannter Belegschaftsausschuss gewählt werden.

Fußballklubs im Herrenprofibereich werden wie privatwirtschaftliche Unternehmen geführt. Zwar investieren die Eigentümer Geld nicht immer aus direkter Renditerwartung – häufig geht es um Prestige, um Werbung für eigene wie fremde Firmen. Gerät ein Klub in ökonomische Schieflage, stellen vor allem die höherrangigen, gutbezahlten Mitarbeiter*innen das größte Einsparpotenzial dar. In der Fläche ist aber in der Regel die niedere Ebene am stärksten betroffen. »Der Gros der Vereine ist schon so, dass du maximalen sportlichen Erfolg am Rande der wirtschaftlichen Insolvenz produzierst und das sozusagen das Geschäftsprinzip ist«, hatte noch im Dezember der kürzlich unerwartet verstorbene Vereinspräsident Kay Bernstein gesagt. Dass die Arbeitsplätze einer beständigen Bedrohung ausgesetzt sind, gehört offenbar zur Normalität. Dass aber bereits im April, als Hertha noch auf den Klassenerhalt hoffen konnte, der Geschäftsführer vom »Sanierungsfall« spricht, deutet auf Schwierigkeiten hin, die über die sportliche Bilanz auf dem Rasen hinausgehen.

Erster Kontakt zur Gewerkschaft

Bereits im Mai 2023, eine Woche bevor am 20. Mai durch ein 1:1 gegen den VFL Bochum der Abstieg gewiss wird, berichtet die »BZ« von Gesprächen zwischen Mitarbeiter*innen der Geschäftsstelle und Verdi. Es geht um die Einrichtung eines Betriebsrats. »In diesen Gesprächen wurde deutlich, dass bei einigen ein Klima der Angst festzustellen war, dass sie sich nicht vorstellen konnten, offen zu kandidieren für den Wahlvorstand«, sagt Gewerkschaftssekretär Hikmat El-Hammouri dem »Deutschlandfunk«.

Und im Gespräch mit »nd« erinnert sich sein Kollege Andreas Köhn: »Es wurde ziemlich schnell klar, dass die Geschäftsführung keinen Betriebsrat wollte. Es wurde unter anderem argumentiert, dass ein Betriebsrat zu teuer und nicht mehr zeitgemäß sei, man dafür einen unternehmensinternen Personalausschuss schaffen würde.« Hertha-Geschäftsführer Thomas Herrich sagt damals zur Betriebsratsinitiative aus der Belegschaft: »Das ist ein verfassungsrechtliches Grundrecht, dass sich die Mitarbeitenden im Rahmen ihrer Vereinigungsfreiheit auch mit der Bildung von so einem Betriebsrat befassen und auch Optionen prüfen.«

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Zu der Zeit ist der von Gewerkschaftssekretär Köhn erwähnte »Personalausschuss« schon länger Thema in der Hertha-Geschäftsführung. »Bereits zu Jahresbeginn 2023 hatte Hertha BSC ein umfassendes Konzept zur Neugestaltung der Mitarbeiterinformations- und -beteiligungsformate vorbereitet«, erklärt Sprecherin Vera Krings dem »nd«. Unter anderem sei dort auch »das Angebot eines Belegschaftsausschusses vorgesehen« gewesen.

Folgenschwere Betriebsversammlung

Zwei Monate später im Juli: Verdi hat zur Betriebsversammlung in seine Räumlichkeiten an der Spree geladen. 85 Mitarbeiter*innen erscheinen. Zur Vorbereitung der eigentlichen Wahl zum Betriebsrat gilt es, einen dreiköpfigen Wahlvorstand zu wählen. Die Sitzung dauert mehr als vier Stunden. Ergebnis: Nur zwei der drei Plätze können mit Kandidat*innen besetzt werden, zwei Kandidat*innen für den dritten Platz bekommen nicht die nötige Mehrheit. Ergo: Der Wahlvorstand kann nicht gebildet werden. Die Tageszeitung »Junge Welt« berichtet zudem, dass kein von Verdi vorgeschlagener Kandidat gewählt worden sei, sondern eher geschäftsführungsnahe Personen.

In der Betriebsversammlung sei ein durchaus kontroverses Meinungsbild innerhalb der Belegschaft zur Gründung eines Betriebsrates zutage getreten – so stellt Hertha den Hergang gegenüber »nd« dar. »Einige fühlten sich nicht hinreichend informiert und aufgeklärt, anderen ging es zu schnell, wiederum andere sahen keine Notwendigkeit für ein solches Gremium und einige hingegen wollten den Betriebsrat sofort.« Der »Deutschlandfunk« berichtet, dass vor allem »leitende Angestellte Stimmung gegen einen Betriebsrat« gemacht hätten: »Das Gremium koste den Verein mehrere hunderttausend Euro, was zu weiteren Entlassungen führen werde.«

Nach der Wahl beginnt der Kampf um die Deutung der Ereignisse. Verdi-Mann El-Hammouri spricht seinerzeit von einem deutlichen Zeichen, dass die Beschäftigten einen Betriebsrat wollen. Durchaus berechtigt ist aber auch die Lesart, es sei dem Anti-Betriebsrats-Spektrum gelungen, die Wahl mindestens zu verzögern. So oder so: eine erfolgreiche Wahl sieht anders aus. Aus diesem Grund ruft denn auch Verdi das Arbeitsgericht an, was in solch einem Fall den Wahlvorstand bestimmen kann. Verdi-Sekretär Köhn erzählt, dass sich beim anschließenden Gütetermin keine Einigung erzielen ließ und eine Gerichtsentscheidung erst für Ende Februar 2024 angestanden hätte. »Wir zogen dann letztendlich die Klage zurück, da von Beschäftigtenseite niemand mehr für den dritten Wahlvorstand zur Verfügung stand.« Die Chance auf einen Betriebsrat war mit dieser Entscheidung endgültig vergeben.

Zahnloser »Belegschaftsausschus«

Am 1. Januar 2024 wird dann über die Hamburger Anwaltskanzlei Heuking bekannt, dass Hertha BSC einen Belegschaftsausschuss bilden werde. Geheime Wahlen sollen bereits Anfang 2024 abgehalten werden. In einer Pressemitteilung heißt es von Rechtsanwalt Johan-Michael Menke, der Ausschuss sei »schon per se eine im Vergleich zum gesetzlichen Modell des Betriebsrats flexiblere, unbürokratischere und kostengünstigere Lösung«. Menke hat in zahlreichen Verfahren – darunter auch etliche Kündigungen – die Unternehmensseite von Profiklubs vertreten. Für Hertha ist er seit längerem beratend tätig. Gegenüber »nd« will er keine Stellung nehmen. Über mit den Mandanten abgestimmte Pressemitteilungen hinaus äußere sich seine Kanzlei Heuking nicht. Die vertritt im Arbeitsrecht nach eigenen Angaben ihre »Mandanten gegenüber Betriebsräten, Gewerkschaften und weiteren Arbeitnehmervertretungen«, auch »die Lösung einzelvertraglicher und kündigungsrechtlicher Fragen« gehöre zu ihrem Repertoire.

Hertha-Geschäftsführer Herrich bezeichnet die Gründung als »tolles Zeichen«, dass man imstande sei, »zeitgemäße Formate und Instrumentarien zur Mitarbeitenden-Mitbestimmung aus der Mitte des Clubs heraus zu initiieren«. Die Mitte der Mitarbeitenden hebt auch Unternehmenssprecherin Krings gegenüber »nd« hervor. Von dort aus sei ein umfassendes Statut erarbeitet worden. Es bilde die Grundlage für »Wahl und Arbeit des Belegschaftsausschusses«. Weitere Details will sie unter Verweis auf »innerbetriebliche Angelegenheiten« nicht nennen. Nur so viel: »Die freiwilligen Kandidatinnen und Kandidaten können sich aus allen Bereichen von Hertha BSC bewerben.«

»So ein Belegschaftsausschuss ist eine bloße ›Good-Will-Einrichtung‹«, sagt dem »nd« der seit 30 Jahren in Berlin praktizierende Anwalt Klaus Stähle. »Das funktioniert gut, solange die Taschen voll sind.« Doch spätestens, wenn es hart auf hart kommt, sagt der Fachanwalt für Arbeitsrecht, zeige sich, dass es mit echten, per Betriebsverfassungsgesetz verbrieften Rechten wie beispielsweise Mitbestimmung bei Kündigungen wenig zu tun habe. Die Hertha-Geschichte hält er für einen Erfolg von Präsidium und Geschäftsführung, die im Fall von Stellenabbau leichtes Spiel hätten. Andreas Köhn meint, die Geschäftsführung habe zwar das Verfahren behindert, aber noch nicht im strafrechtlich relevanten Rahmen agiert.

Auf Erklärungssuche

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Doch woran hat es gelegen? Verdi-Sekretär Köhn resümmiert: »Die ganze Sache fand unter erhöhter Eilbedürftigkeit statt. Die Wahl des Wahlvorstandes lief ab wie das Hornberger Schießen.« Insbesondere bei größeren Unternehmen benötige man schon vom Gesetz her seine Zeit, die sei in der Situation gar nicht vorhanden gewesen. Normalerweise gelte bei Verdi der Grundsatz der bedingungsgebundenen Tarif- und Betriebsratsarbeit, wonach etwa 30 Prozent der Belegschaft Mitglied in der Gewerkschaft sein sollten. Bei Hertha hätte es gerade mal 13 Mitglieder gegeben. Dennoch: »Wir haben gedacht: ›OK, versuchen wir es.‹« Und Köhn holt nocheinmal aus: »Für eine erfolgreiche BR-Gründung braucht es ausreichend Rückhalt in der Belegschaft. Den organisiert man durch Informationsarbeit und Aufklärungsarbeit im Vorfeld und am besten nicht während strukturelle oder personelle Veränderungen anstehen. Dann ist es nämlich meist zu spät. Das zeigt uns auch das Beispiel Hertha. Hier war die Belegschaft in Teilen bereits zu Recht eingeschüchtert. Da ist es schwierig, solche progressiven Ideen nahezubringen.«

Möglicherweise sei der Bewegung auch etwas die Luft ausgegangen, als realisiert wurde, dass ein Betriebsrat erst Ende 2023 arbeitsfähig gewesen wäre, sagt Köhn. »Da war aber der Personalabbau schon vollzogen.« Verdi würde jetzt abwarten. Wenn sich erneut ein Wunsch aus der Belegschaft abzeichnen würde, »wagen wir sicherlich einen neuen Versuch«.

Dazu meint Rechtanwalt Stähle: »Geht es um die Sicherheit der Belegschaft, ist es ratsam, sich von dem Vorhaben, einen Betriebsrat zu gründen, nicht abbringen zu lassen. Selbst wenn die größte Kündigungswelle nun vorüber ist, endet die Geschichte nicht notwendigerweise an diesem Punkt. Man weiß nie so genau, wann ein nächster Einschnitt kommt.«

Im Profifußball gibt es sechs Verein mit Betriebsrat. Einer davon wurde während der Corona-Pandemie beim VfB Stuttgart gewählt, der in den letzten Jahren wie Hertha zwischen 1. und 2. Liga rangierte. Katerina Malliou, Mitglied im Betriebsrat und damals auch im Wahlvorstand, sagt zu »nd«: »Es gibt eine vermeintlich weit verbreitete Angst vor allem, was neu ist, sodass die Einrichtung eines Betriebsrats erstmal abgelehnt wird. Diese Angst halte ich für unbegründet.« Veränderte sich das Betriebsklima beim VfB? Das kann Malliou weder bejahen noch verneinen. Entscheidender im hochemotionalen Fußball sei ohnehin der sportliche Erfolg. Dennoch meint sie: »Die Einrichtung eines Betriebsrats, welches der Gesetzgeber als demokratisches Mittel im Arbeitsrecht einräumt, zu nutzen, halte ich für richtig und wichtig.«

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