»Zertifizierte Jüdischwerdung«

Was hat sie für eine Bedeutung, die Konversion zum Judentum? Und wer bestimmt über sie?

  • Karsten Krampitz
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Menora. Erste Funde eines solchen siebenarmigen Leuchters datieren auf das 1. Jahrhundert vor Christus
Die Menora. Erste Funde eines solchen siebenarmigen Leuchters datieren auf das 1. Jahrhundert vor Christus

Herbert Lappe aus Dresden, 1946 als Sohn jüdischer Kommunisten geboren, hadert mit den Konvertiten. »Vor allem reden sie nie darüber, weshalb sie konvertiert sind.« Oft hätten sie kein Gespür für die Empfindsamkeiten jüdischer Familien im Hinblick auf die Shoah. Im unlängst erschienenen Band »Schabbat im Herzen. Sehnsucht nach Zugehörigkeit« aus dem Lichtig-Verlag berichtet der promovierte Elektroingenieur von einer Gedenkfeier am 9. November in der Kreuzkirche, von der Namenslesung der deportierten und ermordeten Dresdner Juden. Schüler trugen die Namen vor. Das jüdische Totengebet, das Kaddisch, aber sprach ein Konvertit, der keinerlei familiäre Verbindung zur jüdischen Vergangenheit hat. »Da kann man auch einen Schauspieler nehmen.«

Über Konversion wird im Judentum gemeinhin nicht gesprochen. »Jews by choice«, wie man sie in den USA und Großbritannien nennt, sind in jeder Hinsicht gleichberechtigt. Und doch bleibt bei manchen ein Unbehagen; die Erinnerung an die Shoa, die transgenerationelle Weitergabe der seelischen Traumata gehört hierzulande zum Wesen jüdischer Identität. Doch durch die Vielzahl der Übertritte zum Judentum fühlen sich gerade ältere Gemeindemitglieder in ihrer Identität bedroht. Überhaupt: Wer bestimmt, wer Jude ist und wer nicht?

Im selben Buch, herausgegeben von Nea Weissberg und Alexandra Jacobson, erzählt die 1947 geborene Sonja Ahrendt von ihrer »wundersamen Jüdischwerdung«: Als »Vaterjüdin« habe sie von geistlicher Seite immer zu hören bekommen, ohne jüdische Mutter einen »Giur« machen zu müssen, einen langwierigen Glaubensübertritt. »Zur Ironie gehört dabei, dass einige Rabbiner heutzutage selbst Konvertiten sind und nun den gebürtigen Juden ihr Judentum erklären und die Vaterjuden weiter fernhalten.« Die anderen Rabbiner hierzulande kämen zumeist aus den USA, der Ukraine, Russland oder Israel und hätten von den Besonderheiten des deutschen Reformjudentums kaum Ahnung, sodass Ahrendt das Projekt ihrer »zertifizierten Jüdischwerdung« eigentlich schon aufgegeben hatte.

Nachdem aber eine jüdische Freundin verstorben und von den Gojim ihrer Mischpoke auf einem christlichen Friedhof beerdigt worden war, unternahm Sonja Ahrendt einen erneuten Anlauf. Diesmal bei einem Rabbiner, der noch dazu Historiker war. Ihm zeigte sie die Fotos, Geburtsurkunden und Familienstammbücher. Den Rabbi aber interessierten vor allem die Lebensmittelberechtigungsscheine der jüdischen Gemeinde aus dem Jahr 1947. »Ihr Fall ist so klar«, sagte der Mann, »dass ich noch nicht einmal die Bearbeitungsgebühr erhebe! Sie brauchen keinen Giur.« Sie müsse lediglich eine Statusfeststellung beim Beth Din einreichen, dem Rabbinatsgericht. Denn tatsächlich war Sonja Arendt schon bei ihrer Geburt in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin erfasst worden, wo bei den wenigen Überlebenden der Shoa damals noch die Gesetze des Reformjudentums galten – Vaterjuden waren gleichgestellt. Die Halacha, welche die mütterliche Abstammung verlangt, wurde erst 1953 in Berlin eingeführt. Der Rabbi lachte: »Sie sind also schon immer Jüdin gewesen!«

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