Herr der Daten

Gert G. Wagner, langjähriger Leiter des Sozio-oekonomischen Panels, ist im Alter von 71 Jahren verstorben

Gert G. Wagner
Gert G. Wagner

Der Niedriglohnsektor in Deutschland ist seit 2017 erheblich geschrumpft, dennoch hat die Einkommensungleichheit langfristig zugenommen, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Diese basiert auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), einer jährlich durchgeführten repräsentativen Befragung der immer gleichen Privathaushalte, die zu den weltweit größten und meistgenutzten Längsschnittstudien gehört. Der langjährige Leiter des SOEP, Gert G. Wagner, ist am vergangenen Sonntag plötzlich und unerwartet im Alter von 71 Jahren verstorben, wie das DIW mitteilte. »Ohne ihn würden das Institut und auch das SOEP nicht so exzellent dastehen«, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. 

Als treibende Kraft hat sich Wagner um den Auf- und Ausbau des SOEP zu einer forschungsbasierten Infrastruktureinrichtung verdient gemacht. Der aus dem hessischen Kelsterbach stammende Wirtschafts- und Sozialwissenschafter, den nd-Lesern über viele Jahre als Gastautor und Interviewpartner bekannt, stand der Einrichtung von 1989 bis 2011 vor. In jenem Jahr übernahm er den Vorstandsvorsitz am DIW und damit die schwierige Aufgabe, das Institut aus einer vom Vorgänger verursachten tiefen Krise zu führen. Nach erfolgreich durchlaufener Evaluierung ging Wagner 2013 in Rente, lehrte aber noch weiter Volkswirtschaft an der TU Berlin, wo er auch habilitiert hatte. Viele Jahre war der umtriebige Keynesianer zudem in Beratergremien tätig, etwa als Leiter des Sozialbeirates der Bundesregierung, als Mitglied der Rürup-Kommission und des Sachverständigenrates für Verbraucherfragen.

In der evangelischen Kirche aktiv, sah Wagner in der christlichen Religion einen Auftrag zur Lösung sozialer Probleme. Wer ihn kennenlernte, schätzte an ihm seine immer freundliche und uneitle Art. Er war sich auch nicht zu schade, den »Big Brother Award« für seine Beteiligung am Zensus persönlich entgegenzunehmen. Allerdings gehören umfangreiche Datenerhebungen zur Grundlage, um soziale Spaltung in all ihren Verästelungen aufzuzeigen. Gert G. Wagner hat sich darum wie kaum ein anderer verdient gemacht.

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