»Bad Freienwalde ist bunt«: Demonstrieren gegen die Angst

In Märkisch-Oderland fühlen sich viele von rechts in die Ecke gedrängt. Das Bündnis »Bad Freienwalde ist bunt« möchte das ändern

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
»Bad Freienwalde ist bunt« – so sehen das zumindest die rund 300 Menschen, die sich auf dem Marktplatz zur Demonstration für Demokratie versammeln. Im Alltag, sagen einige, hätten sie selten das Gefühl, in der Mehrheit zu sein.
»Bad Freienwalde ist bunt« – so sehen das zumindest die rund 300 Menschen, die sich auf dem Marktplatz zur Demonstration für Demokratie versammeln. Im Alltag, sagen einige, hätten sie selten das Gefühl, in der Mehrheit zu sein.

Immer mehr Menschen versammeln sich am Donnerstagnachmittag am Bahnhof in Bad Freienwalde um eine Soundbox herum, auf der ein Antifa-Sticker klebt. Insgesamt kommen rund 300 Personen zur »Demo für Demokratie, Menschenrechte, Solidarität, gegen faschistische Hetze«, viele Kinder sind darunter. Sie tragen bunte Plakate mit Aufschriften wie »Nie wieder ist jetzt« oder »Bad Freienwalde ist bunt«, auch eine Regenbogen- und eine Antifa-Fahne sind in der Menge zu sehen.

Einige sind sogar aus dem Umland angereist, darunter Martin und Malvian. Sie sind froh, in ihrer Gegend mal so viele Menschen gegen rechts auf die Straße gehen zu sehen. »Man hat in Brandenburg oft das Gefühl, als Demokrat in der Ecke zu stehen«, sagt Martin zu »nd«. Den Eindruck teilen einige – und tatsächlich sind die Demokrat*innen selbst bei diesem Anlass nicht unbeobachtet. »Da steht ein Reichsbürger«, sagt ein Bad Freienwalder, der anonym bleiben möchte, und zeigt auf einen Mann gegenüber des Bahnhofs. Dieser steht breitbeinig da, die Hände in den Jackentaschen und trägt eine schwarz-weiß-rote Mütze – die Farben der Reichsflagge.

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Der Rechtsruck mache ihm Angst, auch um seine berufliche Zukunft, da sein Job von öffentlichen Mitteln abhänge. Mit einer starken AfD im Parlament würden diese womöglicht nicht mehr bewilligt, befürchtet der Bad Freienwalder. Bei den vergangenen Bundestagswahlen landete die AfD im Landkreis Märkisch-Oderland mit 18,2 Prozent der Zweitstimmen auf Platz 2 nach der SPD. In diesem Jahr stehen neben den EU- auch Landtags- und Kommunalwahlen an – entsprechend eindringlich rufen sämtliche Redner*innen der Demonstration dazu auf, demokratische Parteien zu wählen.

Darunter ist Mahmood Alizadeh, der aus dem Iran geflüchet ist. »Die AfD ist eine undemokratische und rechtsextreme Partei. Ihr einziges Programm ist Hass und Spaltung der Gesellschaft«, erklärt er den Umstehenden, die zustimmend buhen. Er lebe seit fünf Jahren in Deutschland, seit dreieinhalb Jahren in Bad Freienwalde, und sein Alltag sei von »Diskriminierung und Demütigung« geprägt. Vor einigen Monaten wurde er mitten in Bad Freienwalde auf offener Straße verprügelt, berichtet er »nd«, während die Demo vom Bahnhof in Richtung Marktplatz zieht.

Dabei »habe ich immer Liebe geschenkt«, sagt Alizadeh, der sich ehrenamtlich im Kreissportbund sowie in einer Kita engagiert und Grünen-Mitglied ist. Er verstehe nicht, wie mit Abschiebungen Wahlkampf gemacht werden kann, und wünsche sich mehr »Verantwortung in der Gesellschaft«. Die findet er im Bündnis »Bad Freienwalde ist bunt«, das die Demonstration organisiert hat.

Vor drei Jahren haben sich Engagierte aus verschiedenen Orten rund um den Kurort zu dem Bündnis zusammengefunden, um eine Struktur »für eine solidarische und tolerante Gesellschaft und eine lebenswerte Stadt für alle« zu schaffen, wie es im Selbstverständnis der Gruppe heißt. »Bad Freienwalde ist bunt« setzt sich für Geflüchtete ein, richtet jeden Sommer ein politisches Stadtfest sowie Demos, Gedenk- und Kulturveranstaltungen aus. Mit Blick auf die Wahlen wollen die Engagierten sich nun verstärkt für die Demokratie starkmachen.

Als kürzlich dann die Correctiv-Recherche über Deportationspläne Rechtsextremer öffentlich wurde, »waren wir sehr froh, dass wir das Bündnis schon hatten«, sagt Judith Strohm zu »nd«. Plötzlich schien ganz Deutschland »wach zu werden«; in Berlin, Eberswalde und Frankfurt (Oder) habe es Demos gegen rechts gegeben – nur in Bad Freienwalde erst einmal nicht. Also beschloss das Team von zehn Engagierten beim vergangenen Bündnistreffen, kurzerhand selbst eine Demo auf die Beine zu stellen.

Unmittelbar nach dem Treffen stellten sie fest, dass die AfD in Hohenwutzen, einem der Nachbarorte, zum Bürgerdialog eingeladen hatte – ebenfalls an diesem Donnerstag. Das kann die Gruppe natürlich so nicht stehen lassen und bereitet sich aufs Demo-Hopping vor: Noch am selben Abend geht es weiter zur Gegendemo in Hohenwutzen. Gleichzeitig fragen sich Strohm und ihre Mitstreiterin Anett Donath, inwiefern sie sich öffentlich zu ihrer politischen Arbeit bekennen können. Ob sie sich beispielsweise trauen, Informationen zur Demo im Whatsapp-Status zu teilen, den viele aus der Nachbarschaft sehen. Oder ob sie die Demo gegen den Bürgerdialog überhaupt bewerben.

Donath hatte die Gegendemo in Hohenwutzen eigentlich anmelden wollen, doch ihr Mann und ihre Tochter hätten sie gebeten, es nicht zu tun – aus Angst. »Genau das wollen die Rechten ja. Und das schaffen sie auch«, sagt Donath. Sie ist in der Gegend aufgewachsen. »Hier gab es schon immer eine rechte Szene, und ich hatte schon immer Angst.« Offen angefeindet worden seien beide zwar noch nicht, aber im privaten Umfeld kämen sie oft mit rechtem Gedankengut in Berührung. Für die Stadtfeste von »Bad Freienwalde ist bunt« organisieren sie vorsorglich immer Security.

Gerade deshalb finden sie es als Demokratinnen wichtig, zum Demonstrieren nicht einfach nach Berlin zu fahren, wo sie unter Hunderttausenden wären, sondern »gerade hier, wo so viele empfänglich sind für rechtsradikale Positionen, zu zeigen, dass wir damit nicht einverstanden sind«, betont Strohm. »Und andere zu ermutigen, sich uns anzuschließen«, ergänzt Donath. Sprüche wie »Ganz Freienwalde hasst die AfD« könne man hier zwar nicht rufen – das wäre falsch, und man wolle die Situation auch nicht beschönigen.

»Alle zusammen gegen den Faschismus« ist dann aber doch zu hören, als die Demonstration durch die Bad Freienwalder Innenstadt zieht. Ganz besonders laut, als sie an der Nazi-Kneipe »Zur Jope« vorbeikommt. An der Tür kleben Sticker der AfD, des rechten Magazins »Compact« oder solche mit der Aufschrift »Lügenpresse«. Bier soll es hier »nur für Deutsche« geben. Besonders perfide: Die Kneipe befindet sich schräg gegenüber einer Synagogen-Gedenkstätte.

Kaum ist die Demo vorbei, springt der harte Kern ins Auto und fährt weiter nach Hohenwutzen. Rund 30 Personen machen dort noch mit Trommel und Trillern Lärm gegen den AfD-Bürgerdialog. Judith Strohm ist zufrieden mit beiden Aktionen. »Es hat mir so gutgetan, nicht allein zu sein«, sagt sie hinterher. Und auch von anderen habe sie das Feedback bekommen, dass die Demo wie eine »Energiedusche« gewirkt habe – auch von jenen, die anfangs skeptisch waren, ob Demonstrieren etwas bringt. Überzeugte Rechte würden sie wohl nicht erreichen, »aber wir stärken die, die gegen die AfD sind«.

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