Medikamente: Faire Preise in weiter Ferne

Pharmahersteller verlegen ihr Geschäft zunehmend in den Bereich hochpreisiger Arzneimittel. Die Preisstabilisierung ist bis jetzt noch nicht gelungen

Die Arzneimittelpreise steigen ungebremst. Unter den Innovationen sind besonders viele extrem teure Präparate, vor allem Onkologika oder Immuntherapien. 2022 wurden von den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) insgesamt 48,8 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben, und bei diesem Posten geht es seit Jahren kontinuierlich bergauf: 2018 standen hier noch knapp 39 Milliarden Euro, 2019 dann 41 Milliarden, 2020 waren es 43 Milliarden, 2021 ein Sprung auf 46,6 Milliarden.

Ein Ende der Tendenz ist nicht absehbar, betrachtet man diverse Neuzulassungen und einige vielversprechende Neuerungen in den Forschungspipelines der Hersteller. Angesichts des immer größeren Anteils an älteren Menschen in der Bevölkerung muss sich die GKV Sorgen machen, wie die pharmakologische Versorgung für alle auch in Zukunft gesichert werden kann.

Diese Frage beschäftigt auch etliche Apothekerinnen und Apotheker, über deren Verkaufstisch die Medikamente aller Preislagen täglich gehen. So veranstaltete der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten am letzten Donnerstag zu dem Thema ein Seminar.

Nicht nur die GKV-Ausgaben steigen, sondern zugleich die Gewinne der Medikamentenhersteller. Bei den Ebit-Margen (das operative Ergebnis, also der Gewinn vor Steuern, im Verhältnis zum Jahresumsatz) liegt die Pharmaindustrie schon seit Jahrzehnten ganz vorn. Wenn auch das Jahr 2021 von Pandemie-Effekten gekennzeichnet war: Weltweit 17 Hersteller hatten hier Margen von über zehn Prozent. Darunter finden sich auch die deutschen Unternehmen Boehringer Ingelheim (23 Prozent) und Biontech als absoluter Spitzenreiter mit 81 Prozent. Im Schnitt der erfolgreichsten Top 20 international lag die Marge bei 26,8 Prozent.

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Die hohen Gewinne sieht Helmut Schröder in einem »Missklang« mit der Tatsache, dass der allergrößte Teil davon aus dem solidarischen Topf der gesetzlichen Krankenkassen finanziert wird, in den etwa 58 Millionen Mitglieder einzahlen. Beitragsfrei mitversichert sind noch einmal 16 Millionen Menschen. Der Soziologe Schröder ist Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido) und hat Zahlen dieser Art genau im Blick.

Er beobachtete etwa, dass die Zahl der Verordnungen über die Jahre relativ stabil blieb. Aber schon jeder zweite Euro der GKV wird für patentgeschützte Arzneimittel ausgegeben. Die machen zwar unter den Verordnungen nur sieben Prozent aus und betreffen weniger als ein Viertel der verfügbaren Wirkstoffe. Die höchsten Preise je Verordnung werden im Schnitt bei Stoffwechselkrankheiten erzielt, fast 6600 Euro schlagen hier zu Buche. Über 2000 Euro je Verordnung erlösen Hersteller auch bei Immuntherapien, Krebs und Infektionen, zeigt Schröder anhand von Zahlen von 2022.

Im Gesamtmarkt für Medikamente werden die hochpreisigen Mittel immer wichtiger: Während es 2010 offenbar so gut wie keine Verordnung über 10 000 Euro gab, machten diese 2020 schon drei Prozent aller Umsätze aus. In der Gruppe der Verordnungen zum Preis ab 5000 Euro stieg der Umsatzanteil in den genannten Jahren von ein auf acht Prozent. Indessen hatten Verordnungen von über 1000 Euro auch 2010 schon einen Anteil von 17 Prozent, der sich bis 2020 auf 43 Prozent der Umsätze erhöht hatte. Unter dem Strich lässt sich beobachten, dass die Unternehmen erfolgreich Strategien entwickelten, ihre Gewinne im Segement der hochpreisigen Mittel zu erzielen.

Gesundheitspolitiker hatten in der Vergangenheit mehr oder weniger effektiv versucht, sich dieser Pharma-Strategien zu erwehren. Das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes von 2011 (Amnog) war einer der Ansätze. Damit sollte erreicht werden, dass sich der Preis neuer Medikamente an ihrem Zusatznutzen im Vergleich zu bereits vorhandenen Therapien orientieren sollte. Einer der Knackpunkte, warum die Arzneimittelkosten auf diesem Weg nicht gesenkt werden konnten, ist die Möglichkeit für Hersteller, für neu zugelassene Medikamente im ersten Jahr beliebig hohe Preise aufrufen zu können. Die erste Nutzenbewertung einschließlich entsprechender Preisverhandlungen mit der GKV greift erst ab dem zweiten Jahr.

Auch der Apotheker Andreas Großmann, der aktuell für die AOK Rheinland/Hamburg tätig ist, zieht das Fazit, dass das Amnog die Arzneimittelausgaben nicht stabilisieren konnte: »Die Unternehmen nutzen Ausweichstrategien und konzentrieren sich auf ›lukrative‹ Anwendungsgebiete.« Dazu gehört etwa, dass die Indikation (Zulassung für eine bestimmte Krankheit) erweitert oder geändert wird. Ein und derselbe Wirkstoff erzielt zum Beispiel in der Onkologie einen Milligrammpreis von 66 Euro, während nach der Umwidmung auf ein Medikament gegen multiple Sklerose der Preis auf 1030 Euro je Milligramm steigt.

Wie nun zu fairen Preisen kommen? In der Pharmazeuten-Veranstaltung gehen die Meinungen an einigen Punkten auseinander. Mancher im Publikum meint, Transparenz über die Kosten der Hersteller würde genügen, um die Preise so zu gestalten, dass das GKV-System nicht bald vor ihnen kapitulieren muss. Die Reise geht offenbar in eine andere Richtung, zumindest wenn man nach dem Referentenentwurf des Medizinforschungsgesetzes urteilt, der in den letzten Tagen bekannt wurde: Demnach soll es für neue Wirkstoffe vertrauliche Erstattungspreise geben. Bisher sind diese für patentgeschützte Arzneimittel öffentlich. Die Unternehmen befürchten nun, das zu niedrige Preise ihre Aussichten im Ausland trüben könnten, und der Passus gelangte in den Gesetzentwurf.

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