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Umgang mit UNRWA: Kurzsicht vom Elfenbeinturm

Im Umgang mit dem UN-Hilfswerk in Gaza hat niemand die Zivilisten im Blick, kritisiert Miriam Sachs

  • Miriam Sachs
  • Lesedauer: 3 Min.

»Das Leid vieler unschuldiger Beteiligter kann so nicht weitergehen, wir brauchen eine weniger intensive Operationsführung«, sagte Außenministerin Annalena Baerbock Anfang des Jahres zu ihrem israelischen Amtskollegen Israel Katz. Es schien inzwischen internationaler Konsens: Das Ziel, die Hamas zu zerschlagen, steht nicht mehr in Relation zum Leid der Zivilbevölkerung in Gaza. In Den Haag gab man Südafrikas Klage in dieser Sache recht und setzte ein klares Zeichen. Es scheint kein Zufall, dass Israel just in dem Moment ein Dossier herauskramt, das Gazas einziges Hilfswerk mit weitreichender Infrastruktur der Hamas-Nähe beschuldigt. Dass zwölf Mitarbeiter der UNRWA am Massaker der Hamas beteiligt waren, ist inzwischen klar. Neun Länder waren dem Beispiel der USA gefolgt, allen voran Deutschland, und legten Spendengelder auf Eis.

Auftakt zur Aufarbeitung hätte ein Gespräch zwischen Israel und dem Direktor der UNRWA sein können, aber man lud diesen lieber aus: Wer den Terrorismus unterstütze, sei nicht willkommen! Offensichtlich geht es nicht um Auseinandersetzung, sondern darum, ein Netzwerk, das Israel im Weg ist, lahmzulegen. Und die abstruse Pars-Pro-Toto-Rechnung, in der wieder alle in einem Topf landen – Terroristen, Zivilisten, die Vereinten Nationen und 0,1 Prozent schwarze UNRWA-Schafe – geht auf: Fünf weitere Länder stoppen ihre Unterstützung und nehmen in Kauf, dass die humanitäre Lage in Gaza zusammenbricht.

Miriam Sachs

Miriam Sachs reist seit 2014 immer wieder nach Gaza und arbeitet dort an Theaterprojekten und einem Roman.

Die UNRWA fängt seit ihrer Gründung 1948 durch die UN die Nebenwirkungen des Teilungsplans auf, der den Staat Israel ermöglichte, und hat sich zur strukturbildenden Größe entwickelt. In einem Nachkriegsszenario käme ihr eine wichtige Rolle zu. Sie zu entkernen bedeutet einen Fürsprecher weniger für die überlebende Bevölkerung – dafür mehr Kontrolle für Israel, das beansprucht, Besatzungsmacht zu sein, »so lange bis von Gaza keine Bedrohung mehr ausgeht«. Ein Perpetuum-Mobile-Plan, denn Netanjahus Kriegsführung schafft Nährboden für noch mehr Radikalisierung.

Es ist anmaßend, von weit weg »bessere Wege« zu verkünden, ohne Respekt für die ausweglose Lage in einem politischen Lockdown-Gebiet, in dem das Terror-Regime der Hamas nicht nur auf politischer Ebene existiert, sondern alltäglich ist: Nicht einmal einreisen kann man, ohne sich mit ihr zu arrangieren. Es führt kein Weg an der Hamas vorbei, gerade wenn man Visionen umsetzen will – oder gar ein Hilfswerk am Laufen halten. Das bedeutet nicht, dass man es mit Terroristen betreibt, aber mit Menschen, die ihrerseits von der Hamas geprägt sind, vor ihr zittern, sie verehren, sie hassen, sich von ihr fernhalten, sich einspannen lassen, erpresst werden, ihr verpflichtet sind und so oder so unter ihr zu leiden haben.

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Nur eine Hamas-freie UNRWA kann tragende und tragbare Brücke zwischen Gestern und Morgen sein; man muss sie unter die Lupe nehmen und vermutlich mehr als 0,1 Prozent der Mitarbeiter entlassen. Man darf aber diesen Blick nicht kurzsichtig von einem fernen Elfenbeinturm werfen und sofortige Reinigung durch Sanktionen erpressen, während zwei Millionen Menschen verhungern. Solidarität mit Israel bedeutet oft Rückblick auf die gemeinsame deutsche Geschichte – zurecht! Dazu gehört auch das langwierige, unvollendete Kapitel Entnazifizierung. Wer nur schwarz-weiß sieht, hat nichts gelernt aus der Geschichte.

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