Anspruch auf Anerkennung der Leistungen

  • Reinhold Robbe
  • Lesedauer: 5 Min.

Im September 2005 reiste ich zu einem Truppenbesuch nach Afghanistan. Am Flughafen Kabul nahm mich ein Oberstleutnant der Reserve in Empfang. Ein umsichtiger Soldat, engagiert und einsatzerfahren. Er war zu meiner Unterstützung abgestellt und wich mir nur selten von der Seite. Wenige Wochen später stand ich wieder am Flughafen. Dieses Mal in Köln-Wahn, in einem schlicht ausstaffierten Hangar – vor einem Sarg. Jener Oberstleutnant war Opfer eines Selbstmordattentäters geworden. Diese Konfrontation – und es blieb nicht die einzige – mit den gefährlichen und tragischen Seiten eines Einsatzes, die für die Soldatinnen und Soldaten ebenso wie für ihre Angehörigen allgegenwärtig sind, hat mich tief berührt und in mehrfacher Hinsicht auch nachdenklich gemacht.

Seit 1990 haben 69 Soldaten der Bundeswehr ihr Leben allein bei Auslandsmissionen verloren. Ihre Rückführung und Ehrung folgt in der Regel einem festen militärischen Zeremoniell. Es gibt eine zentrale Trauerfeier in diesem riesigen, dunkel verhängten Hangar, draußen der Fluglärm vom Köln-Bonner Airport, drinnen die trauernden Angehörigen und Kameraden. Wenn man dort steht, kommt einem unweigerlich die Frage: Was tun wir in Deutschland, was tut unsere Gesellschaft dafür, diejenigen, die im Dienst für unser Land ihr Leben verloren haben, zu ehren und ihnen ein würdiges Andenken zu bewahren?

Dieser Soldaten wird gedacht, natürlich. In den Einsatzkontingenten gibt es Gedenktafeln oder –Steine mit allgemeinem Text oder namentlicher Erwähnung der Toten. Auch die Teilstreitkräfte haben Orte des Gedenkens: das »Ehrenmal des Heeres« auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz, das »Luftwaffenehrenmal« in Fürstenfeldbruck und die »Gedenkstätte der Deutschen Marine« in Laboe. Aber unsere zivile Gesellschaft – wo gedenkt sie derjenigen, die für Frieden und unser aller Freiheit und Sicherheit ihr Leben verloren? Es gibt dafür keinen besonderen Ort. Aber es sollte einen geben. Ob man ihn »Ehrenmal«, »Denkmal« oder »Gedenkstätte« nennt, überlasse ich der Diskussion anderer. Mir geht es um den Sinn, der dahinter steht. Mir geht es um Anerkennung und um Identifikation unserer zivilen Gesellschaft mit dem, was unsere Soldatinnen und Soldaten überall in der Welt in ihren Einsätzen für Frieden, Freiheit und Sicherheit leisten. Mir geht es um die positive Würdigung dessen, was die Bundeswehr für unser Land leistet.

Das ist es auch, was mir die Soldatinnen und Soldaten immer wieder sagen – sei es im Einsatz oder in den Heimatstandorten. Sie wünschen sich kaum etwas so sehr, wie einen stärkeren Rückhalt in der Gesellschaft. Und meiner Ansicht nach haben sie auch einen Anspruch darauf.

Die Bundeswehr ist seit Beginn der 1990er Jahre in zunehmendem Maße zu einem Instrument deutscher Außen- und Sicherheitspolitik geworden. Vor diesem Hintergrund erscheint es nun mehr als geboten, dass nicht nur bei den Entscheidungsträgern in Politik und Militär, sondern auch in unserer Gesellschaft ein Bewusstsein dafür entsteht, was der Bundeswehr – trotz chronischer Unterfinanzierung – heute an Leistungsbereitschaft abverlangt und an Belastungen auferlegt wird.

Dabei geht es eben nicht nur um Personalreduzierung, Sparmaßnahmen und Strukturreformen, sondern auch um lange Trennungszeiten von den Angehörigen, besondere Belastungen für Partnerschaften und letztlich die unmittelbare Gefährdung der eigenen Gesundheit oder des eigenen Lebens.

Die Soldatinnen und Soldaten haben sich diesen Herausforderungen in kürzester Zeit stellen müssen. Aber was ist mit dem öffentlichen Bewusstsein? Was ist mit der gesellschaftlichen Auseinandersetzung im Hinblick auf das Verstehen und Bewerten des außen- und sicherheitspolitischen Wandels?

Bundespräsident Horst Köhler bescheinigte den Deutschen vor einiger Zeit ein »freundliches Desinteresse« an den Belangen der Bundeswehr. Auch ich nehme diese Distanz der Gesellschaft zu den eigenen Streitkräften wahr. Das lässt sich mit Blick auf unsere Vergangenheit erklären. Und dennoch ist es so, dass die inzwischen über 50-jährige Geschichte der Bundeswehr von einer festen Verankerung der Soldatinnen und Soldaten in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zeugt. Die Bundeswehr hat in diesen 50 Jahren ihre eigene Tradition begründet, eine gute Tradition, wie ich meine. Auch darum geht es in der aktuellen Diskussion über das Für und Wider eines Denk- oder Ehrenmals.

Ich verkenne dabei nicht, dass die Soldatinnen und Soldaten nicht die einzige Berufsgruppe sind, die notfalls auch unter Lebensgefahr ihren Dienst für das Gemeinwohl leisten. Sie durch ein Denkmal zu ehren, bedeutet aus meiner Sicht aber auch nicht, die Verdienste und Opfer anderer Gruppen außer Acht zu lassen.

Wir stehen in besonderer Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Es geht nicht nur um die demokratische Kontrolle der Streitkräfte, es geht auch um die Anerkennung politischer Realitäten und gesellschaftlichen Rückhalt. Soldatinnen und Soldaten sind Bürger in Uniform, die sich jeden Tag – ob in den Heimatstandorten oder den weltweiten Einsatzgebieten – in den Dienst der Allgemeinheit stellen. Dieser Dienst ist schwierig, mit vielen Herausforderungen sowie Entbehrungen verbunden – und in hohem Maße gefährlich.

Ich wünsche mir für diese Menschen, für Soldaten wie den eingangs erwähnten gefallenen Oberstleutnant, einen Ort des Ehrens und Gedenkens. Form und Platzierung waren und sind Gegenstand manch kontroverser Auseinandersetzung. Darüber zu befinden, ist nicht meine Aufgabe – wenngleich sich meiner Wahrnehmung nach die Soldatinnen und Soldaten für einen prominenten Standort im Zentrum Berlins aussprechen.

Wichtig erscheint mir aber vor allem eines: Das Ehrenmal sollte nicht nur ein Ort des Gedenkens, Erinnerns und des Trostes sein, sondern all diejenigen, die über laufende und mögliche neue Einsätze der Bundeswehr zu entscheiden haben, an ihre besondere Verantwortung erinnern.

Sie entscheiden über Bürgerinnen und Bürger in Uniform, die im Auftrag von Regierung und Parlament und im Interesse unseres Landes ihre Gesundheit und ihr Leben für die Allgemeinheit einsetzen. Sie haben es in jeder Hinsicht verdient, Teil einer besonderen öffentlichen Wahrnehmung zu sein.


Reinhold Robbe, 1954 in Bunde geboren, war von 1994-2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Hier gehörte er dem Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion an und war seit November 2002 Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Der gelernte Verlagskaufmann wurde im April 2005 zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages gewählt und schied am selben Tag aus dem Bundestag aus.
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