Tod auf der Baustelle vom Umweltbundesamt: Chef freigesprochen

Chef eines zu Tode gekommenen Bauarbeiters freigesprochen, Umstände weitgehend unklar

Am Amtsgericht Tiergarten hieß es am Mittwochmittag einhellig: Freispruch. Im Fall eines 2022 auf einer Berliner Baustelle zu Tode gekommenen Arbeiters folgte die Richterin den Plädoyers von Staats- und Rechtsanwaltschaft.

Im März 2022 war ein Bauarbeiter durch ein Dachfenster des Umweltbundesamtes gestürzt und seinen Verletzungen im Krankenhaus erlegen. Angeklagt war nun der Vorgesetzte des zu Tode Gekommenen wegen fahrlässiger Tötung durch mangelnde Vorkehrungen zum Arbeitsschutz nach Paragraf 319 des Strafgesetzbuchs.

Die Firma des Angeklagten war zum Zeitpunkt als letztes Glied einer Subunternehmerkette mit Entkernungsarbeiten im Behördengebäude in der Caspar-Theyß-Straße im Ortsteil Grunewald beauftragt. Verschiedene Firmen seien mit je spezifischen Gewerken beauftragt gewesen, sagte ein Polizeizeuge vor Gericht.

Die geladenen Zeugen des hauptauftragnehmenden Unternehmens und ein beauftragter Sicherheitskoordinator berichteten, sie hätten Arbeiten auf dem Dach aufgrund mangelnder Arbeitsschutzeinrichtungen untersagt. Das Dachfenster hätte mit einer Abdeckung oder einem Geländer gesichert werden müssen, sagte der Koordinator.

Den Einlassungen der geladenen Zeugen zufolge funktionierte die Informationskette über die Subunternehmen hinweg. Sie berichteten, dass es beim Arbeitsschutz bis dahin nie Probleme gegeben habe, »zumindest in der Theorie«, wie der Bauleiter des Hauptauftragnehmers gestand. Der Angeklagte erklärte, seine Mitarbeiter nur wenige Tage vor dem Vorfall über einen Vorarbeiter dazu angewiesen zu haben, von jeglichen Arbeiten auf dem Dach abzusehen.

Diese Aussage blieb im Prozess laut Richterin unwiderlegt, weshalb sie im Zweifel für den Angeklagten entschied. Am Ende sei nicht klar, warum der zu Tode Gekommene und mögliche weitere Arbeiter sich auf dem Dach befunden hätten. »Verschiedene weitere Tatszenarien sind denkbar«, begründete die Richterin das Urteil.

Für die Öffentlichkeit bleibt weiterhin offen, was genau auf dem Dach geschah. Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass sich zum Zeitpunkt des Sturzes ein weiterer Arbeiter auf dem Dach befand. Ein Ausweisdokument, das laut Polizeizeugen auf dem Dach gefunden wurde, gehörte einem weiteren Arbeiter, der schon vor dem Vorfall per Haftbefehl gesucht wurde und seitdem verschwunden ist.

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Ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Bauleiter, der vom Hauptauftragnehmer eingesetzt wurde und der am Mittwoch als Zeuge auftrat, wurde vorab eingestellt. Weitere Arbeiter, die an dem Tag auf der Baustelle waren, also mögliche Augenzeugen, wie auch den Vorarbeiter, den der Angeklagte angewiesen haben soll, keine Arbeiten mehr auf dem Dach zu verrichten, hatte das Gericht nicht geladen.

Der verhandelte Fall wird von der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales als einer von sieben Arbeitsunfällen für das Jahr 2022 gelistet. Allerdings kann nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens gegen den geschäftsführenden Subunternehmer nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob der Tod tatsächlich auf einen Unfall zurückzuführen ist.

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