Berlin: Fast pannenfreie Wiederholungswahl

Teil-Wiederholungswahl zum Bundestag verlief weitestgehend reibungslos

Ein Novum in Deutschland: Eine Wiederholungswahl, die nur in Teilen von Berlin stattfindet. Am Sonntag wurde in in 455 von insgesamt 2256 Wahlbezirken der Haupstadt die Bundestagswahl von September 2021 wiederholt. Zur Stimmabgabe aufgerufen waren 549 549 Berliner*innen. Schlangen vor den Wahllokalen, nicht genügend oder falsche Stimmzettel, Wahlberechtigte, die ihre Stimme nicht abgeben konnten – der ursprüngliche Wahlgang war so chaotisch verlaufen, dass das Bundesverfassungsgericht diese Teilwiederholung angeordnet hatte.

Besonderes Augenmerk lag dieses Mal dementsprechend auf der Organisierung der Wahl. Aus Sicht des Landeswahlleiters Stephan Bröchler hatte man wichtige Vorkehrungen für einen reibungslosen Ablauf getroffen. »Der Fehler muss geheilt werden und das können nur wir, die Bürgerinnen und Bürger«, sagte Bröchler am Sonntagmorgen bei der Wahlabgabe. Eine kleine Panne schlich sich dennoch ein: Wie der »RBB« berichtete, konnte in einem Wahllokal in Pankow erst fast eine Stunde verspätet gewählt werden. Ein Schlüssel für einen Nebenraum, in dem Wahlunterlagen lagerten, habe gefehlt, so Bröchler gegenüber dem »RBB«.

Auf die Wahlen auf Landes- und Bezirksebene, die am 12. Februar 2023 komplett wiederholt wurden, folgte ein Regierungswechsel: von rot-grün-rot zur jetzigen schwarz-roten Koalition. Solche Veränderungen sind für die Wiederholungswahl auf Bundesebene nicht zu erwarten. An den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag wird der Wahlgang in der Hauptstadt nichts ändern. Nur 0,9 Prozent der normalerweise Wahlberechtigten dürfen am Sonntag ihre Stimme abgeben.

Manche befürchten angesichts dieser Ausgangslage, dass die Wahlbeteiligung gering ausfällt. Bei der Bundestagswahl 2021 betrug sie für ganz Berlin 75,2 Prozent. Landeswahlleiter Bröchler hofft auf mindestens 60 Prozent. Veränderungen in den Verhältnissen können Hinweise für anstehende Wahlen geben: Am 9. Juni steht die Europawahl an, im September folgen drei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.

Anders als sonst üblich gab es am Sonntag keine Wahlprognosen. Normalerweise führen Umfrageinstitute Nachwahlbefragungen durch. Dieses mal müssen Wähler*innen und Gewählte sich bis zum Ergebnis der tatsächlichen Auszählung gedulden, das erst zum späten Abend, oder sogar in der Nacht erwartet wird, weit nach Redaktionsschluss.

Da entsprechend des Bundeswahlgesetzes das Wählerverzeichnis neu aufgestellt wurde, konnten Wähler*innen, die aus einem anderen Wahlbezirk zugezogen sind, erneut abstimmen. Umgekehrt haben Menschen, die aus einem der Wahlbezirke, in dem die Wahl wiederholt wird, weggezogen sind, Pech: Sie dürfen ihre Stimmabgabe nicht erneuern. Wahlglück haben junge Menschen, die seit September 2021 volljährig geworden sind. Auch sie durften am Sonntag ihr Kreuz machen.

Gewählt wurde in allen Berliner Bundestagswahlkreisen, allerdings in unterschiedlichem Maße. In Pankow waren 85 Prozent der Wahlbezirke betroffen, in Charlottenburg-Wilmersdorf 42 Prozent, in Lichtenberg hingegen nur 2,9 Prozent, in Treptow-Köpenick 3,4 und in Marzahn-Hellersdorf 6 Prozent. Somit ist klar, dass es in manchen Wahlkreisen schon allein rechnerisch keine Veränderungen geben kann.

Anders in Pankow: Sollte sich Klaus Mindrup (SPD) gegen den bei der Chaoswahl als Wahlkreissieger hervorgegangen Stefan Gelbhaar (Grüne) durchsetzen, könnte er ins Parlament einziehen. Gelbhaar ist über einen Listenplatz abgesichert. Im September 2021 bekam Gelbhaar 25,5 der Stimmen, Mindrup 21,5 Prozent.

In Charlottenburg-Wilmersdorf hatte der frühere Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) das Direktmandat gewonnen. Er holte 27,9 Prozent der Erststimmen. Die jetzige Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen kam 2021 auf 24,4 Prozent, der CDU-Kandidat Klaus-Dieter Gröhler auf 22,3 Prozent der Erststimmen. Müller steht auf Platz 1 der Landesliste seiner Partei und ist dadurch abgesichert.

Auch in Reinickendorf könnte es Veränderungen geben. Dort lag 2021 die frühere Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) mit 27,2 Prozent vorn. Ihr SPD-Konkurrent Torsten Einstmann landete bei 25,8 Prozent. In fast einem Drittel der Wahlbezirke (30,8 Prozent) wurde erneut abgestimmt. Grütters ist ebenfalls durch Platz 1 auf der Landesliste abgesichert, aber Einstmann könnte bei einem Wahlsieg in den Bundestag einziehen.

Wahlkreisunabhängig relevant ist die Wahl für Pascal Meiser (Linke). Seine Partei muss rund 40 000 Zweitstimmen in den Wahlbezirken, in denen erneut gewählt wurde, bekommen – ansonsten fliegt er aus dem Parlament. Im September 2021 hatte die Linke noch 50 000 Stimmen in den betreffenden Wahlbezirken erhalten. Mit Agenturen

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