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Der ewige Flieger: Noriaki Kasai gibt Weltcup-Comeback mit 51

Der japanische Skispringer Noriaki Kasai hat sich nach vier Jahren noch einmal in den Weltcup zurückgekämpft

  • Lars Becker
  • Lesedauer: 5 Min.
Auch mit über 50 arbeitet Noriaki Kasai wie eh und je an seiner Fitness.
Auch mit über 50 arbeitet Noriaki Kasai wie eh und je an seiner Fitness.

Am 17. Dezember 1988 hat Noriaki Kasai in Sapporo sein Weltcup-Debüt gegeben. Damals trennte noch eine Mauer die beiden deutschen Staaten. Helmut Kohl war Bundeskanzler und Franz Beckenbauer Fußball-Bundestrainer. Die beiden Legenden sind inzwischen verstorben. Aber Noriaki Kasai macht immer noch das, was er schon vor gut 35 Jahren am besten konnte: Skispringen.

Am Freitag hat sich der ewige Flieger sensationell für das Weltcup-Springen an diesem Samstag qualifiziert. Ganz passend in Sapporo, also dort, wo alles für ihn begonnen hatte. Eher bescheidene 106 Meter und Platz 45 reichten dafür aus – ein gutes Stück von der Topweite (136,50 Meter) des Österreichers Manuel Fettner entfernt. Die Wertschätzung all seiner Kollegen war ihm trotzdem sicher. Schließlich ließ Kasai Springer hinter sich, die durchweg locker seine Kinder sein könnten. Der gerade 17 Jahre alte US-Amerikaner Jason Colby (47.) würde sogar fast als Enkel durchgehen.

»Ich denke, dass alle auf mich warten, und ich möchte ihren Erwartungen gerecht werden. Das wird ein solcher Druck für mich, als ob es um den Sieg ginge«, hatte Kasai vor seinem in der japanischen Öffentlichkeit mit großer Spannung erwarteten Start erklärt. Er hielt dem Druck stand und wird am Samstag nun sein Weltcup-Comeback vier Jahre nach seinem letzten Auftritt unter den besten Fliegern der Welt geben dürfen. Im stolzen Alter von 51 Jahren! Natürlich hat das noch kein Skispringer vor ihm geschafft – genau wie sein dann 570. Weltcup-Auftritt auch ein unglaublicher Rekord aus dem Guinness-Buch ist. »Wahrscheinlich habe ich in meiner Karriere mindestens einmal die Welt umflogen«, hat Kasai einmal mit seinem typischen verschmitzten Lächeln gesagt. Und damit vermutlich noch untertrieben.

»Es ist echt irre, was Noriaki leistet«, erklärte Ex-Bundestrainer Werner Schuster an diesem Freitag nach Kasais Qualifikationssprung am Eurosport-Mikrofon. »Ich musste wirklich lachen. Ich bin ja selber noch gegen ihn gesprungen, und gerade erst ist er gegen meinen Sohn im Continental Cup angetreten. Er springt generationenübergreifend.« Als sich der japanische Flugkünstler 1992 zum Skiflug-Weltmeister krönte, war Andreas Wellinger (28) noch nicht mal geboren.

Noriaki Kasai ist ein Phänomen, ein Skisprung-Verrückter, der einfach nicht von seinem geliebten Sport lassen kann. Als 1988 seine einmalige Karriere mit der Weltcup-Premiere so richtig begann, wurde noch im Parallelstil gesprungen. Die Protagonisten hießen damals Jens Weißflog oder Matti Nykänen. Von dem legendären Finnen hat Kasai einmal einen Sprunganzug geschenkt bekommen. Auch Nykänen, der nach seiner Karriere im Drogenrausch zum mehrfach verurteilten Gewalttäter wurde, ist inzwischen tot. Doch Kasai, der schon mal despektierlich Flugsaurier genannt wurde, macht einfach immer weiter

Zuletzt bot er sich im zweitklassigen Continental-Cup für ein Comeback an – mit Erfolg. Wobei ihm natürlich auch sein berühmter Name geholfen hat, denn Noriaki Kasai ist (nicht nur) in seiner Heimat eine absolute Legende. Auch wenn der letzte seiner 17 Weltcup-Siege bald zehn Jahre zurückliegt. Am 29. November 2014 triumphierte er gemeinsam mit dem punktgleichen Olympiasieger Simon Ammann. Auch der Schweizer fliegt immer noch, hat kürzlich seinen 500. Weltcup bestritten, ist aber mit 42 geradezu ein Jungspund im Vergleich zu Kasai.

Der Japaner war bei seinem letzten Sieg 42 Jahre und 176 Tage alt und ist damit der mit Abstand älteste Weltcup-Triumphator der Skisprung-Historie. Natürlich ist er mit Silber und Bronze bei den Winterspielen 2014 auch der älteste Olympia-Medaillengewinner aller Zeiten im Skispringen. 2018 in Pyeongchang nahm er als erster Wintersportler der Geschichte zum achten Mal an den Spielen teil.

»Noriaki ist das siebte Weltwunder«, hat Österreichs Skisprung-Legende Toni Innauer einmal gesagt. »Gute Gene« und »gesunde japanische Ernährung« nennt Kasai als Gründe für seine »ewige Skisprungjugend«. Aber auch der weltweit von den Fans umjubelte Mann kann die biologischen Gesetze des Alterns nicht ewig brechen. Er hat inzwischen große Probleme, in der Anlaufspur in die Hocke zu gehen, weil die Gelenke schmerzen. Aufgeben will er deshalb nicht: »Ich fühle mich körperlich gut und kämpfe weiter. Ich will 2026 wieder bei Olympia dabei sein.« Zudem sei es eines seiner Ziele, andere zu inspirieren, wie er einmal der »Welt« verriet. »Wenn ich springe, kann ich zeigen, was alles möglich ist, kann Menschen Mut machen, an ihre Träume zu glauben. Ich kann ihren eigenen Traum ein Stück leben.«

Ein Teil der Wahrheit ist auch, dass Skispringen immer noch ein guter Weg für Kasai ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er ist beim Firmenteam Tsuchiya des gleichnamigen Bauunternehmens angestellt und wird für sein Durchhaltevermögen ordentlich bezahlt. Dort ist er inzwischen auch eine Art Sportdirektor und begleitete den Aufstieg des neuen japanischen Überfliegers Ryoyu Kobayashi bis zu dessen kürzlichem Abschied aus dem Team mit wertvollen Tipps. Außerdem ist Kasai mit seiner Ehefrau Reina inzwischen zweimal Vater. Vielleicht gibt der ewige Flieger irgendwann den Staffelstab einfach direkt an seine Kinder weiter.

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