Corona: Lehren aus der Krise

Abgeordnete und Wissenschaftler beraten über Konsequenzen der Corona-Pandemie

Manchmal hört man noch von Infektionen im Bekanntenkreis, gelegentlich sieht man eine Maske in der U-Bahn – aber sonst ist Corona inzwischen aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Dabei ließe sich aus den drei turbulenten Pandemiejahren noch einiges lernen. Denn nicht nur die Gesundheitspolitik wurde in dieser Zeit strapaziert, sondern auch die Wissenschaft.

»In der Pandemie trat die Wissenschaft als Politik auf und die Politik als Wissenschaft«, sagte Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, am Montag im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses selbstkritisch. Die Symbiose habe nicht nur Vorteile gehabt. Denn eigentlich funktionieren beide Bereiche nach eigenen Logiken. »Der Wissenschaft kann es nicht um die Frage gehen, ob eine Aussage gefällt oder nicht, nur darum, ob sie wahr ist oder falsch«, so Allmendinger. Politik lebe dagegen von Kompromissen und moralischen Abwägungen.

»Die Wissenschaft wurde davon überrollt, dass ihre Erkenntnisse in Echtzeit politisiert wurden«, sagte auch der Rechtswissenschaftler Klaus Gärditz, der zuletzt ein Buch über das Verhältnis von Politik und Wissenschaft veröffentlichte. Das bedeutete auch, dass Wissenschaftler plötzlich mit massiven Anfeindungen konfrontiert von jenen waren, die mit den Konsequenzen, die aus ihren Erkenntnissen gezogen wurden, unzufrieden waren. »Das war hässlich und für viele eine Herausforderung«, so Gärditz.

Auf der anderen Seite hätten »Scharlatane und Welterklärer« die Gunst der Stunde genutzt, um sich in den Vordergrund zu spielen. Medial sei das dankend aufgenommen worden. »In allen Zeitungen machen Wissenschaftsredaktionen eine winzige Sparte aus«, sagte Gärditz. Fachfremde Journalisten hätten sich daher in der Pandemie auf die Aussagen zweifelhafter Wissenschaftler verlassen, die mehr von Kommunikation als ihrem Fach verstünden. Gärditz stellte das Springer-Blatt »Welt« heraus, das in der Pandemie für ein Ende der Lockdowns geworben hatte. »Da wurden dann Leute gefragt, die vor zehn Jahren das letzte Mal in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, aber das gesagt haben, was die Leser hören wollten«, so Gärditz.

Welche Konsequenzen können daraus auf Landesebene gezogen werden? »Wir müssen die finanziellen Grundlagen und rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, damit Wissenschaft ihre Arbeit machen kann«, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD). Ganz getrennt seien die zwei Sphären aber nicht. Politik müsse auch Empfehlungen aus der Wissenschaft aufnehmen können, dafür brauche es institutionelle Beratungssettings. Jungen Wissenschaftlern sollten Kenntnisse der Wissenschaftskommunikation vermittelt werden, damit sie ihre Erkenntnisse besser verbreiten könnten. »Das ist eine eigene Leistung«, so Czyborra.

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Die Sozialwissenschaftlerin Jutta Allmendinger zieht auch strukturelle Lehren aus der Pandemie. »Es braucht Grundlagenforschung und nicht nur missionsgeleitete Forschung«, sagte sie. Aktuell werden Forschende besonders für anwendungsorientierte Forschung belohnt. Viel Forschung habe aber keinen konkreten Anwendungsbezug – oder zeige diesen erst im Nachhinein. »Das poppt dann in der Krise auf«, so Allmendinger.

Ein konkretes Beispiel nannte Karl Gärditz: Der mRNA-Impfstoff habe seine Wurzeln in biochemischer Forschung in den 80ern. Damals habe man Versuche durchgeführt, ob RNA eines Tieres in ein anderes übertragen werden könne und dort Proteine produziert. »Das war ein eher obskures Feld«, so Gärditz. Erst später sei die Idee aufgekommen, das Verfahren für Impfstoffe zu nutzen. Bis es dazu kam, seien aber noch mal drei Jahrzehnte vergangen, in denen an den Details gefeilt wurde.

»Wenn der Weg einen Kilometer lang war, dann ist Biontech nur die letzten Zentimeter gegangen«, so Gärditz. Für ihn zeige das Beispiel aber auch, dass man nicht zu große Hoffnungen in die Wissenschaftskommunikation stecken sollte: »90 Prozent der Schritte bis dahin könnte man einem Laien eigentlich gar nicht erklären.«

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