Reichinnek und Pellmann setzten sich in Linke-Gruppe knapp durch

Kontrovers in die Zukunft: Die Wahl der neuen Führung offenbart bei den Linke-Abgeordneten zwei fast gleich starke Lager

Am liebsten hätten die beiden Vorsitzenden der Linkspartei ein Zeichen der Harmonie gehabt. Nach dem langen und kräfte- sowie nervenzehrenden Streit in der Linken rund um Sahra Wagenknecht will man nun gern Geschlossenheit demonstrieren. Auf Parteitagen und im Parteivorstand, wo inzwischen viele jüngere Leute mitreden und die Strömung der Bewegungslinken eine Mehrheit hat, funktioniert das ganz gut. In der verbleibenden Bundestagsgruppe, eben erst mit 28 Abgeordneten konstituiert, sieht das anders aus. Denn auch nach dem Abgang von zehn Abgeordneten um Wagenknecht prallen zwei Fronten aufeinander.

Da sind zum einen jene, die eine stärkere Konzentration der Linken auf die soziale Frage, auf die Interessen von Arbeitern, Arbeitslosen, Geringverdienern und Rentnern sowie auf die Bedürfnisse der Menschen in den ostdeutschen Bundesländern verlangen. Damit greifen sie auch einige Kritikpunkte Wagenknechts auf, ohne deshalb die Partei spalten zu wollen. Und da sind auf der anderen Seite jene, die zwar auch das Soziale betonen, aber daneben Felder wie Migrationspolitik, Klima und Geschlechtergerechtigkeit für genauso wichtig halten und eher auf ein jüngeres akademisches, großstädtisches Publikum abzielen.

Genau an dieser inhaltlichen Linie hatten sich vor der Klausur an diesem Montag und Dienstag zwei Kandidatenduos aufgestellt: Zum einen Heidi Reichinnek und Sören Pellmann, zum anderen Clara Bünger und Ates Gürpinar. Reichinnek war frauen- und sozialpolitische Expertin der Linke-Fraktion; Pellmann, der in Leipzig eins der drei überlebenswichtigen Direktmandate holte, der Ostbeauftragte. Bünger kümmert sich um Migrationspolitik; Gürpinar ist neben seinem Bundestagsmandat auch Vizevorsitzender der Partei und seit Jahresanfang kommissarisch einer der beiden Bundesgeschäftsführer und damit Wahlkampfchefs – also ein Vertrauter der beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan. Die wiederum hatten sich auf dem Erfurter Parteitag 2022 bei der Wahl der Vorsitzenden jeweils gegen Reichinnek und Pellmann durchgesetzt.

Keine einfache Konstellation also. Dennoch hatten die Parteichefs während einer Sitzung des Parteivorstands am Sonnabend und auch am Sonntag versucht, zwischen den beiden ost-west-quotierten Duos zu vermitteln. Man wolle eine integrative Lösung, sagte etwa Wissler; Schirdewan sprach von einer möglichst breit getragenen Lösung. Doch es kam anders.

Denn eine Verständigung auf eine gemischte oder – auch auf die Stellvertreterposten bezogene – gemeinsame oder abgestimmte Kandidatur kam nicht zustande. Stattdessen gab es vor den Abstimmungen in der Gruppe lange Debatten hinter verschlossenen Türen; das ganze Verfahren zog sich mehrere Stunden hin und dauerte wesentlich länger als veranschlagt. Es sei gut, dass mal alles auf den Tisch komme, sagte ein Abgeordneter in einer Pause – offenbar gab es sehr viel zu besprechen.

Die Wahl der Vorsitzenden ging so knapp wie nur irgend möglich aus und zeigt dennoch eine Tendenz an. Zunächst setzte sich Heidi Reichinnek gegen Clara Bünger durch – mit 14 zu 13 Stimmen. Da Petra Pau wegen einer Verletzung fehlte, stimmten 27 Abgeordnete ab. Danach weitere Debatten. Auch ein Frauenplenum tagte – die Frauen sind in der Linke-Gruppe in der Mehrheit. Ihre wiederum mehrheitliche Empfehlung an die gesamte Gruppe: eine weibliche Doppelspitze aus Reichinnek und Bünger, um beiden Seiten gerecht zu werden. Um dem nicht im Wege zu stehen, zog Gürpinar seine Bewerbung zurück, Pellmann blieb bei seiner. Haarscharf setzt er sich gegen Bünger durch: erneut 14:13.

Damit hat die Bundestagsgruppe nun eine Führung, die im Kontrast zum Parteivorstand steht. Ob und wie diese Konfliktlinie die Arbeit in der Bundestagsgruppe und das Verhältnis zum Parteivorstand prägt, muss sich zeigen. Die beiden Parteichefs haben jedenfalls erfahren, dass ihre Wünsche nicht einfach so erfüllt werden. »Was wir heute hier hatten, war eine ehrliche Debatte«, versuchte Parteichef Schirdewan die Sache mit Fassung zu tragen. Nach den Abstimmungen war immerhin von ausgestreckten Händen die Rede, man wolle als Team an einem Strang ziehen. Pellmann formulierte es so: »Wir haben nicht so viele Chancen, und wir kriegen es nur gemeinsam hin.« Das hat eine Hälfte der Gruppe offenbar nicht überzeugt.

Was für Gräben zu überwinden sind, lässt auch die Wahl des neuen Parlamentarischen Geschäftsführers erahnen. Einziger Kandidat war der Brandenburger Abgeordnete Christian Görke, der vorher verlauten ließ, er fühle sich keiner Strömung in der Linken zugehörig und wolle dazu beitragen, dass die Bundestagsgruppe ein Team wird, das die politische Konkurrenz unter Feuer nimmt, »anstatt eine Nabelschau innerhalb der eigenen Reihen zu betreiben«. Dafür gab es – ohne Konkurrenz – 16 Für- und 11 Gegenstimmen. Das Team wird sich also wohl erst noch finden müssen. Ob und wie das gelingt, könnte sich schon bei der Wahl der stellvertretenden Gruppenvorsitzenden an diesem Dienstag sowie bei der weiteren inhaltlichen Debatte auf dieser Klausur zeigen.

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