Der Fall Brosius-Gersdorf: Die Drückerkolonnen der AfD

Wolfgang Hübner über den Rückzug der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf von der Kandidatur als Verfassungsrichterin

Hat angesichts einer rechten Hasskampagne Haltung bewiesen: Jura-Professorin Frauke Brosius-Gersdorf
Hat angesichts einer rechten Hasskampagne Haltung bewiesen: Jura-Professorin Frauke Brosius-Gersdorf

Die schwarz-rote Bundesregierung unter Friedrich Merz ist in Rekordzeit dort angekommen, wo die Ampel sich vor ihrem Auseinanderbrechen eingerichtet hatte: im Dauerstreit. Dass es in einer Koalition immer mal Probleme gibt, ist eine Selbstverständlichkeit. Dass aber diese Regierung schon nach wenigen Wochen in einer massiven Konfrontation steckt, lässt für die restlichen dreieinhalb Jahre der Legislaturperiode nichts Gutes ahnen. Der Rückzug der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf von der Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht hat zwar die Auseinandersetzung um ihre Person entschärft, nicht aber den grundsätzlichen Konflikt in der Merz-Klingbeil-Regierung und in der Gesellschaft: Wollen wir ein aufgeklärtes, tolerantes Klima beibehalten bzw. anstreben oder einen Rückfall in stockkonservative Muster zulassen?

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Frauke Brosius-Gersdorf, die von der SPD nominierte Bewerberin für das höchste Gericht in Karlsruhe, ist eher zufällig ins Zentrum dieses politischen Kulturkampfs geraten. Es hätte genauso gut jede andere Person treffen können. Aus durchsichtigen Gründen wurde aus der anerkannten Potsdamer Rechtsprofessorin eine »linksradikale Aktivistin« gemacht; ein aus der Luft gegriffener Vorwurf, der lächerlich sein könnte, wenn es nicht um eine größere Dimension ginge. Falls in der ganzen schmutzigen Angelegenheit Radikale am Werk waren, dann rechtsradikale Onlinemedien, die mit Unterstützung der AfD, eines Teils der Union und konservativer Medien versucht haben, den Ruf einer Wissenschaftlerin zu ruinieren. Mit dem Ziel, gesellschaftliche Leitbilder ins Reaktionäre zu wenden und die SPD zu brüskieren. Kaum ein Thema eignet sich dafür besser als die emotional aufgeladene Frage des Schwangerschaftsabbruchs, der Selbstbestimmung der Frauen. Wo eine sensible Debatte angebracht wäre, kam die Brechstange zum Einsatz. Was würde passieren, wenn mal eine wirklich linke Kandidatin nominiert würde?

Die Frage ist, wer sich künftig das Risiko zumuten möchte, wegen der Kandidatur für ein Amt öffentlich niedergemacht zu werden. Und was eine liberale Öffentlichkeit, die es natürlich gibt, der Wucht der rechten Drückerkolonnen entgegensetzen kann. Denn die Hasskampagne gegen Brosius-Gersdorf hat Maßstäbe gesetzt, im schlechtesten Sinne. Und längst läuft eine weitere, von rechts angeheizte Kampagne gegen die zweite Kandidatin der SPD fürs Bundesverfassungsgericht, die Münchner Juraprofessorin Ann-Katrin Kaufhold.

Das Interesse der AfD und ihrer Hilfstruppen ist klar: Sie wollen verhindern, dass sich im Bundesverfassungsgericht eine liberale Mehrheit bildet, die einem AfD-Verbot aufgeschlossen gegenüberstehen würde. Insofern haben CDU und CSU mit ihrer Unterstützung der rechten Kampagne gegen Brosius-Gersdorf nicht nur mehrere Zusagen gegenüber der SPD gebrochen. Sie haben auch die Drecksarbeit der AfD erledigt – um es mit einem Kanzlerwort zu beschreiben. Das Ganze gehört auch zu einem Trend, bei dem ein Teil der Unionsparteien immer ungenierter eine Offenheit gegenüber rechts außen praktiziert. Und Fraktionschef Jens Spahn ließ das in der Sache Brosius-Gersdorf laufen – wenn er es nicht sogar förderte.

Als Friedrich Merz nach seiner Wahl zum Bundeskanzler seine erste Regierungserklärung abgab, sprach er davon, dass diese Koalition Zusammenhalt in der Gesellschaft stiften, vertrauensvoll zusammenarbeiten und Probleme ohne öffentlichen Streit lösen wolle. Das war am 14. Mai, und es hat sich schon jetzt komplett erledigt. Die Union glaubt, mit einer schwachen SPD so umspringen zu können, weil die sich aus Angst vor der AfD (»staatsbürgerliche Verantwortung«) scheut, die Koalition zu verlassen. Dieser Zustand latenter Erpressung, der nur der AfD nutzt, wird stilbildend wirken und nur schwer wieder auszuräumen sein.

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