Prozess in Koblenz: Selbstüberschätzung und Entschlossenheit

Seit neun Monaten läuft der Prozess gegen rechte Reichsbürger. Vor Gericht tun sie harmlos, doch in abgehörten Telefonaten belasten sie sich selbst

  • Joachim F. Tornau, Koblenz
  • Lesedauer: 5 Min.

Es hört sich an, als müssten nur noch die letzten Details geklärt werden: dass die Männer, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor laufenden Fernsehkameras entführen sollen, auf ihren Jacken den Link zu einer Internetseite tragen; dass die Aushänge, mit denen die Bevölkerung über den Umsturz in Deutschland informiert wird, im Din-A3-Format kopiert werden; dass der Brief, mit dem man sich Russlands Präsident Wladimir Putin andienen will, auch per Fax verschickt wird. So etwas. Und dass man am besten an einem Montag losschlägt, sehr bald: »Wir haben nicht mehr so viel Zeit.«

Am 26. Januar 2022 schalten sich zwei Männer und eine Frau zu einer Telefonkonferenz zusammen. Mehr als eine Stunde lang sprechen sie über ihren Plan, in Deutschland die Verfassung des Kaiserreichs von 1871 wieder einzuführen. Es geht um die konstituierende Versammlung, für die sie auf 277 Männer hoffen. Vor allem aber geht es um das Drumherum: die Entführung von SPD-Politiker Lauterbach sowie den tage-, vielleicht wochenlangen Stromausfall im ganzen Land, mit dem sie Bundesregierung und Medien außer Gefecht setzen wollen. Ganz freimütig unterhält sich das Trio, nur für die Zukunft mahnt die Frau zu etwas mehr Vorsicht: »Jetzt wird es allmählich brenzlig.«

Doch die Polizei hört da bereits mit. Und so mussten sich die promovierte Theologin Elisabeth R. (76), der Finanzbuchhalter Sven B. (56) und der Kleinstadtcomedian Michael H. (44) nun vor Gericht noch einmal anhören, wie sie ihrer Selbstüberschätzung vor zwei Jahren freien Lauf ließen. Im Terrorprozess gegen die »Vereinten Patrioten« spielte das Oberlandesgericht in Koblenz den Mitschnitt in voller Länge ab. Mit der Verteidigungsstrategie der rechten Möchtegern-Umstürzler*innen aus dem Milieu der »Reichsbürger« und Corona-Leugner*innen lässt sich das, was es da zu hören gab, nur schwerlich in Einklang bringen.

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Die Drei von der Telefonkonferenz müssen sich zusammen mit zwei weiteren Männern vor dem Staatsschutzsenat verantworten: mit Thomas O. (57), einem früheren Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR, und dem ebenfalls aus der DDR stammenden Bahnarbeiter Thomas K. (52). Beide sollen wie Sven B., auch er war einst NVA-Offizier, laut Bundesanwaltschaft dem »militärischen Zweig« der Gruppe angehört haben. Seit neun Monaten wird verhandelt. Unterdessen gehen die Ermittlungen weiter; seit dem Herbst sitzen sechs weitere mutmaßlich Beteiligte in Untersuchungshaft.

Glaubt man indes den Angeklagten, die sich bis auf Thomas O. mittlerweile sämtlich zu den Vorwürfen geäußert haben, dann existierte gar keine richtige Gruppe. Oder es gab sie, aber sie gehörten nicht dazu. Und wenn doch, dann seien die Umsturzpläne allenfalls Gedankenspiele gewesen. Nicht ausgereift, fern der Umsetzung. Dass alle Angeklagten weit von sich weisen, Rechtsextreme zu sein, versteht sich da fast schon von selbst.

»Alle haben nur Blödsinn erzählt«, beteuerte Michael H. in dieser Woche erneut. »Es war niemand zum Handeln bereit.« Und er selbst? Habe sich bloß informieren wollen und Informationen weitergegeben. In der Corona-Pandemie war der Comedian mit Videointerviews für das querdenkerische und verschwörungsideologische Publikum hervorgetreten. Das Motto: »Nix ist, wie es scheint.« Es soll, wenn es nach ihm geht, wohl auch für die Telefonkonferenz mit all ihrer offen zur Schau gestellten Entschlossenheit gelten.

Das Verfahren ist zäh. Mehr als 40 Verhandlungstage sind bereits vergangen, weitere 50 bis Ende September noch angesetzt. Erst durfte sich Sven B., der aus unübersehbarem Stolz immer wieder bereitwillig Auskunft gibt, schier endlos in rechter Selbstgerechtigkeit ergehen. Dann dozierte die ehemalige Lehrerin Elisabeth R. über ihr zutiefst antisemitisches Weltbild. Ganze sieben Tage lang ertrug das der Senat. Und ebenso lang wurde schließlich, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ein in die Gruppe eingeschleuster verdeckter Ermittler befragt.

Weil er einen vorgetäuschten Waffendeal einfädelte, der im April 2022 in die Festnahme der vier männlichen Angeklagten mündete, ist der Mann für die Verteidigung zentraler Angriffspunkt: Ohne ihn, behaupten sie, hätten sich die »Vereinten Patrioten« gar nicht bewaffnet. Von einer »Inszenierung des Verfassungsschutzes« pflegen die Angeklagten zu sprechen.

Allerdings, auch das belegen abgehörte Telefonate: Ihr Interesse an Kalaschnikows und Pistolen, an Schlagringen und Schlagstöcken war groß. Und sie setzten dabei offenbar keineswegs nur auf den verdeckten Ermittler. So soll auch einer der im Herbst verhafteten weiteren Tatverdächtigen angeboten haben, in großem Stil Waffen aus Kroatien zu beschaffen.

Um die Energieversorgung lahmzulegen, waren laut Anklage Anschläge auf Strommasten und Umspannwerke geplant, mit selbstgebasteltem Sprengstoff, mit Handgranaten oder Bazookas. Doch auch hier überschätzten die »Vereinten Patrioten« wohl ihre Fähigkeiten, wie ein Sachverständiger des rheinland-pfälzischen Landeskriminalamts erklärte: Funktioniert, sagte der Experte, hätte das alles nicht. »Stahlsprengerei ist nicht einfach.«

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