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Herkuleskäfer in Kolumbien: Die Humusmacher

Der Umweltingenieur Germán Viasus Tibamoso stellt in Kolumbien mittels der Larven des Herkuleskäfers große Mengen Kompost her

  • Knut Henkel, Tunja
  • Lesedauer: 6 Min.
Herkuleskäfer werden bis zu 17 Zentimeter groß. Nur die Männchen tragen ein Horn.
Herkuleskäfer werden bis zu 17 Zentimeter groß. Nur die Männchen tragen ein Horn.

Das 4500 Quadratmeter große Grundstück von Tierra Viva liegt in einer Senke. »Boyacá ist ein Departamento, das von der Landwirtschaft lebt und wo Dünger gefragt ist. Für uns ein Vorteil«, erklärt Germán Viasus Tibamoso und lenkt den klapprigen Geländewagen geschickt den Feldweg den Hügel hinunter. Vor einer Halle, an deren Tor ein Aufkleber mit dem Schriftzug »Produktionszone« prangt, hält er an und steigt aus.

Der 53-jährige Umweltingenieur, ein hagerer Typ mit schütterem Haupthaar, schließt die Halle auf, und fünf lange betonierte Mulden kommen zum Vorschein – alle sind randvoll mit organischen Abfällen gefüllt. »Jede der fünf Kammern hat Platz für 60 Tonnen Biomüll. Jeden Monat füllen wir eine Kammer auf, durch die sich dann Käferlarven fressen«, erklärt Tibamoso mit einem scheuen Lächeln. Bis zu 20 Zentimeter lang und 100 Gramm schwer sind die Larven des Herkuleskäfers, die eigentlich im modrigen Holz leben, aber mit Biomüll ebenso klarkommen. »Vier Monate braucht es, bis die Kompostierung abgeschlossen ist«, erklärt der Umweltingenieur. »Dann sieben wir den Kompost, separieren die dicken Larven und jungen Käfer vom Kompost und vom Restmüll.

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Die Abläufe hat er in der Praxis optimiert und immer wieder angepasst, sodass sie jetzt standardisiert in der Kompostfabrik ablaufen. Auf die effektiven Larven ist Tibamoso zufällig gekommen, als er mit Regenwürmern experimentierte. «Das war vor gut 20 Jahren. Da haben wir in Kolumbien mit der Mülltrennung angefangen, und immer größere Mengen Bioabfälle sind aus den kolumbianischen Haushalten angefallen. Die galt es zu nutzen. Wir vertrauten anfangs dabei – wie viele andere Länder auch – den Regenwürmern», erinnert er sich. Doch mit den Ergebnissen der rot-bräunlichen Würmer war er nicht zufrieden. «Die Leistung der Regenwürmer war mager. Dann bin ich aber auf die Larven der Herkuleskäfer gestoßen. Das war im Jahr 2000, und seitdem beschäftige ich mich mit den größten Käfern der Welt.

Bis zu 17 Zentimeter werden die Gliederfüßer groß. Tibamoso hat recherchiert, dass es 375 000 verschiedene Spezies gibt, die vorwiegend in Regenwäldern leben. Er arbeitet mit seinem achtköpfigen Team mit einer Unterart, die exzellente Ergebnisse bei der Kompostierung liefert. Tests haben ergeben, dass die Käfer in allen Klimazonen Kolumbiens gute Resultate bringen: »Bei 3 und bei 38 Grad. Die Studien dazu haben wir dem Instituto Nacional Agropecuario (Nationales landwirtschaftliches Institut) gesendet. Dort wurde unser Verfahren registriert und zertifiziert.« Tibamoso geht mit wissenschaftlicher Akribie an die Arbeit.

120 bis 150 Tonnen Kompost produzieren die fleißigen Käferlarven für Tierra Viva im Jahr. Die Nachfrage sei da, meint Tibamoso. Manchmal verkaufe sich die Produktion nicht komplett, aber der Kompost lasse sich lagern. Er hofft zudem auf die Regierung in Bogotá. Die hat nämlich angekündigt, Kleinbauern und eine nachhaltige Landwirtschaft ganz oben auf die Agenda zu setzen.

Bisher ist Kolumbien ein Nachzügler beim Biolandbau im Vergleich zu Ländern wie Argentinien, dem Nachbarn Ecuador oder auch Peru. Das soll sich ändern. Ein Faktor dabei könnte der stark gestiegene Preis für chemischen Dünger sein. Der hat sich in Lateinamerika je nach Region seit 2020 verdoppelt oder verdreifacht. Das weiß auch der Chef von Tierra Viva: »Unser Preis für 50 Zentner Herkuleskäfer-Kompost liegt bei etwa 20 US-Dollar. Das ist in etwa die Hälfte des Preises für die gleiche Menge chemischen Düngers.« Und der Biokompost ist reich an Nährstoffen. »Er enthält Nitrat, Phosphor und Kalium in höher Konzentration. Hinzu kommen Calcium, Magnesium, Bor und andere. Das haben wir von Laboren bestätigen lassen.«

Noch verkauft Tierra Viva seinen Kompost hauptsächlich in der Region Tunja. Zu den Abnehmern gehören vor allem kleine Produzenten. Biobetriebe aus der Region, die Tomaten, Paprika, Gurken und anderes Gemüse anbauen, sowie ein paar Kaffeebauern in den Verwaltungsbezirken Caldas und Tolima. Für Werbung fehlt dem Unternehmen das Geld. Also setzt Tibamoso auf Online-Präsenz und hofft auf staatliche Förderungen.

Das kann aber dauern, denn die Regierung von Gustavo Petro steht in Bogotá unter Druck. Sie hat keine parlamentarische Mehrheit und bei den Kommunalwahlen im vergangenen Oktober an Rückhalt verloren. Für die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und des Biolandbaus war das ein Dämpfer. Dabei hat Kolumbien exzellente Voraussetzungen, um den Düngemittelbedarf komplett auf bio umzustellen, meint Tibamoso: »Wenn man den kompletten Bioabfall des Landes mit unserem Verfahren kompostieren würde, könnten theoretisch 3,6 Millionen Tonnen Biodünger gewonnen werden«, so seine Berechnungen.

Derzeit liegt der Einsatz chemischer Düngemittel in Kolumbien bei rund 1,8 Millionen Tonnen. Selbst für den Export wäre noch einiges übrig. Warum Kolumbien so große Mengen Kompost produzieren könnte, liegt auf der Hand: »Rund die Hälfte des anfallenden Hausmülls in Kolumbien ist organisch«, erläutert Tibamoso. »In vielen Städten und Gemeinden gibt es Kompostierungsanlagen. Doch nach einem Boom vor rund zehn Jahren funktionieren sie heute oft nicht mehr.«

Fehlendes Personal sei ein Grund, die Korruption ein anderer. »Das ist ein zentrales Problem in Kolumbien«, sagt er. »Auch wir haben damit zu tun.« Tierra Viva wird nämlich nur von einigen Abfallunternehmen mit Biomüll versorgt, obwohl alle Gemeinden gesetzlich zur Mülltrennung verpflichtet sind. Viele pochen auf eine Gegenleistung für eine Lieferung. Aber auf solche Spielchen will sich Tibamoso nicht einlassen und greift nur auf die Lieferanten zurück, die sauber sind.

Er setzt auf Transparenz und betont den ökologischen Ansatz seines Unternehmens. Auf 2500 der 4500 Quadratmeter großen Betriebsfläche hat Tibamoso mit seinem Team ein kleines Schutzgebiet entstehen lassen, wo Bäume aus der Region wachsen und Kolibris herumfliegen. Das macht Eindruck bei Besuchern. Dazu gehören auch Studierende, die Praktika absolvieren und Hausarbeiten über das Unternehmen und dessen fleißige Käferlarven schreiben. Demnächst will Tibamoso in ein eigenes Labor investieren, dann kann er den Kontakt mit den Universitäten ausbauen.

Neben der Kompostierung hat der 53-Jährige noch ein zweites Standbein geschaffen. Die bis zu 17 Zentimeter großen Herkuleskäfer-Männchen mit den langen Hörnern exportiert er nach Japan, wo diese als Haustiere gehalten werden. In Asien genauso wie im benachbarten Ecuador gilt: Je größer ein Tier, desto teurer ist es. Während in Ecuador bis zu 40 US-Dollar pro Exemplar gezahlt werden, sind in Japan Summen von 300 US-Dollar und mehr keine Seltenheit. Für den Käferexport hat der gewiefte Ingenieur eine ausgeklügelte Versand-Infrastruktur aufgebaut.

Gleiches gilt für sein Kerngeschäft: den Dünger. Den gibt es in fester Form und auch flüssig, vom kleinen Pack bis zum 50-Zentner-Sack, von der 250-Milliliter-Flasche bis zum 20-Liter-Fass. Die Infrastruktur steht, sieben Angestellte kümmern sich um die Verwaltung seines Betriebes. Nun hofft der Herr der Herkuleskäfer auf staatliche Unterstützung. Doch erst mal entfernt er einen der stattlichen Käfer von seiner Jacke. Dann setzt er ihn zurück in eine Box mit Holzspänen. In zwei Tagen soll das Prachtexemplar im Spezialkarton per Flieger nach Tokio gehen.

Ohne Dünger eine schlechte Ernte

Pflanzen benötigen neben ausreichend Wasser Nährstoffe, um wachsen zu können, zum Beispiel Stickstoff, Phosphat, Kalium sowie Spuren­elemente, darunter Kupfer und Zink. Das ist die Voraussetzung, um hohe Erträge in guter Qualität zu erzielen. Das Gros der Pflanzen nimmt die Nährstoffe und Spurenelemente über das Wurzelgeflecht aus dem Boden auf. Dabei spielt der Humusgehalt eine elementare Rolle. Humus liefert die Nährstoffe, die die Pflanze braucht, und bindet zudem Feuchtigkeit.
 Ein hoher Humusgehalt ist somit entscheidend für die nächste Ernte. Deshalb muss der Boden die Nährstoffe, die ihm mit der Ernte der Feldfrüchte entzogen werden, zurückerhalten, um seine Fruchtbarkeit zu bewahren. Dabei kommen Düngemittel zum Einsatz – hierbei wird zwischen minera­­lischen und organischen Düngemitteln unterschieden. Zu den organischen gehören tierische Ausscheidungen wie Gülle oder Stallmist, aber auch Gründünger, Mulch sowie kompostierte Bioabfälle.
 Die Produktion von synthetischen Mineraldüngemitteln ist dagegen extrem energieaufwendig. Diese Dünger enthalten auch Schwermetalle wie Blei, Cadmium oder Quecksilber. Durch den Angriffskrieg Russ­lands auf die Ukraine, beides große Hersteller von Kunstdünger, sind die Preise für synthetische Düngemittel explodiert und haben sich verdoppelt, teilweise verdreifacht. Dadurch könnte die Nachfrage nach Biodünger steigen. khe

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