»Mein Rudi nennt mich die Königin von Auschwitz!«

Jonathan Glazers Film »The Zone of Interest« kommt in die Kinos des Tätervolks

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 7 Min.
Stimmiges Interieur, vornehme Kleidung, Spiegel ohne Gesicht: Sandra Hüller als Hedwig Höß
Stimmiges Interieur, vornehme Kleidung, Spiegel ohne Gesicht: Sandra Hüller als Hedwig Höß

Am Anfang macht Rudi Picknick mit der Familie am Fluss. Die Sonne scheint. Man planscht. Er sinniert, Oberkörper frei, den Himmel im Blick. Die zwei Buben und die zwei Mädel werden liebevoll gemaßregelt. Dann geht’s querfeldein über Stock und Stein zurück ins Eigenheim.

Am Ende ist Rudi allein und in Uniform. Nachts stapft er in einem großen gefliesten Treppenhaus Stufe für Stufe nach unten. Zweimal muss er sich übergeben; diskret und im Stehen. Zwischen den zwei Kotz-Stopps gibt es einen Schnitt, der macht einen Zeitsprung um 80 Jahre: Man sieht eine Gruppe Frauen mit Staubsaugern und Putztüchern. Sie bereiten Ausstellungsräume für Besucher vor, wischen Scheiben, hinter denen unzählige Schuhe aufeinanderliegen, sie entfernen Staub vor den Brennöfen eines Krematoriums.

Rudi, so nennt Mutzi, eigentlich Hedwig, ihren Mann, den Rudolf, Nachname Höß. Von Berufs wegen war er Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz in den Jahren 1940 bis 1943. Christian Friedel und Sandra Hüller spielen in dem Film »The Zone of Interest« ein deutsches Ehepaar: Sie schlafen im selben Raum, aber in getrennten Betten. Er denkt nur an die Arbeit, sie dirigiert die Angestellten im Haus und lässt pedantisch den repräsentativen Garten pflegen. Den Kindern zeigen sie pflichtgemäß Zuneigung. Und hinter den Mauern ihres spießigen Idylls wird mehr als eine Million Menschen ermordet.

»The Zone of Interest« beruht sehr lose auf dem gleichnamigen Roman des britischen Romanciers Martin Amis, der letztes Jahr verstarb. Sein deutsches Stammhaus Hanser wollte das Buch nicht; es erschien schließlich bei Kein & Aber in Österreich. Dem Münchner Verlag war es wohl zu heikel, einen Text zu veröffentlichen, in dem ein SS-Mann Höß’ Ehefrau verführt, woraufhin der Lagerkommandant Szmul, ein Mitglied des Sonderkommandos in Auschwitz, damit beauftragt, sie umzubringen.

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Die Betrugsgeschichte, ein jüdischer Protagonist, das fehlt in Jonathan Glazers Film. Der Regisseur wurde in 90er Jahren mit aufwendigen Musik-videos bekannt, u. a. für Radiohead und Massive Attack. Bislang drehte er vier Spielfilme. Im letzten, »Under the Skin« von 2013, besucht Scarlett Johannson als Alien die Erde und versteht die Menschengesellschaft nicht. Er ist, wenn man so will, Experte für Entfremdung in kalter Optik.

Glazers Film ist für sage und schreibe fünf Oscars nominiert. In Cannes wurde er mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet. Die internationale Presse feierte ihn als künstlerischen Triumph. Der britische »Guardian« titelte: »Jonathan Glazers Auschwitz-Drama ist ein brutales Meisterwerk.«

»The Zone of Interest« ist nicht so sehr aus Täter-Perspektive gedreht, sondern baut Perspektiven auf Täter. Es geht um die Alltäglichkeit im Grauen, apathische Routinen, den Bunker einer Kleinfamilie. Bilder für die Banalität des Bösen zu finden, lautet die große Aufgabe. Aber der Schrecken des Konzentrationslagers wird hier auf eine künstlerisch anspruchsvolle Weise gedämpft: Wir müssen schon verstehen, was wir nicht sehen dürfen, und warum das so richtig ist. Ein Teenager meinte nach der Aufführung zu seinen Freunden: »Die Outfits in dem Film waren schon hart. Der Rest nicht so.«

Der Film ist streng kadriert. Kameramann Łukasz Żal arbeitet mit einer Bildsprache, die an Videoüberwachung oder versteckte Kameras erinnert. Eine klaustrophobische Enge im blitzeblanken Hause Höß wird durch Blickwinkel erzeugt, die den Zuschauer zum Eindringling werden lassen. Aber Indiskretes lässt sich kaum beobachten. Voyeure werden nicht bedient.

Es gibt keine Bilder aus dem Lager. Nachts rauchen die Schornsteine, man sieht Truppen hinterm Gittertor des Anwesens der Familie patrouillieren. Einmal werden Häftlinge durch die Felder gescheucht, während Vater und Sohn Höß einen Reitausflug machen. Die Grausamkeiten werden über den Sound vermittelt. Man hört Schüsse, Schreie, Flehen, Befehle, bekommt aber kein Opfer zu Gesicht. Das Außen des Familienidylls ist ein stetes Dröhnen – eine Bedrohung, und doch keine reelle für den Kommandanten, den Schreibtischtäter.

Dem Film wird oft zugute gehalten, keine Leidenspornografie zu betreiben. Das stimmt. Aber im Vertrauen auf das Sound Design wird das Leiden selbst durch eine konkrete ästhetische Entscheidung ein abstraktes Grauen, ein grässliches Hintergrundrauschen, das ferne Böse. Dies Hören-Müssen ist eine Marter, aber man versteht schon recht schnell, was der Film damit meint, zu verstehen gibt: die Ignoranz, das Nicht-Sehen-Wollen hält das Leid mit in der Welt. Todesschreie und Vogelgezwitscher wechseln sich ab.

Im ersten Drittel des Films kommen zwei Herren von der Erfurter Firma Topf & Söhne zu Besuch. Sie bauen die Krematorien für Auschwitz. Die beiden erinnern an Vorwerk-Vertreter, wenn sie die Effizienz ihres Produkts anpreisen, empfinden Freude an der Technik der Vernichtung bei Kaffee und Kuchen. Der Massenmord nebenan stört nicht weiter, gehört zum Geschäft. Die SS-Runen ersetzen als Autokennzeichen die Städtekürzel, prangen als Logo auf einem Sportoberteil, das Hakenkreuz ist nur ein paarmal zu sehen. So werden sie tatsächlich mehr Störung als historisches Dekor.

Der Tod und die Verbrechen dringen in kleinen Szenen in diese Simulation einer heilen Welt ein: Der ältere Höß-Sohn spielt mit Goldzähnen nachts im Bett. Bei einem zweiten Ausflug angelt Höß Senior einen menschlichen Schädelknochen, zieht die Kinder im Boot im strömenden Regen nach Hause und lässt sie so gründlich waschen, wie es geht. Hedwigs Mutter hält es nicht aus bei ihrem Besuch in Auschwitz. Sie verschwindet über Nacht tonlos und hinterlässt ihrer Tochter nur einen Zettel, den wir nicht zu lesen bekommen. Danach droht Hedwig einer polnischen Haushälterin, dass ihr Mann sie jederzeit in Asche verwandeln könne.

Hüller spielt eine albtraumhafte deutsche Mutter. Sie verteilt Kleider von enteigneten, ermordeten Jüdinnen in ihrem Haushalt. Dann probiert sie einen Pelzmantel an, als ob es das Natürlichste auf der Welt wäre. Der Kommandant schließt nachts sämtliche Türen in seinem Haus ab, löscht alle Lichter, als ob er sparen müsste. Natürlich wird in »The Zone of Interest« kein Mitgefühl erzeugt für den schizoid-apathischen Höß und seine Frau, die für ein vorbildliches Haus in Kauf nimmt, in einem KZ zu wohnen, die Vorhut sein will fürs deutsche Wohnen im neuen Lebensraum im Osten. Friedel spielt abweisend und plausibel einen Mann, der sich nie durch die Augen anderer sehen konnte; Hüller gleichfalls brillant eine Frau, für die alles auf der Welt, was sie an ein Außerhalb ihrer selbst, an die eigene Ohnmacht erinnert, als Dreck erscheint, den man vernichten kann.

»The Zone of Interest« ist ein Versuch über den, mit dem und gegen den schönen Schein, ist eine verständige Verwendung filmischer Mittel. Man begreift, wie Kamera, Sound, Schauspiel, Dialoge und Drehbuch die grausame Apathie vermitteln wollen, mit der es möglich war, Millionen von Menschen ermorden zu lassen, die nur ein paar Minuten zu Fuß entfernt sich zu Tode schufteten. Die kindliche Faszination von Höß für Effizienz, Hedwigs Ausbrüche als frustrierte Hausfrau, das blöde Plappern, die Einsilbigkeit – all das ist kleinbürgerlich, erbärmlich, mörderisch. Trotzdem macht Glazer mit seinem Film einem Publikum einen Gefallen, das sich mit dieser Banalität gerne zufriedengibt. Denn er ästhetisiert, stellt das Medium Film auf eine Weise aus, die suggeriert: Hier wurde eine adäquate künstlerische Antwort auf die Frage nach der Banalität des Bösen gefunden.

Somit ist »The Zone of Interest« ein in mindestens fünf Kategorien gelungenes, in fünf Sparten preiswürdiges Werk. Unbehaglich ist aber auch diese ästhetische Souveränität – ein Film, den Kunstsinnige kontrolliert loben können. Ob er seine Zuschauer verfolgen wird, bleibt deshalb fraglich.

»Zone of Interest«, USA, UK, Polen 2023. Regie und Drehbuch: Jonathan Glazer. Mit Christian Friedl, Sandra Hüller, Imogen Kogge. 106 Min. Ab heute im Kino

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