Daten fressen Seele auf? »Beta« in der Deutschen Oper Berlin

Die Deutsche Oper Berlin hat mit »Beta« zurzeit »investigatives Musiktheater« im Angebot

  • Maximilian Schäffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Optisch mag die Bühne in der Deutschen Oper beeindrucken, die zerklitterte Inszenierung tut es jedenfalls nicht.
Optisch mag die Bühne in der Deutschen Oper beeindrucken, die zerklitterte Inszenierung tut es jedenfalls nicht.

Was ein »investigatives Musiktheater« ist, zeigt jetzt die Deutsche Oper Berlin in ihrem kleinen Saal, der »Tischlerei«: »Beta« ist eine Zusammenarbeit der 35-jährigen russischen Komponistin und Sängerin Dariya Maminova und der 45-jährigen deutschen Regisseurin, Journalistin und Schauspielerin Christiane Mudra. 100 Minuten lang, in einem Akt ohne Pause, widmet sich das Stück dem Themenfeld »Big Data und KI«. Es geht um die zeitgenössischen »Silicon Boys«, ein Begriff nach dem Sachbuch des Journalisten David A. Kaplan: Das sind Elon Musk, Bill Gates, Mark Zuckerberg. Es geht um die superreichen Besitzer von US-amerikanischen Technologieunternehmen, um deren Allmacht und Arroganz. Es geht um Datenschutz und Datenmissbrauch. Es geht um menschliche Selbstoptimierung und Eugenik. Es geht um Kapitalismus und Demokratie. Es geht um Nachrichten und Falschnachrichten. Es geht um Science und Fiction. Alles hochaktuelle und fürs Breitenpublikum dankbare Fragestellungen, die im Opernbetrieb – zumindest oberflächlich – oft Wassernixen, Elfen und Rittern weichen müssen.

Harte Fakten also? Texterin Mudra hat sich selbst den Markennamen »investigative theater« zu eigen gemacht. Sie arbeitet regelmäßig in Langzeitrecherche-Projekten und entwickelt mit den gesammelten Informationen dann multimediale Performances. Zuletzt ging es ihr in »Hotel Utopia«, aufgeführt in München und Berlin, um die Werthaftigkeit von Reisepässen. Komponistin Maminova arbeitet mit Computer und Synthesizer sowie klassischen analogen Instrumenten konsequent genreübrgreifend und an den Grenzen von E- und U-Musik – insofern es diese überhaupt gibt.

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Beim Einlass bekommen die Zuschauer einen drahtlosen, weißen Abstimmungswürfel mit Display in die Hand. Mit diesem kann nun (vorgeblich) der Verlauf der Handlung durch einfache Mehrheiten beeinflusst werden. In der Halle erwartet das Publikum ein Bühnenbild, das mit seinem futuristischen Minimalismus stark an die Ästhetik der Spielfilme »Tron« (1982) und »The Matrix« (1999) erinnert. Zentral bilden beleuchtete Plastikbögen eine Art Mittelgang, links und rechts davon die Tribünen, auf drei Seiten Videoprojektionen, und sozusagen an der Stirnseite steht das fünfköpfigee Musikerensemble. Dirigiert von Elda Laro spielen Piano und Cembalo (Jessica Rucinski), Violine (Yukari Aotani-Riehl), Viola (Juan Lucas Aisemberg), Kontrabass (Martin Schaal) sowie Schlagwerk (Thomas Döringer) zu getriggerten Sequenzen aus der digitalen Konserve.

In beleuchtetem Ganzkörperanzug erscheint Solistin Hye-Young Moon. Sie spielt den Cyborg Lou, geplagt von Datenüberschuss und fehlerhaftem Betriebssystem im Vorserienstatus. Sirenenhaft singt sie pseudometaphysisches Tech-Gebrabbel über anämisches Klang-Dekor. Maminovas Streicherflächen lassen sich von emotiver Filmmusik kaum unterscheiden, mögen an die Neoromantik von Wendy Carlos (die den Soundtrack zu »Tron« komponierte), technoide Clubmusik und die West-Coast-Synthesizer-Arpeggien von Suzanne Ciani erinnern.

Gleich werden die Abstimmungswürfel benutzt, für Fragen zu Datensicherheit und Online-Verhalten: »Benutzen Sie vorrangig Whatsapp zur Kommunikation?« Ergebnisse werden live auf die Leinwand projiziert, die Zuschauer mögen solche Taschenspielertricks der Inszenierung nur ein-, zweimal leiden, scheinen im Verlauf der doch recht dürftigen Handlung eher unbeeindruckt von der technischen Nabelschau.

Um was es Mudra inhaltlich geht, bleibt zwar keineswegs unklar, ist aber weder besonders »investigativ« noch gibt sie sich besonders viel Mühe um künstlerische Vermittlung. Quantitativ strömen einfache Fakten aus unserer Welt, der Welt des Daten-Ogliopols ins Ohr. Der Tenor ist hier immer der gleiche: pervers, menschenverachtend, apokalyptisch. Wer den Ernst der Lage also nicht erkannt hat, kriegt ihn hier ins Hirn gemeißelt. Zuckerberg ist ein Sklaventreiber, Musk ein libertärer Amoralist, Gates ein gieriger Heuchler. Zitate von Ayn Rand und Nick Land werden serviert – zwei programmatisch asoziale Schreckgespenster liberaler Demokraten. Letztere sollen aber auch ihr Fett wegbekommen, so blind auf dem mitte-linken Auge möchte sich Mudra nicht geben und führt deswegen die Figur der Clara Sanders ein, einer es gut meinenden, aber konsequent aaligen Politikerin für digitale Angelegenheiten. Weil der freie Markt auch die Sozialdemokratie regelt, schneidet sie sich mit ihrem Binär-Optimismus ins eigene Fleisch: Kaufbare KIs manipulieren die öffentliche Meinung auch im Sinne der Rechtsradikalen. Und die profitieren, weil im Überwachungskapitalismus im Privaten immer alles für Geld erhältlich ist, während alles Öffentliche verfällt. Zuckerberg-Parodie Julian Zapp (Simon Mantei) hingegen bewegt sich jenseits jeder konservativen Moral auf dem Weg zum neuen Menschen in Richtung genetische Auslese.

Es mag ebenso an der doch recht zerklitterten Dramaturgie von Carolin Müller-Dohle liegen, dass die Ansätze einer Game-Show, vermischt mit einem Politkrimi und der persönlichen Tragödie eines Cyborgs alle im Sande verlaufen. Bis auf redundant Anklagendes im Jargon eines K-Gruppen-Readers in Schwarz-Weiß wird sprachlich und narrativ kaum etwas geboten. Dabei hätte sich doch gerade das eigene Milieu – ein Kulturbetrieb, der mit und ohne AI-Geblubber selbst nur noch krisenhafte Leere generiert – dringend zu reflektieren angeboten. »Beta« verbleibt in seinen eigenen Klischees, ist ein doch recht langweiliges, halbgares Lehrstück geworden, das aber den moralischen Zeigefinger beständig bis hoch in den Mastdarm steckt. Auch die Todsünde bemühter Demokraten heißt Überheblichkeit.

Nächste Vorstellungen: 1. und 2. 3., https://deutscheoperberlin.de/de_DE/production/beta.1341640

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