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Tesla in Grünheide: Jobs oder Wald?

Am Tesla-Standort in Ostbrandenburg prallen widersprüchliche Interessen aufeinander

Die einen begehen Anschläge und wollen »die komplette Zerstörung der Gigafactory«, andere nur ihre Erweiterung verhindern. Der Elektroautobauer selbst will mit einem Ausbau der Fabrik die Produktionskapazitäten auf eine Million Autos im Jahr verdoppeln. Die Belegschaft könnte dann von derzeit etwa 13 000 auf 22 500 Mitarbeiter*innen steigen. Dabei reden fast alle Akteur*innen im vermeintlichen Interesse von Klimaschutz und Beschäftigten. Dass diese jedoch ganz unterschiedlich interpretiert werden, schien die letzten Wochen immer wieder auf.

Für großes Aufsehen sorgte Ende Februar die Befragung der Einwohner*innen der Gemeinde Grünheide. Sie lehnten bei einer recht hohen Wahlbeteiligung die Erweiterung des Tesla-Werkes mit einer Mehrheit von 65 Prozent ab. Die liegt damit zunächst auf Eis, denn die Gemeindevertretung Grünheides, die an diesen Entscheid rechtlich nicht gebunden ist, hat erklärt, den Bebauungsplan wie bisher angedacht nicht umsetzen zu wollen. Wie es hier auf der baurechtlichen Ebene weitergehen wird, ist offen. Ebenso wie die Beweggründe der Anwohner*innen, sich mehrheitlich gegen eine Expansion auszusprechen.

Auf dem 100 Hektar großen Waldstück, welches der Erweiterung zum Opfer fallen soll, haben Klimaktivist*innen Station bezogen. Als Initiative »Tesla Stoppen« halten sie mit Baumhäusern die Fläche besetzt. Sie würden nicht darauf vertrauen, dass die Landes- und Kommunalpolitik dem Anwohner*innenwillen folgen, erklären sie und haben deshalb Initiative ergriffen. »Es geht uns vor allem ums Wasser und darum, die Erweiterung zu stoppen«, sagt eine Sprecherin »nd«. Ihr Kampf habe eine globale Perspektive: »Die Wasserkämpfe werden in der Zukunft zunehmen.« Entlang der Lieferkette von Tesla werde die Verbindung deutlich, etwa wenn man sich den wasserintensiven Abbau von Lithium in Südamerika anschaue, das man für die Batterien der hier montierten Autos benötige.

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Die Aktivist*innen von »Tesla Stoppen« erklären, sie würden im Sinne der »Arbeiter*innen hier und weltweit« handeln, sie begrüßen bessere Arbeitsbedingungen für die Tesla-Belegschaft. Dennoch sprechen sie sich gegen Tesla allgemein aus. Statt E-SUVs für den Individualverkehr herzustellen, sollte die Fabrik in Grünheide für die Verkehrswende umgerüstet werden, zum Beispiel zur Produktion von Elektrobussen, wie es auch der Bündnispartner »Tesla den Hahn abdrehen« vorschlägt. Auch »Tesla den Hahn abdrehen« stellt sich gegen die Erweiterung. Auf seiner Webseite stellt es »Hilfsangebote für Tesla-Beschäftigte« bereit. Man wolle gemeinsam »für bessere Arbeitsbedingungen, Tarifverträge, freie gewerkschaftliche Organisierung und den Erhalt des Planeten« kämpfen.

Doch die im Werk dominierende Gewerkschaft IG Metall ist für die Expansion – »eine Differenz, mit der man arbeiten kann«, sagt die Sprecherin von »Tesla Stoppen«. Die IG Metall erklärte, den Ausbau des Werkes zu unterstützen, »durch den tausende Arbeitsplätze in der Autoindustrie entstehen«. Eine Erweiterung mit einer Nahezu-Verdoppelung an Industrie-Arbeitsplätzen wäre ein Gewinn, so Gewerkschaftssekretät Dirk Schulze – allerdings sei mehr Dialog seitens Tesla notwendig, um die Anwohner*innen zu gewinnen. Viele würden den Autobauer mit schlechten Arbeitsbedingungen in Verbindung bringen.

Auch Alexander Schirp, Geschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, befürwortet den Werksausbau. »Mancher wird vielleicht noch den Tag verfluchen, an dem er das Kreuz an der falschen Stelle gemacht hat«, kommentierte er die Bürgerbefragung. Durch den Güterbahnhof würde die Logistik auf die Schiene verlagert, weniger Lastkraftwagen würden durch die Gemeinde Grünheide rollen. Für Schirp ist Tesla »eine enorme Erfolgsgeschichte«, im Zuge derer eine regionale Wertschöpfungskette entstanden sei. Schirp sagt, Tesla gebe jungen Menschen mit Migrationsgeschichte und geringer Qualifikation aus dem nahen Berlin eine Chance, auf die sich andere Unternehmen in Brandenburg nicht so schnell einlassen würden. Der US-Konzern stelle sie probeweise ein und behalte diejenigen, die sich bewähren. Das könnte ein Vorbild für andere Betriebe sein.

Doch ist es überhaupt sinnvoll, angesichts der Arbeitskräfteknappheit weiteres Wirtschaftswachstum in der Region zu forcieren? Nirgends in Deutschland hat sich die Wirtschaft so entwickelt wie in Brandenburg, mit einem Wachstum von vier Prozent. Die Agentur für Arbeit in Frankfurt (Oder) sagte dem »nd« hierzu, dass man bisher 1540 Arbeitslose in ein Dauerarbeitsverhältnis bei Tesla vermittelt habe, davon etwa die Hälfte aus der Langzeitarbeitslosigkeit. Und die Arbeitslosigkeit liege in Ostbrandenburg noch immer über dem Bundesdurchschnitt. Zudem spanne sich der Einzugsbereich von Berlin bis nach Polen.

Die Landespolitik hat sich in der Vergangenheit darum bemüht, den Ansprüchen von Elon Musk gerecht zu werden. So wird womöglich zu guter Letzt das Unternehmen selbst über die Zukunft Grünheides entscheiden. Inwieweit die beteiligten Interessengruppen hierauf Einfluss nehmen können ist ungewiss. Anderswo blickt man jedenfalls gespannt auf die Vorgänge im Landkreis Oder/Spree. So meldete sich Italiens Wirtschaftsminister nach der gescheiterten Befragung: »Das wird mit Sicherheit zu einer Entscheidung des Konzerns führen.« Seit Monaten sei man mit Tesla in Kontakt. Er habe positives Feedback bekommen, »aber das ist ein Prozess, der Vorsicht erfordert«.

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