Berlin: »Alte Münze« in privater Hand

Der Kulturstandort in Mitte wird in Zukunft vollständig von den privaten »Spreewerkstätten« betrieben

  • David Rojas Kienzle
  • Lesedauer: 5 Min.
Um die »Alte Münze« wird schon länger gerungen: Diskussionsveranstaltung 2019 zur Zukunft des Kunst- und Kulturstandorts
Um die »Alte Münze« wird schon länger gerungen: Diskussionsveranstaltung 2019 zur Zukunft des Kunst- und Kulturstandorts

In der »Alten Münze« ist Normalbetrieb. Rauch von einem Grill vernebelt den Hof, es gibt ein Fotoshooting von tanzenden Menschen und im Café sitzen Leute, schlürfen Kaffee und unterhalten sich. Ganz so normal ist dieser Montag aber nicht, denn im ersten Stock tagt der Ausschuss für Kultur, Engagement und Demokratieförderung des Abgeordnetenhauses. Thema ist der Ort des Geschehens selbst: die ehemalige Münzprägeanstalt am Molkenmarkt in Mitte, heute ein Kulturort. Im Jahr 2012 sollte das landeseigene Gelände wie damals üblich an den meistbietenden Investor verhökert werden, was vom damaligen Senator Ulrich Nußbaum (parteilos) gestoppt wurde. Deswegen ist die »Alte Münze« immer noch in Landeshand.

Der Stoff birgt Konfliktpotenzial. In den vergangenen Monaten war Stück für Stück bekannt geworden, dass der Senat bisher gefasste Pläne für das Gelände mit knapp 18 000 Quadratmetern Nutzfläche über den Haufen wirft. Zuletzt sollte auf dem Gelände ein »House of Jazz« entstehen.

Doch daraus wird nichts. Ende Februar teilte der Senat auf Anfrage der Abgeordneten Daniela Billig (Grüne) mit, die Idee des »House of Jazz« an dem Ort nicht weiterzuverfolgen. Stattdessen bekommen die Spreewerkstätten, ein Unternehmen, das seit Jahren einen Teil des Geländes nutzt, einen langfristigen Mietvertrag für das ganze Gelände. Jazz ist vom Tisch. Damit wird das bisher genutzte Beteiligungsverfahren mit verschiedensten Akteuren beerdigt.

Wie so oft wird die Entscheidung mit mangelndem Geld begründet. Man dürfe sich hinsichtlich der Haushaltslage nichts vormachen, erklärte Kultursenator Joe Chialo (CDU) im Ausschuss. »Wir müssen 2024 und 2025 einen dreistelligen Millionenbetrag auflösen«, sagte er. Nichtsdestotrotz wird das Land erheblich in die »Alte Münze« investieren. Wie der RBB am Montag berichtete, werden Landesmittel in Höhe von 46 Millionen Euro aus dem »Sondervermögen wachsende Stadt« für die Sanierung des Standorts fließen.

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Daniel Wesener, kulturpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion kritisiert das: »Wenn man diese Immobilie langfristig erhalten und entwickeln will, wird dieses öffentliche Geld fließen. Es kommt dann aber nicht mehr der freien Kunst- und Kulturszene zugute, sondern einem Privaten. Das finde ich bemerkenswert.« Gleichzeitig drohen mit der Entscheidung gegen das »House of Jazz« auch 13 Millionen Euro Fördermittel des Bundes für dieses Projekt verloren zu gehen. »Ich fürchte, diese Mittel sind weg. Und ich denke, das ist ein Drama für die Jazzszene«, so Wesener weiter. Der Kultursenator widersprach: Die Mittel seien nicht weg und es gebe Gespräche mit Kolleg*innen aus dem Bundestag dazu.

Das Vorgehen des Senats stößt Martin Schwegemann von der Initiative »Stadt neu denken« als im Ausschuss angehörten Experten auf: »Hier in der ›Alten Münze‹, einem zentralen Kulturort der Stadt mit enormer potenzieller Strahlkraft, der laut Senatsbeschluss 2018 für die freie Kunst- und Kulturszene vorgesehen war, sehen wir uns an einem Punkt, wo langjährige Prozesse abgebrochen werden.« Bisher war das Gelände in einem Mischkonzept genutzt worden. Niedrige Ateliermieten wurden über höhere Mieten für Akteure aus der Kreativwirtschaft querfinanziert.

Die AG Alte Münze der Koalition der Freien Szene Berlin fürchtet, dass sich das Gelände mit der vollständigen Vermietung an die Spreewerkstätten in eine falsche Richtung entwickelt. Chris Benedict, die für das Bündnis im Ausschuss sprach, meinte: »Die Verbände und Akteure der Kulturszene sehen hier nun die eklatante Gefahr, dass die ›Alte Münze‹ als zentraler Ankerort im Herzen der Stadt verloren geht und sich weiter in Richtung einer Party- und Eventlocation eines profitorientierten Firmengeflechts entwickelt.« In den vergangenen Jahren der Zwischennutzung sei das Gelände teilweise kulturell bespielt worden, es könne jedoch keine Rede von einem Ort für die freie Szene sein. Denn alle Nutzungsvereinbarungen, Mietpreisee und Raumvergaben lägen in der Verantwortung der Betreiber-GmbH und ihres Geschäftsführers, so Benedict weiter. Deswegen fordert das Bündnis ein Moratorium für die Vergabe des Areals und einen transparenten Prozess für sie.

Felix Richter, der Geschäftsführer der Spreewerkstätten, sieht das anders. »Es wird so getan, als würde die freie Szene dort nicht mehr vorkommen. Aber das ist falsch«, meint er im Gespräch mit »nd«. Man wolle sicherstellen, dass die kostengünstige Nutzung für Künstler*innen auch weiterhin möglich sei. Das wollten die Spreewerkstätten durch die kostendeckende Nutzung erreichen. »Dadurch können wir die freie Szene und Künstler*innen subventionieren«, so Richter weiter.

Letztlich geht es in der ›Alten Münze‹ um eine grundsätzliche Frage: Wie weit geht die staatliche Verantwortung für Kunstförderung? CDU-Politiker Christian Goiny, verantwortlich für Finanz- und Medienpolitik sowie Clubkultur, ist ganz klar dafür, das Areal an die Spreewerkstätten zu vermieten. Um das hohe Niveau der Kunst und Kultur Berlins zu halten, müsse es eine größere »Resilienz und Eigenwirtschaftlichkeit« auch in der Kulturszene geben. Grünen-Politiker Wesener hingegen meint zwar, dass das Geschäftsmodell der Spreewerkstätten, günstig Flächen anzumieten und zu Marktpreisen zu vermieten, völlig in Ordnung sei. »Aber damit kriegen wir keine Kunstförderung hin.«

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