Korsika auf dem Weg zur Autonomie

Nach Verhandlungserfolg erhalten Behörden der französischen Mittelmeerinsel mehr Kompetenzen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

»Korsika steht weiter an der Spitze der Statistik mit traurigen Rekorden bei Armut, Arbeitslosigkeit, Inflation, medizinischer Unterversorgung, Wohnungsnot und schlechten Transportbedingungen«, kritisiert eine am Montag veröffentlichte Erklärung der FKP. Die erzielte Übereinkunft über die Autonomie von Korsika bemängelt die KP als »Teilerfolg«, da die soziale Benachteiligung der Inselbevölkerung bestehen bleibe. Die Regierung habe bereits vier institutionelle Reformen durchgeführt, um durch Kompetenzverlagerungen die Lebensbedingungen der Bevölkerung dort zu verbessern. »Aber hat das etwa das tägliche Leben der Korsen verändert?«

In der gemeinsamen Absichtserklärung, die in der vergangenen Woche nach Verhandlungen der korsischen Repräsentanten mit Innenminister Gérald Darmanin unterzeichnet wurde, erkennt der Staat die »Autonomie Korsikas innerhalb der Französischen Republik« an. Er verpflichtet sich, der Inselselbstverwaltung entsprechende Rechte und Kompetenzen einzuräumen. Die Korsen bekennen sich dazu, Franzosen zu sein und verzichten damit auf die Forderung nach einem völkerrechtlichen Sonderstatus für die Insel. Die Bereiche Polizei, Militär und Justiz bleiben in der alleinigen Kompetenz der Regierung in Paris.

Korsika darf eigene Regelungen beschließen

Die Autonomie wird damit begründet, dass Korsika »eigene Interessen hat, die sich aus der Lage im Mittelmeer sowie aus den einzigartigen historischen, sprachlichen und kulturellen Bindungen der Inselgemeinschaft« ergeben. In Anerkennung dieser Besonderheiten erklärt sich die Regierung einverstanden, dass der Regionalrat – das »Inselparlament« – eigene Regelungen beschließt, die nur auf Korsika gelten. Die korsische Selbstverwaltung darf in Paris erlassene Gesetze und Verordnungen in begründeten Fällen vor Ort »abwandeln« und »anpassen«. Was das konkret bedeutet, welche Bereiche des wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Lebens das betrifft, soll ein spezielles Gesetz präzisieren.

Zunächst muss das Grundsatzpapier über Korsikas Autonomie von der Nationalversammlung und dem Senat in Paris und vom Regionalrat in Bastia gebilligt werden. Dann wird durch den Kongress, die gemeinsame Sitzung beider Kammern des Parlaments im Schloss von Versailles, die Autonomie für Korsika per Verfassungsänderung verankert. Zum Abschluss kommt die Bevölkerung von Korsika im Rahmen eines Referendums zu Wort. Doch sie wird nur »konsultiert« und kann die Beschlüsse nicht rückgängig machen. Dieser Durchlauf durch die Instanzen soll nach dem Willen der Regierung vor Ende des Jahres abgeschlossen sein.

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Autonomie statt Unabhängigkeit

Nachdem die radikal-nationalistischen Kräfte auf der Insel schon vor vielen Jahren einsehen mussten, dass ein von Frankreich völlig unabhängiges Korsika wirtschaftlich nicht lebensfähig wäre, hat die Forderung nach Autonomie immer mehr Zuspruch gefunden. Dafür haben verschiedene Organisationen und Bewegungen friedlich oder mit Gewalt gekämpft. Die Pariser Regierung hat meistens politisch stur ablehnend oder mit Polizeieinsatz reagiert.

Präsident Emmanuel Macron hatte Bewegung in diesen Prozess gebracht. Im vergangenen September erklärte er bei einem Besuch in Korsika seine Bereitschaft, der Insel unter bestimmten Bedingungen die geforderte Autonomie zu gewähren. Der Innenminister wurde beauftragt, im Namen der Regierung darüber mit den Vertretern des Inselparlaments und der Selbstverwaltung der Region Korsika zu verhandeln.

Korsen für Paris immer noch kein eigenes Volk

Für die Verhandlungen hatte der Präsident »rote Linien« gezogen. So erkannte die Regierung kein »korsisches Volk« an, sondern nur eine »Kulturgemeinschaft«. Französisch ist und bleibt offizielle Amts- und Unterrichtssprache und das Korsische wird nicht zu einer »Zweitsprache« von gleichem Rang aufgewertet.

Vor allem jedoch lehnte Macron das Ansinnen ab, eine »nationale Priorität« für »eingeborene« und nicht etwa zugezogene Korsen bei der Vergabe von Arbeitsplätzen und Sozialwohnungen oder der Erteilung von Baugenehmigungen zu schaffen. Das hätte eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zur Folge, die den Prinzipien der Republik widerspricht.

Selbstverwaltung soll Probleme effektiver lösen

Gilles Simeoni, der Präsident des Exekutivrates in Bastia, der die Verhandlungen von korsischer Seite geführt hat, begrüßte das Ergebnis. Durch den neuen Status und Regelungen, die den regionalen Bedingungen angepasst werden, könne die Selbstverwaltung effizienter gegen Betrug, Bestechung, Schwarzarbeit oder das illegale Bauen in Küstennähe und andere »inselspezifische« Kriminalität vorgehen. Außerdem verspreche man sich davon, der Spekulation bei Mieten und Lebensmitteln Einhalt zu gebieten, die dazu führt, dass die Lebenshaltungskosten in Korsika im Schnitt um zwölf Prozent höher sind als auf dem Kontinent.

Von der rechten Oppositionspartei der Republikaner (LR) wird die Autonomie für Korsika abgelehnt. »Damit wird einer Bewegung Tür und Tor geöffnet, die die Republik und die Einheit der Nation zersetzt«, erklärt Bruno Retailleau, der LR-Fraktionsvorsitzende im Senat. »Was wollen wir den Bretonen sagen, wenn sie auch Autonomie fordern und auf die Korsen verweisen?«

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