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  • Sozialistische Klassik

Für Hacks war Goethe ein Politikum

Marlon Grohn hat »Essays zur Klassik« von Peter Hacks zusammengestellt

  • Interview: Tim Meier
  • Lesedauer: 6 Min.
Hacks hat’s gewusst und Goethe bereits geahnt: Bonaparte war unser Genosse.
Hacks hat’s gewusst und Goethe bereits geahnt: Bonaparte war unser Genosse.

Wie ist es zu dem Sammelband »Die Verteidigung Goethes« gekommen?

Mir fehlte bei all den Büchern, die über Goethe auf dem Markt sind, eines von Peter Hacks. Die Weimarer Museumsshops sind ohne ihn unvollständig.

Tatsächlich gibt es zig Goethe-Biografien und -Textsammlungen von Hermann Hesse über Sigrid Damm bis Thomas Mann, aber bisher noch keine von Hacks.

Dabei hat er so viel, und vor allem: so gut, über Goethe geschrieben. Die Öffentlichkeit kennt davon außer dem Monodrama »Ein Gespräch im Hause Stein …« kaum etwas. Damit sich das ändert und weil er sein essayistisches Werk einmal eine einzige »Verteidigung Goethes« nannte, schlug ich dem Verlag diese Leseausgabe vor. Der Titel war also gesetzt. Als Bonusmaterial gibt es noch zwei Rezensionen von Goethe selbst und einen Essay von mir zur Frage, warum die heutige Kunstförderung die Kunst verhindert.

Interview

Marlon Grohn, geboren 1984, studierte Germanistik und Soziologie und ist publizistisch tätig. Er veröffentlichte die Bücher »Kommunismus für Erwachsene« (2019), »Hass von oben, Hass von unten. Klassenkampf im Internet« (2021) und gemeinsam mit Dietmar Dath die Sammlung »Hegel to go. Vernünftige Zitate« (2020). Zuletzt erschien die Broschüre »Hegels ›Schöne Seele‹ und ihr Verhältnis zum Bösen«. Er lebt in Köln.

Was macht ausgerechnet die Hacksschen Schriften über Goethe so interessant?

Das Besondere an ihm: Er geht, wo es nötig ist, durchaus philologisch genau vor, behält dabei aber immer die große Sache im Blick. Und im Gegensatz zu Literaturkritikern und Germanisten beherrscht Hacks die deutsche Sprache. Seine Goethe-Essays sind auch eine Soziologie der deutschen Verhältnisse um 1800. Diese wiederum sind für Hacks immer ein Anlass für die Beschäftigung mit seiner Gegenwart. Von der Langweiligkeit und Stumpfheit der heutigen Sprache ist er genauso weit entfernt wie von der Erwartbarkeit und Ödnis heutiger Urteile. Hacks teilt Erkenntnisse mit, aber mit einer sprachlichen und begrifflichen Kunstfertigkeit, wie man sie nur selten antrifft.

Warum bezog sich Hacks als Kommunist so vehement auf Goethe?

Für ihn ist die Auseinandersetzung mit Goethe ein Politikum. Er bewundert Goethe nicht nur wegen dessen dichterischen Könnens, sondern auch aufgrund der politischen Haltung. Goethe gab nicht viel auf die politischen Urteile seiner Zeit und stellte sich auf die Seite des napoleonischen Fortschritts, der bei der großen Masse der Deutschen sehr unbeliebt war. Auch Hacks sah den Bonapartismus als Fortschritt und legt nahe, dass eine Linke, die das nicht auch tut, zum Sozialismus unfähig sein wird.

Denkst du, dass diese Essaysammlung etwas ändert und Hacks als wichtiger Goethe-Interpret wiederentdeckt wird?

Ich hoffe es. Worum es mir eigentlich geht, ist eine Zukunftssache: Hacks war geprägt durch die DDR und sein Werk nur vollends möglich und begreiflich im Sozialismus. Nun leben wir aber vorerst noch im Kapitalismus und mir wäre lieb, dass man einmal wirklich aus all den »linken Dummheiten« (Lenin) lernt und das nächste Mal nicht wiederholt. Dafür halte ich Hacks im höchsten Maß für wichtig.

Aber dass es zu einer Hacks-Bewegungslinken kommt, ist doch recht unwahrscheinlich, oder?

Die »Verteidigung Goethes« ist hoffentlich nur ein Anfang. Hacks soll exoterischer werden: Sein Werk bietet Anknüpfungspunkte einerseits für Leser der Klassik, andererseits für Linke, die sonst eher der »kritischen Kritik«, also Pohrt, Adorno und so weiter anhängen. Wenn es gelänge, dass in Zukunft nicht nur »Das Kapital«, die »Dialektik der Aufklärung«, der »Gegenstandpunkt« und »Die Gesellschaft des Spektakels«, sondern darüber hinaus auch Hacks gelesen wird, wäre das schon ein erheblicher Fortschritt.

Inwiefern spielt Goethe da eine Rolle?

Der Verbindungspunkt der oben Genannten ist Hegel. Und damit auch Goethe. Allein von dessen Haltung und seiner Weise, Kunst zu machen, ließe sich heutzutage viel lernen. Ein einfaches »Zurück zu Goethe« reicht aber natürlich nicht. Was man zuvor schon erkannt und geschätzt hat, muss man nicht von sich werfen. Es geht um eine Praxis wie Theorie, die durch die Moderne, den dialektischen Materialismus, die Kritische Theorie, auch durch deren Irrtümer gegangen ist, deren Richtiges aber in sich aufgenommen und angereichert hat. Man kann solche Traditionen nicht einfach abschütteln, man kann sie nur verarbeiten. Solche Verarbeitung kann auf dem Weg der Kunst, der Philosophie, der Politik geschehen.

Was bedeutet das konkret?

Es ist ein Unterschied, ob man auch von Goethe und Hegel aus auf Marx blickt oder von den Theorien der »Neuen Linken«. Hacks stand nicht nur auf den Schultern von Goethe, sondern auch schon auf denen von Lukács und Brecht, die wiederum auf denen von Hegel und Marx standen. In Zukunft müsste es eine Linke geben, die auch schon auf den Schultern von Hacks zu stehen gelernt hat.

Hast du da große Hoffnung?

Als Goethe- und Hacks-Verteidiger ist man ja Optimist und sagt: Was notwendig ist, wird eintreffen. Der Sozialismus muss sein, also wird man Hacks lesen müssen. Lukács ging in die Partei, Hacks in die DDR, Goethe nach Italien. Man sollte diese Schritte auch als Botschaften ans Heute nehmen: Wenn man alle drei zusammennimmt, kommt man dem Richtigen schon ziemlich nahe.

Hacks hatte mit den Romantikern richtiggehend zu kämpfen. Wie für Goethe waren sie ihm nicht nur ein Ärgernis, sondern Anlass, publizistische Fehden zu führen.

Hacks nennt Goethes Texte über die Romantik »gegenromantische Kampfschriften«. Um solche handelt es sich auch bei vielen von Hacks’ Essays. Man versteht diese erst völlig, wenn man sie begreift als Teil eines Kampfes gegen die Romantik und der von ihr angerichteten Übel – in der Politik wie der Kunst.

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In deinem Nachwort schreibst du, die Klassik habe keinerlei Interesse am Kritisieren. Was hat Hacks gegen Kritik?

Es genügt ihm, Goethe zu loben. In dieser Verteidigung des Klassischen ist die Kritik an den Zuständen schon inbegriffen. Hacks geht aber über die Kritik hinaus. Wer die Klassik verteidigt, weiß bereits, dass die Gesellschaft dürftig eingerichtet ist und erschöpft sich nicht darin, dieser immer nur ihre Fehler nachzuweisen. Im Gegensatz zu den Kritikern haben die Klassiker wohlgestaltete Werke und realistische Konzepte hinterlassen, die die Welt zu verändern imstande sind.

Mit den Romantikern hat sich Hacks aber doch sehr kritisch auseinandergesetzt?

Er hält die Romantiker für völlig überschätzt und zudem für Nichtskönner – aber er hält sie nicht für kritikwürdig. Er beschreibt sie einfach. Dabei hat er nicht nur die literarische Epoche der Romantik im Visier, sondern ebenso die Gegenwart. Seine Verteidigung Goethes bedeutet auch einen Kampf gegen Neoromantiker wie Heiner Müller. Nicht, dass er deren politische Positionen nicht auch ablehnt. Aber es geht ihm um deren Unfähigkeit zum vollständigen Werk, ihren Subjektivismus. Jener Müller etwa sah den Fortschritt der Kunst in der Zertrümmerung von klassischen Werken, der Zerstörung von Gattungen. Die Bomberstaffel als ästhetisches Programm – das mutete Hacks etwas dürftig an.

Nochmal zurück zur »Bewegung«: Hacks begreift die Klassik als eine »Partei«. Folgt daraus also das Motto »Klassiker aller Länder, vereinigt euch«?

Keine Sorge, die Klassiker aller Länder sind längst vereinigt. Im Vergleich zu den anderen Proletariern haben sie es recht einfach: Sie sind eine sehr überschaubare Menge. Wer heute noch irgendwo in der Welt einen klaren Gedanken fasst und diesen auch redlich zu vermitteln weiß, ist automatisch Teil der Klassischen Internationale, KI.

Peter Hacks: Die Verteidigung Goethes. Essays zur Klassik, hg. u. mit einem Nachw. von Marlon Grohn. Eulenspiegel-Verlag, 272 S., br., 20 €.
Buchvorstellung und Diskussion am 11.4. in Berlin: Um 19 Uhr im Café Sibylle, Karl-Marx-Allee 72.

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