Senegal hat doch noch die Wahl

Nach langem Hin und Her und Dutzenden Toten bei Protesten darf die Bevölkerung am Sonntag einen neuen Präsidenten wählen

  • David Bieber
  • Lesedauer: 5 Min.

Senegals Präsident Macky Sall kam nicht durch. Sein Plan, die Präsidentschaftswahlen vom 25. Februar auf den 15. Dezember zu verschieben, um seine Amtszeit zu verlängern, ist passé. Der senegalesische Verfassungsrat erklärte Salls Ansinnen für verfassungswidrig. Daher zog Sall die Wahl wieder auf den 24. März vor und kündigte eine Generalamnestie für politische Gefangene an.

Senegal steckte wegen dem Vorgehen des 62-jährigen Präsidenten bis vor Kurzen in einer veritablen politischen Krise Auch von »institutionellem Putsch« war schnell die Rede. Seitdem der Verfassungsrat unwiderruflich festsetzte, dass die Wahlen am kommenden Sonntag abgehalten werden müssen und Salls Amtszeit damit offiziell zum 2. April enden wird, ist die politische Krise vorerst vorbei. 19 Kandidat*innen treten an, darunter mit Anta Babacar Ngom auch eine Frau. Im ersten Wahlgang bedarf es einer absoluten Mehrheit, sonst gibt es eine Stichwahl, deren Datum noch offen ist. Sall bliebe somit noch länger – interimsmäßig – im Amt.

Das neue Amnestiegesetz hat zur Befriedung des Sahel-Landes auf alle Fälle seinen Beitrag geleistet. Es besagt, dass alle Handlungen in Zusammenhang mit den Protesten gegen Sall und seine Politik seit 2021 straffrei bleiben werden. Zudem wurden am 14. März Salls Hauptgegner, darunter der Gründer und Chef der Hauptoppositionspartei Pastef, Ousmane Sonko, und der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat Bassirou Diomaye Faye, sowie hunderte von Oppositionellen und Journalist*innen aus Gefängnissen entlassen. Dank der Amnestie. »Das hat deutlich zur Entspannung der aufgeheizten Situationen nach der unrühmlichen Wahlverschiebung gesorgt«, analysiert TV-Journalist Coumba Ndoffène.

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Dennoch hat der Senegal im Vergleich zu seinen Nachbarn in den vergangenen drei Jahren massiv an demokratischer Legitimation und Rechtsstaatlichkeit eingebüßt. Im »Reporter ohne Grenzen«-Ranking der Pressefreiheit ist das Land weit abgerutscht. »Oppositionelle Journalist*innen sitzen in den Gefängnissen neben Jugendlichen, deren einziges Vergehen die Teilnahme an einer Demonstration vor sechs Monaten war. Ebenfalls inhaftiert sind mehrere Personen, die ihre Kandidatur für das Amt des Präsidenten erklärt haben«, erklärt Claus-Dieter König, Leiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Westafrika mit Sitz in Dakar gegenüber dem »nd«. Immer öfter wurden zuletzt Demonstrationen der Opposition mit staatlicher Gewalt begegnet.

Auch gelang es Sall – seit 2012 an der Spitze des Staates – wie schon bei der vergangenen Präsidentschaftswahl von 2019, zwei ernst zu nehmende Konkurrenten um das Präsidentenamt durch gerichtliche Verurteilungen auszuschließen. Der Dritte von 2019 und Hoffnungsträger für den Systemwechsel, Ousmane Sonko, und der Sohn des früheren Präsidenten Abdoulaye Wade (2000 – 2012), Karim, wurden als Kandidaten nicht zugelassen. Ersterer, weil er umstritten rechtskräftig verurteilt worden war wegen mutmaßlicher Verführung einer Minderjährigen und dafür ins Gefängnis musste. Deshalb konnte Sonko formale Hürden für seine Kandidatur nicht meistern. »Letzterer, weil er seine französische Staatsangehörigkeit angeblich nicht rechtzeitig abgelegt hatte«, erklärt König. Als Kandidat*in darf man im Senegal nur die senegalesische Staatsangehörigkeit besitzen. Sall wollte laut König so seinem Zögling Amadou Ba, ehedem Premierminister, den Weg ins Präsidentenamt ebnen.

Der Wahlausgang gilt als offen. Die Opposition unter dem neuen Spitzenkandidat Bassirou Diomaye Faye, der anstelle von Sonko antritt, dürfte gute Chancen haben. Die Freilassung Sonkos und Fayes glich in den Straßen von Dakar einer vorgezogenen Siegesfeier. Selbst ein Sieg in der ersten Runde halten Fayes Anhänger für möglich. »Die Zeit scheint reif, für einen Systemwechsel«, meint Ndofféne. Ähnlich sieht es König. »Es wäre tatsächlich überraschend, wenn Faye nicht mindestens in die Stichwahl käme. Der zwar geschwächte Regierungskandidat Amadou Ba dürfte aber der zweite Stichwahlkandidat sein«, schätzt er.

Ba dürfte in die Hände spielen, dass sich viele Jungwähler*innen gar nicht registrieren lassen haben oder keinen Personalausweis oder Reisepass besitzen, der dafür die Voraussetzung ist. »Zum Teil tut das Regime viel dafür, dies zu erschweren«, sagt König.

Nicht außer Acht lassen dürfte man die »beanspruchende Prozedur der Registrierung«, die gerne mal einen gesamten Tag andauern kann. »Wer kann es sich leisten in Senegal einen ganzen Tag nicht arbeiten zu gehen und somit kein Geld für Essen zu verdienen?«, fragt König. Man kann sich ausmalen, dass dadurch die wirtschaftlich Schwachen ausgegrenzt werden. König: »Das ist zu berücksichtigen, wenn man die Fairness dieser Wahlen bewertet.«

Sozioökonomisch braucht es in Senegal ein Programm, das neue wirtschaftliche Souveränität schafft, auch wenn das etwa 17 Millionen Einwohner*innen große Land ökonomisch besser da steht als seine Nachbarn. »Viele Kandidaten wollen die Fischereiabkommen kündigen oder neu verhandeln. Das wäre das Einstiegsprojekt«, sagt König. Senegal ist stark abhängig von Nahrungsmittelimporten. Hier könnte ein neuer Präsident ansetzen und Subventionen umschichten. Statt Weizenbrot sollte eher Brot aus heimischer Hirse subventioniert werden. Auch Deutschland und die EU können unterstützen bei der Entwicklung zu mehr volkswirtschaftlicher Souveränität. Berlin und Brüssel könnten Schutzzölle tolerieren, Patente freigeben oder Investitionsmittel als Zuschüsse bereitstellen. »Begründbar ist dies als Reparationen für die Klimaschäden«, sagt König. Solch ein Entgegenkommen war bisher aber weder aus Berlin noch aus Brüssel zu vernehmen.

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