Colonia Dignidad: »Wir stehen vor einem Scherbenhaufen«

Jan Korte zum Stand der Arbeiten für eine Gedenkstätte und ein Dokumentationszentrum in der ehemaligen Colonia Dignidad

  • Ute Löhning
  • Lesedauer: 4 Min.

Noch im Januar 2023 hatten der chilenische Präsident Gabriel Boric und Bundeskanzler Olaf Scholz bei dessen Staatsbesuch in Chile gemeinsam ihre Bereitschaft zur Errichtung einer Gedenkstätte und eines Dokumentationszentrums in der ehemaligen Colonia Dignidad erklärt. Jetzt hat die chilenische Regierung die Gründung einer dafür nötigen Stiftung oder anderen Trägerorganisation auf unbestimmte Zeit vertagt. Wie bewerten Sie das?

Diese Entwicklung ist eine Katastrophe. Seit vielen Jahren wird für die Errichtung einer Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad gekämpft. Für die Aufarbeitung der dort verübten zahllosen Verbrechen ist sie zentral und unerlässlich. Die Bundesrepublik ist aufgrund ihrer Mitverantwortung durch Wegschauen, unterlassene Hilfeleistung und im Zweifel sogar Hilfestellung für den Terror zur Aufklärung verpflichtet. Und obwohl es eigentlich vor zwei Jahren so aussah, dass nun endlich sowohl in Chile mit der linken Regierung von Gabriel Boric als auch hierzulande mit der Ampel die politischen Rahmenbedingungen gegeben seien, stehen wir heute gelinde gesagt vor einem Scherbenhaufen. Für dieses Desaster sind eine extrem schlechte bilaterale Kommunikation, eine – trotz anderslautenden Erklärungen – nur halbherzige Behandlung des Themas auf Regierungsebene und innenpolitische Gründe in Chile verantwortlich.

Im Herbst 2025 werden in Deutschland und Chile neue Regierungen gewählt. Sehen Sie noch eine Möglichkeit, bis dahin eine Gedenkstätte festzumachen und was müsste geschehen?

Natürlich wird das knapp. Aber wenn Scholz, Boric und auch Außenministerin Annalena Baerbock das Thema zur Chefsache erklären, dann kann es noch klappen. Doch von Scholz hört man seit seinem Staatsbesuch in Chile absolut nichts mehr. Dabei existiert ein gutes Gedenkstättenkonzept, und welche Rechtsform die Gedenkstätte haben wird, sollte sich klären lassen. Entscheidend wäre aber, endlich ernsthafte Verhandlungen mit der Führung der Villa Baviera zu führen. Hier müsste von höchster Ebene mit Nachdruck deutlich gemacht werden, dass beide Länder einen Gedenkort wollen und eine Blockade auch Konsequenzen haben kann. Man fragt sich doch, warum der deutsche Staat weiterhin die Pflegestation in der Villa Baviera finanzieren soll, wenn die Profiteure im Gegenzug die Aufklärung behindern.

Was bedeutet ein Stopp der Planungen für eine Gedenkstätte für die Betroffenen und was tun Sie, um die Opfer zu unterstützen?

Für die Folterüberlebenden, für die Angehörigen der Verschwundenen und für viele andere Opfergruppen wäre das ein Schock, für die Aufarbeitung der Verbrechen und die Demokratisierung der Strukturen der Villa Baviera ein herber Rückschlag. Ich bin froh, dass zumindest die demokratischen Abgeordneten innerhalb der Gemeinsamen Kommission an der Idee der Errichtung einer Gedenkstätte und eines Dokumentationszentrum auf dem Gelände der Colonia Dignidad festhalten. Wir brauchen eine breite Initiative innerhalb und außerhalb der Parlamente, die jetzt mit Nachdruck die Errichtung fordert. Dafür werde ich mich einsetzen.

Bewohner*innen der einstigen Colonia Dignidad protestieren derzeit vor den Toren der deutschen Siedlung. Sie fordern eine gerechtere Verteilung der Güter. Der Bundestag hatte 2017 beschlossen, die Verbrechen der Colonia Dignidad aufzuarbeiten und auch deren Eigentumsverhältnisse aufzuklären. Was tun Abgeordnete und Regierungen, um eine Entschädigung der Opfer voranzutreiben?

Mit dem Hilfskonzept und individuellen Zahlungen von bis zu 10 000 Euro an Opfer der Sekte konnten wir zumindest eine kleine Unterstützung leisten. Aber wir brauchen Aufklärung der intransparenten Eigentumsverhältnisse der Siedlung. Wir Abgeordnete stellen uns auf die Seite der Opfer, und das erwarte ich auch von den beiden Regierungen, die hier mit viel mehr Engagement und Konsequenz agieren müssten. Bislang kam da zumindest von der Bundesregierung rein gar nichts. Denn ohne Transparenz gibt es sicher keine wirkliche Demokratisierung in der ehemaligen Sekte.

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