853 Mal Mord durch iranische Behörden wegen Protest und Drogen

Iranische Gefängnisse sind 2023 Schauplätze von Massentötungen geworden

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Nein zur Todesstrafe im Iran: Protestaktion vor dem Bundeskanzleramt in Berlin
Nein zur Todesstrafe im Iran: Protestaktion vor dem Bundeskanzleramt in Berlin

Seit ihrer Gründung im Jahre 1979 ist die Islamische Republik Iran bekannt für die exzessive Anwendung der Todesstrafe. Statistiken von Menschenrechtsorganisationen dokumentieren eine stabile katastrophale Menschenrechtslage, in der Hinrichtungen zum Repressionsrepertoire gehören. Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl der Hinrichtungen einen neuen Höchststand: 853 Menschen wurden vom iranischen Staat getötet – so viele wie seit 2015 nicht.

Amnesty International (AI) veröffentlicht aus diesem Anlass an diesem Donnerstag einen Bericht (»Don’t Let Them Kill Us«) mit dem aussagekräftigen Untertitel »Irans unerbittliche Hinrichtungskrise seit dem Aufstand von 2022«. Das Dokument zeige deutlich, dass die iranischen Behörden nach den Massenprotesten unter dem Motto »Frau, Leben, Freiheit« von 2022 verstärkt die Todesstrafe einsetzten, »um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen und ihre Macht zu festigen«, heißt es in einer Pressemitteilung.

Die Zunahme der Zahl der Hinrichtungen um 48 Prozent im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr deutet darauf hin, dass die Todesstrafe bewusst auch gegen Regimegegner in Stellung gebracht wurde, um die Protestwelle nach dem Tod von Mahsa Jina Amini am 16. September 2022 zu brechen.

Hinrichtungen von Protestierenden

Die iranischen Behörden hätten 2023 sechs Männer im Zusammenhang mit dem Massenprotesten von 2022 hingerichtet, berichtet Amnesty; mindestens sieben weitere Personen seien im Zusammenhang mit Protesten zum Tode verurteilt worden.

Die Tötungsserie setzt sich auch im laufenden Jahr fort: Bis zum 20. März 2024 wurden Amnesty International zufolge mindestens 95 Hinrichtungen dokumentiert. Da es über die genauen Zahlen jedoch keine Gewissheit und auch keine offiziellen iranischen Angaben gibt, geht Amnesty davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen in beiden Jahren noch höher liegen.

»Die massenhaften Hinrichtungen im Iran müssen spürbare diplomatische Konsequenzen haben«, sagt Christian Mihr, stellvertretender Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. Sonst würden sich die iranischen Behörden »ermutigt fühlen, in den kommenden Jahren weitere Tausende von Menschen ungestraft hinzurichten«. Von der internationalen Gemeinschaft und der deutschen Bundesregierung fordert er, sich für ein Hinrichtungsmoratorium einzusetzen – mit dem Ziel, die Todesstrafe ein für allemal abzuschaffen.

Speziell die deutsche Bundesregierung sollte nach Mihr die Möglichkeiten universeller Gerichtsbarkeit ausschöpfen, »um die iranischen Verantwortlichen auch in Deutschland zur Rechenschaft zu ziehen«. Des Weiteren sei es wichtig, so Mihr, Menschenrechtsverletzungen im Iran weiter zu dokumentieren. Noch in dieser Woche stimmt der UN-Menschenrechtsrat darüber ab, ob das Mandat für die UN-Untersuchungskommission und den Sonderberichterstatter zum Iran verlängert wird, wofür sich auch die Bundesregierung einsetzt.

Die außergewöhnlich hohe Zahl an Hinrichtungen hängt auch mit einer repressiven Politik gegen den Rauschgifthandel zusammen; Amnesty spricht von einer »tödlichen Antidrogenpolitik«. Mehr als die Hälfte aller Hinrichtungen (481) ist demnach im Zusammenhang mit Drogendelikten vollstreckt worden – eine Steigerung von 89 Prozent gegenüber 2022 und 264 Prozent gegenüber 2021.

Die Justiz, die Legislative und die Exekutive im Iran versuchten derzeit, ein neues Antidrogengesetz zu verabschieden, das die Bandbreite der Drogendelikte, die die Todesstrafe nach sich ziehen, erweitern würde. Die massenhafte Anwendung bei Drogendelikten nach grob unfairen Verfahren sei »ein besonders eklatanter Machtmissbrauch«, so Amnesty.

Tödliche Antidrogenpolitik

Besonders betroffen sei davon die im Südosten des Iran lebende belutschische Minderheit, schreibt Amnesty: Auf sie entfielen insgesamt 29 Prozent (138) dieser Hinrichtungen, obwohl sie nur etwa fünf Prozent der iranischen Bevölkerung ausmache. Dies zeige die diskriminierende Wirkung der Antidrogenstrategie auf die am stärksten marginalisierten und verarmten Bevölkerungsgruppen. Hinrichtungen wegen Drogendelikten erfolgten häufig im Geheimen.

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