Keine Lehre ohne Bleibe: Berlin plant Azubiwerk

Die Ausbildungszahlen sinken, ein irgendwann entstehendes Azubiwerk soll Abhilfe schaffen

Vom schmalen Ausbildungsgehalt sind Wohnungen in Berlin nicht zu berappen. Geeigneter Wohnraum für Lehrlinge ist jedoch höchstens ein Teil des Ausbildungsproblems.
Vom schmalen Ausbildungsgehalt sind Wohnungen in Berlin nicht zu berappen. Geeigneter Wohnraum für Lehrlinge ist jedoch höchstens ein Teil des Ausbildungsproblems.

Horcht man in die Unternehmen und Betriebe hinein, so hat der Fachkräftemangel die Hauptstadt fest im Griff. Laut dem Fachkräftemonitor der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin fehlen 90 000 Fachkräfte. Bis 2035 könnte diese Zahl laut IHK auf 414 000 anwachsen. Mehr als zwei Drittel aller Betriebe mit Fachkräftebedarf verzeichneten laut einer Studie der Senatsarbeitsverwaltung, dem Betriebspanel Berlin 2022, unbesetzte Stellen.

Das Problem hat auch der amtierende Senat erkannt. Seine Idee: die Ausbildung stärken und so das Fachkräftepotenzial ausschöpfen. Laut Koalitionsvertrag sollen bis Ende April 2025 mindestens 2000 neue Ausbildungsplätze entstehen. Gelingt dies nicht, ist die gesetzliche Einrichtung einer Ausbildungsumlage vorgesehen – eine Abgabe für Unternehmen, die nicht ausbilden. Damit es so weit gar nicht erst kommt, hat Schwarz-Rot das Bündnis für Ausbildung, bestehend aus Landespolitik, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und der Agentur für Arbeit, initiiert. Im Dezember stellte das Bündnis einen Maßnahmenkatalog auf. Darin auch enthalten: die »Errichtung eines Azubiwerkes«.

Das Azubiwerk ist eine Idee, die von Arbeits- und Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) immer wieder bei Anlässen und in Interviews beworben wird. Es soll, »ähnlich wie ein Studierendenwerk, speziell für diese Gruppe Wohnraum, Beratung und weitere Angebote« bereithalten, erklärte ein Sprecher der Senatsverwaltung. »Viele Auszubildende können sich keine Wohnung oder kein WG-Zimmer leisten«, hatte Kiziltepe vergangenes Jahr der »dpa« gesagt. Azubis fehle bisher die Lobby.

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Eine mögliche Finanzierungsquelle sei das Bundesprogramm Junges Wohnen, hieraus könnten 57 Millionen Euro zufließen. Die Gelder sind von den Ländern »für den Aus-, Neu- oder Umbau neuer beziehungsweise der Modernisierung bestehender Wohnheimplätze für Auszubildende und Studierende« abzurufen, wenn sie die Zuschüsse um mindestens 30 Prozent aufstocken. Vorbild könne laut Kiziltepe das Azubiwerk München sein, das unter Beteiligung der Stadt und der Jugendorganisation des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) betrieben wird. Auch in Hamburg gibt es ein Azubiwerk, hieran ist unter anderem die IHK beteiligt.

Auch der DGB Berlin-Brandenburg – ebenfalls Teil des Bündnisses für Ausbildung – verweist auf den Topf Junges Bauen und die Bedeutung von dezidiert für Azubis ausgewiesenem Wohnraum. »Auf dem freien Wohnungsmarkt in Berlin und im Umland finden Auszubildende mit ihren niedrigen Einkommen keine bezahlbaren Wohnungen«, teilt Vorsitzende Katja Karger mit. Die neuen »Azubiwohnheime« sollten in der Hand eines gemeinwohlorientierten Azubiwerks bleiben.

Aus den anderen Fraktionen gibt es Unterstützung für das Vorhaben. Doch der Grünenfraktion geht das nicht schnell genug. Sie brachte bereits im Januar einen Antrag ins Abgeordnetenhaus ein mit dem Titel: »Das Azubiwerk Berlin gründen«. »Das Azubiwerk verharrt im Senat auf dem Niveau von Ankündigungen und Bekenntnissen«, begründet Klara Schedlich, Fraktionssprecherin für berufliche Bildung, gegenüber »nd« die Initiative. »Wir wollen den Druck bei dem Thema hochhalten.«

Inhaltlich scheint der Antrag recht nah an dem Konzept des Studierendenwerks orientiert. Auch der Betrieb von Mensen und Caféterien findet Erwähnung. Schedlich betont jedoch, dass Wohnraumversorgung nur eine Kernaufgabe des Azubiwerks sein soll. »Es soll überhaupt erst mal eine zentrale Anlaufstelle für Auszubildende geschaffen werden.« Sie beobachte ein Ungleichverhältnis zwischen der Behandlung von Studien- und Ausbildungsanwärter*innen in der Hauptstadt. An den allgemeinen Schulen würden die Schüler*innen nur ungenügend über die Möglichkeiten und den Wert einer Berufsausbildung informiert, sagt Schedlich.

Dass das Projekt Azubiwerk noch in den Kinderschuhen steckt, legt auch eine Antwort der Senatsverwaltung für Arbeit auf nd-Anfrage nahe. Man habe die Ausschreibung einer Machbarkeitsstudie vorbereitet, erklärt ein Sprecher. Die Dauer des Ausschreibungsprozesses könne »momentan nicht valide eingeschätzt werden«. Auch wann erste Wohnungen genutzt werden könnten, ließe sich nicht sagen, die Arbeit auf Fachebene laufe.

Die Realisierung von Azubiwohnungen in einer nennenswerten Größenordnung dürfte in Berlin ohnehin schwierig werden. Ein Azubiwerk wäre ein weiterer Konkurrent im Gerangel um arg begrenzten Wohnraum und entsprechende Bauflächen.

Zudem steht in Zweifel, inwieweit ein Azubiwerk tatsächlich zur Korrektur der Ausbildungszahlen beitragen kann. Das sieht man wohl auch im Bündnis für Ausbildung so. Immerhin rangiert der Punkt Azubiwerk im Maßnahmenkatalog an letzter Stelle als Punkt 47. An dem Grundproblem des Ausbildungsmarktes in Berlin dürfte er nämlich kaum etwas ändern: Es mangelt an Ausbildungsplätzen, nicht an Bewerber*innen. Zwar bleiben Ausbildungsplätze im vierstelligen Bereich unbesetzt, allerdings wird diese Zahl seit Jahren um ein Vielfaches von der Zahl der leer ausgegangenen Bewerber*innen übertroffen. Laut Daten der Bundesagentur für Arbeit verharrt die Anzahl der Ausbildungsplätze bei 0,7 bis 0,8 pro Bewerber*in. Im Trend sind die neu geschlossenen Ausbildungsverträge kontinuierlich von 16 800 (2013) auf 14 600 (2023) zurückgegangen. Das geht aus Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung hervor.

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