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Kafka im Comic: Warum so viel Text?
Ausführlich, in Streifzügen und teilweise auch virtuos: Vier Comics feiern das Franz-Kafka-Jahr
Kafka als Comic? Das klingt »ein wenig wie ›Nolde vom Supermarkt‹. Leider. Denn Peter Kuper beweist, dass das ›Micky-Maus-Medium‹ durchaus angemessen mit Literatur umzugehen vermag« – so urteilte die »Taz« noch 1997 beim Erscheinen von Kupfers beeindruckendem Kafka-Comic »Gibs auf!«. Darin reduzierte Kuper Kafka-Kurzgeschichten auf wenige Seiten und prägnante Striche und entwickelte dabei eine starke visuelle Kraft; das Buch ist heute nur noch antiquarisch erhältlich. 25 Jahre später würde niemand mehr von einem »Micky-Maus-Medium« schreiben und niemand muss sich mehr rechtfertigen, Literatur als Bildgeschichte zu verarbeiten.
Deshalb verwundert auch die ästhetische Mutlosigkeit der neuen Kafka-Comics, die zu dessem 100. Todestag (am 3. Juni) erscheinen. Sich diesen Schriftsteller grafisch originell anzueignen, wie es Kuper getan hat, wagt nur eine von vier Veröffentlichungen: »Wie ein Hund« von Danijel Žeželj. Vielleicht erscheinen den anderen Künstlern Kafkas-Texte als zu heilig für Eingriffe und Montagen? Doch sie folgen Kupers Ansatz, Schwarz-Weiß-Zeichnungen zu bevorzugen, um Kafkas fragmentarisches Werk mit seinen absurden, surrealen Begebenheiten und dunklen Träumen darzustellen.
Ungewöhnlich brav liest sich »Kafka« vom legendären Zeichner und Autor Robert Crumb, der zusammen mit dem Krimi-Schriftsteller David Zane Mairowitz eine solide Biografie erarbeitete. Sie gibt das Leben und ausgesuchte Werke Kafkas inhaltlich wieder. Man erfährt vom Vaterkonflikt und Kafkas Ringen mit der eigenen Körperlichkeit. Die Zerrissenheit zwischen Judentum, Tschechisch- und Deutschsein und die damit verbundenen Fremdzuschreibungen sind ebenso Thema wie Kafka und die Frauen. Das fällt sehr textlastig aus, die Zeichnungen im unruhig-realistischen Crumb-Stil wirken wie bloße, danebengestellte Illustrationen. Ausführlich im Ansatz ist vieles in diesem Comic zu erfahren. Aber ein bisschen bieder wirkt das doch, angesichts der Tatsache, dass es von einem Pionier der US-Hippie-Comic-Kultur stammt. Das könnte aber auch daran liegen, dass das Original schon 1993 erschien und die deutsche Übersetzung 1995 bei Zweitausendeins. Der Reprodukt-Verlag bringt dieses Album nun in einer äußerst erschwinglichen Taschenbuchausgabe heraus.
Auch »Verwandelt« von Thomas Dahms und Alexander Pavlenko ist eine solide Biografie, die an textlicher Überlast leidet. Kafkas Lebensstationen werden abgeklappert, seine amourösen Beziehungen bilden einen Schwerpunkt, da sein Leben und Lieben aus Sicht seiner letzten Lebensgefährtin Dora Diamant erzählt wird. Mit Details wie Kafkas tatsächlicher Beteiligung an einer Asbestfabrik ist das Buch aber auf dem biografisch neuesten Stand und eignet sich als müheloser Einstieg in Kafkas Welt. Ansprechende Bilder mit hübschen Licht- und Schattenspielen: manchmal wirken die Grafiken wie Scheren- oder Holzschnitte. Neben diese Schwarz-Weiß-Effekte treten zum Teil monochrome Farbflächen, so wirken die Bildrahmen wie frühe Fotografien.
»Komplett Kafka« nennt Nicolas Mahler seine Kafka-Interpretation und natürlich ist hier nichts komplett. Stattdessen pickt sich Mahler für seine Zitat-Collage die originellsten Fakten und Anekdoten raus und illustriert sie mit seinem bekannten leger-minimalistischen Strich und seinem bekanntem schwarzgalligen Humor. So ist vom verpassten Bestsellerprojekt Kafkas zu erfahren, der einmal Billig-Reiseführer schreiben wollte. Und wer weiß, dass »Die Rückverwandlung des Gregor Samsa« existiert? Allerdings wurde sie von einem andereren Prager Autor verfasst: von Karl Brand, 1916. Das ist lustig und typisch Mahler, doch auch dieser grantelnde Wiener Zeichner, der schon eine Godzilla-Biografie skribbelte, scheute sich, Kafka vom Denkmal zu holen. Auch in diesem Band geht Text vor Bild. Das ist zwar keine Enttäuschung, aber doch konventionell.
Dagegen ist »Wie ein Hund« von Danijel Žeželj endlich einmal eine Überraschung. Der kroatische Künstler, der für Marvel und DC Action-Comics und für »Harper’s« Illustrationen zeichnet, greift die letzten Worte aus »Der Prozess« auf und hangelt sich an Kafkas Originaltexten entlang. Die Geschichte »Ein Hungerkünstler« dient ihm dabei als Hauptinspiration: Menschen, die sich auf Jahrmärkten selbst ausstellten und damit ihr Geld verdienten, öffentlich keine Nahrung aufzunehmen, gab es früher wirklich. Žeželj schafft daraus eine eigene Welt, einen Kosmos aus Zirkus und Menschenmassen, wilden Tieren und marschierenden Armeen. Expressionistisch-explodierend sind die Arrangements, zu denen Žeželj seine realistischen Zeichnungen zusammenfügt und ihnen so einen Touch von Stencel-Street-Art verleiht, jener mit Schablonen angefertigten Graffiti, die fast fotografisch anmuten.
Auf jeder Seite gibt es so etwas zu entdecken, lassen sich Anknüpfungspunkte für eigene Assoziationen finden. Brüllt dort nicht Rilkes Panther hinter tausend Stäben, schleichen hier etwa Alex und seine brutalen Droogs aus »Clockwork Orange« umher? Dieser Comic ist ein visuelles Fest, eigenständig und eigenartig. Damit kommt er Kafkas Werk am nächsten, weil er sich viel mehr als die anderen Comics von dessen Literatur löst und sozusagen die Laufrichtung ändert, um darin auch nach 100 Jahren von deren Interpretation und Re-Interpretation etwas Neues zu finden.
Robert Crumb/David Zane Mairowitz: Kafka. A. d. Amerik. Englisch von Ursula Grützmacher-Tabori. Handlettering von Marianne Nuß. Reprodukt, 176 S., br., 9 €.
Alexander Pavlenko/Thomas Dahms: Verwandelt. Franz Kafka – Leben, Lieben, Literatur. Knesebeck, 128 S., geb., 24 €.
Mahler: Komplett Kafka. Suhrkamp. 127 S., geb., 18 €.
Danijel Žeželj: Wie ein Hund. Avant, 104 S., br., 22 €.
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