GEAS: Auf den Tumult folgt das Schweigen

Bei wichtigen und knappen Abstimmungen jubelt die Gewinnerseite im Europaparlament für gewöhnlich: nicht jedoch nach dem Beschluss der GEAS-Reform

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Camp Moria auf der Insel Lesbos war das größte Flüchtlingslager Europas, bis es nach einem Brand aufgelöst wurde. Nun werden neue Lager vorbereitet, um GEAS umzusetzen.
Das Camp Moria auf der Insel Lesbos war das größte Flüchtlingslager Europas, bis es nach einem Brand aufgelöst wurde. Nun werden neue Lager vorbereitet, um GEAS umzusetzen.

Den Befürwortern der GEAS-Reform war die Erleichterung nach der Abstimmung am Mittwochabend kaum anzumerken. Dabei war bis zum Schluss nicht klar, ob der Asylpakt wirklich eine Mehrheit im Plenum finden würde. Denn neben der Linksfraktion The Left hatten auch Teile der Grünen- und sozialdemokratischen Fraktion sowie die Rechtsextremen angekündigt, dem Pakt nicht zustimmen zu wollen. So wurde es dann noch einmal richtig eng. Wenn man so will, kam der in einzelne Dossiers zerlegte Pakt nur durch, weil sich viele Abgeordnete der Stimme enthielten. Jubelstimmung wollte bei den Unterstützern der GEAS-Reform nicht aufkommen. So blieb es dann auch ruhig im Saal, als das Ergebnis feststand. Das ist ungewöhnlich, denn bei solch wichtigen und knappen Abstimmungen jubelt die Gewinnerseite für gewöhnlich. Eine brüchige Koalition aus Sozialdemokraten (S+D), Christdemokraten (EVP) und Liberalen (RENEW) hatte das Gesetzeswerk mit Hängen und Würgen über die Ziellinie gebracht. Doch so richtig glücklich war im Anschluss niemand: Den Rechten gehen die Verschärfungen nicht weit genug und den Linken viel zu weit. Hinzu kamen wahltaktische Erwägungen, schließlich wird das Thema Migration auch die Europawahlen im Juni beeinflussen – zumindest in den Hauptzielländern wie Frankreich und Deutschland.

Europawahl 2024

Im Juni wird in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union über ein neues EU-Parlament abgestimmt. Dabei zeichnet sich ab, dass rechte Parteien an Einfluss gewinnen könnten. Was ist eine linke Antwort darauf? Und wie steht es um die Klimapolitik der EU? Welche Entwicklungen gibt es in Hinblick auf Sozialpolitik und was ist im Bereich der europäischen Asyl- und Migrationpolitik zu erwarten? Die anstehende Europawahl wird richtungsweisend. Auf unserer Themenseite fassen wir die Entwicklungen zusammen: dasnd.de/europawahl

»Dieser Pakt tötet, stimmt mit Nein!«

Noch vor der Abstimmung kam es im Saal zu Tumulten, als NGO-Vertreter von der Besuchertribüne aus skandierten: »Dieser Pakt tötet, stimmt mit Nein!« Die Sitzung musste daraufhin kurz unterbrochen werden. Auch auf der Place Luxembourg vor dem Parlamentsgebäude hatten sich die Gegner versammelt, um lautstark zu protestieren.

Im Plenum selbst ging es teilweise hoch her. Der Grüne Erik Marquardt etwa, der sich auf dem Podium gegen die GEAS-Reform ausgesprochen hatte, lieferte sich ein Rededuell mit der Linke-Abgeordneten Özlem Alev Demirel. Diese hatte Marquardt daran erinnert, dass Bundespartei und Bundesparteitag der Grünen der GEAS-Reform zugestimmt hätten. Marquardt versuchte erfolglos, seine Partei in Schutz zu nehmen und meinte dann nur: »Den Rest klären wir später beim Apfelsaft.«

Erstaunlich auch die Volten der SPD, die den Kompromiss maßgeblich mitgetragen hatte. In ihrem Resümee musste Birgit Sippel, die innenpolitische Sprecherin der S+D-Fraktion, sich für den Pakt rechtfertigen: »Um einen Kompromiss zu erzielen und trotz allem klare Regeln zu schaffen, mussten wir als sozialdemokratische Fraktion hohe Zugeständnisse machen. Bis zuletzt haben wir uns gegen die Gefahr von unverhältnismäßiger Inhaftierung in den Grenzverfahren durch die Mitgliedstaaten eingesetzt. Aufgrund der mangelnden Kompromissbereitschaft der Mitgliedstaaten konnten wir uns damit aber nicht durchsetzen.« Übersetzt heißt das: Es werden auch Familien mit kleinen Kindern zukünftig in Lagern landen und dort wohl mehrere Monate bleiben müssen. Sippel verwies auf den »verpflichtenden Solidaritätsmechanismus«, den man als Fraktion durchgesetzt habe und »der auf eine solidarische Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten abzielt«. Allerdings hat dieser Mechanismus mit Solidarität wenig zu tun, können sich Staaten, die keine Geflüchteten aufnehmen wollen, doch mit einem Kopfgeld freikaufen.

Die CDU wirbt mit dem Ruanda-Modell um Stimmen

In der christdemokratischen EVP-Fraktion, der auch die deutsche CDU angehört, gab man sich am Mittwoch deutlich selbstbewusster: »Das ist ein wichtiger Schritt hin zu einer vollständigen Kontrolle unserer Außengrenzen«, freute sich der Abgeordnete Tomas Tobé von den schwedischen Moderaten, der für seine Partei auch als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zieht. Tatsächlich sieht man das Abkommen bei der EVP nur als ersten Schritt. Im EU-Wahlprogramm wirbt man mit dem Ruanda-Modell um Stimmen. Demnach sollen Geflüchtete in einen sicheren Drittstaat überstellt werden und dort auf den Ausgang des Asylverfahrens warten. Wird Asyl gewährt, muss der Antragsteller trotzdem in dem sicheren Drittstaat außerhalb der EU bleiben. So sieht sie aus, die moderne Asylpolitik der Christdemokraten. Die nun vom Parlament abgesegnete Reform ist nur ein erster Schritt hin zu einer Festung Europa. Derzeit arbeiten EU-Kommission und Regierungen an Partnerschaftsabkommen mit Herkunfts- und Transitländern, wie Ägypten oder Tunesien. Die Länder selbst sollen Migration unterbinden und erhalten dafür Milliarden aus Europa.

Bis die GEAS-Reform umgesetzt ist, wird es zwei Jahre dauern. So müssen Italien und Griechenland riesige Abschiebelager bauen, in denen dann Tausende Asylbewerber auf den Entscheid warten müssen. Wenn man es zynisch betrachtet, dann ist das keine Zäsur, sondern Fortführung der üblichen Praxis. So gab es in Griechenland das Camp Moria auf der Insel Lesbos. Es war das größte Flüchtlingslager Europas, wo zeitweilig mehr als 20 000 Migrant*innen unter unmenschlichen Bedingungen interniert waren. Das nach einem Großbrand aufgelöste Camp gibt es nicht mehr, dafür aber fünf sogenannte Closed Controlled Access Centers (CCAC) auf fünf griechischen Inseln, die von Hilfsorganisationen wie dem UN-Flüchtlingskommissarität immer wieder kritisiert werden.

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