Drogenpolitik: Zwischen Markt und Marginalisierung

Das Cannabisgesetz ist ein drogenpolitischer Fortschritt. Aber wie steht es im Verhältnis zum bestehenden, illegalisierten Handel?

  • Interview: Tanja Röckemann
  • Lesedauer: 8 Min.
Schon lange klassisches Inventar des öffentlichen Raums: leere Gras-Tütchen
Schon lange klassisches Inventar des öffentlichen Raums: leere Gras-Tütchen

Kurz vorweg: Was ist die Aufgabe der Humangeografie?

Die Humangeografie untersucht die Beziehungen zwischen Menschen und ihrer Umwelt – genauer gesagt, wie Raum sozial produziert wird. Ich selbst forsche an der Schnittstelle von kritischer Stadtgeografie, die ein Teilgebiet der Humangeografie ist, Kriminologie und sozialwissenschaftlicher Drogenforschung. Dabei interessiere ich mich vor allem dafür, wie mit Drogenkonsum im öffentlichen, aber auch im privaten Raum umgegangen wird. Meine Grundannahme ist, dass es nicht nur darauf ankommt, wer Drogen konsumiert, sondern auch, wo Drogen konsumiert werden. Sprich, ein gutes Glas Rotwein am Abendbrottisch wird ganz anders bewertet als ein Tetrapack Rotwein auf der Parkbank. Mir geht es dabei vor allem darum, die sozialen und gesellschaftlichen Ursachen hinter diesen Unterschieden herauszuarbeiten und von der Perspektive der Marginalisierung bestimmter Personengruppen her zu denken.

Interview

Luise Klaus ist Promovendin am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Forschungs­interessen liegen im Bereich der Kritischen Kriminologie, Drogenforschung, feministischen Methodenansätzen und räumlichen Perspektiven auf soziale Ungleichheiten. In ihrem Promotions­projekt beschäftigt sie sich mit marginali­sierten Personen, die Drogen konsumieren, und untersucht deren Perspektiven auf den städtischen Raum und Policing.

Neben der konkreten Nutzung eines Raumes durch die Bevölkerung gibt es ja auch die staatliche Seite, die diesen Raum politisch definiert. Macht es Sinn, zu unterscheiden, wer einen Raum bestimmt und wer ihn nutzt?

Ja. Als Humangeografin sollte man nicht in eine raumfetischisierende Haltung geraten, also nicht denken, Raum sei an sich irgendwie wirkmächtig. Stattdessen geht es immer darum, zu schauen, welche Aushandlungsprozesse in ihm und um ihn stattfinden. Welche Machtverhältnisse, etwa Rassismus oder ökonomische Ungleichheit, finden wir vor und wie materialisieren sich diese im Raum? Um das ein bisschen konkreter zu machen, ein Beispiel im Kontext des Cannabisgesetzes: Das Bild des Dealers, das die Mehrheitsgesellschaft klischeehaft im Kopf hat, ist das Bild eines Schwarzen Mannes, der im öffentlichen Raum steht und Drogen verkauft, im Görlitzer Park in Berlin oder so. Aber wenn man sich Studien dazu anschaut, dann repräsentiert das nur einen ganz kleinen Prozentsatz der Menschen, die mit Cannabis handeln. Tatsächlich ist es so, dass 90 Prozent des Handels im privaten Raum stattfindet, häufig von weißen und nicht nur von männlichen Studierenden. Aber diese öffentliche Sichtbarkeit von nichtweißen Dealern prägt auf der einen Seite das gesellschaftliche Bild und beeinflusst auf der anderen Seite eben auch, was strafrechtlich verfolgt wird. Zumal im privaten Raum die Logiken der Strafverfolgung ganz anders sind, das für den Staat schwieriger ist.

Gibt es eine bestimmte Funktion, die diese Figur des Schwarzen Dealers für die Drogenpolitik erfüllt – oder auch für die Legitimation von Drogenpolitik?

Ich glaube schon. Es gibt interessante Studien aus den 90er Jahren, in denen es um den Dealer als »die Verkörperung des Bösen schlechthin« geht. Auch rassistische Grundgedanken waren in der Geschichte der Drogenprohibition immer mitbestimmend, hier geht es um »die Anderen« und eine vermeintliche Gefahr von außen, die bekämpft werden muss. Auf der anderen Seite glaube ich, dass dieses Bild auch eine Art selbsterfüllende Prophezeiung ist. Wir können nämlich davon ausgehen, dass Cannabiskonsum relativ gleichmäßig über die Gesellschaft verteilt ist. Wenn aber der weiße ältere Mann oder die weiße ältere Frau niemals daraufhin kontrolliert werden, was in der Realität häufig der Fall ist, wird die Polizei bei dieser Personengruppe auch niemals Drogen finden. Wenn sie stattdessen nur rassifizierte junge Männer kontrolliert, wird sie dort auch fündig.

Das ist dann die Konstruktion von Kriminalität im Raum, oder? Sie hatten schon angesprochen, dass die drogenpolitischen Diskurse eigentlich immer mit rassistischen Zuschreibungen zu tun haben. Vielleicht ist das jetzt auch zu grundsätzlich: Aber warum betreiben Staaten eigentlich Drogenpolitik in der Form – und warum ist das so ein besonders hoch ideologisierter Bereich?

Ja, das finde ich auch immer wieder bemerkenswert. Drogen waren nicht immer verboten, so wie sie es heute sind. Das Betäubungsmittelgesetz, kurz BtmG, zum Beispiel gibt es erst seit 1971. Es gibt diese rassistischen Ursprünge der Drogenpolitik und die ideologische Vorstellung von Drogen als gefährliche Substanzen. Beides ermöglicht einen besonders guten Kontrollzugriff auf marginalisierte Gruppen, vor allem im öffentlichen Raum. Dann gibt es noch die besagte Tendenz der Polizeikontrollen, Drogenkriminalität durch »Racial Profiling« zur selbsterfüllenden Prophezeiung zu machen. Schließlich stellt sich hier eben auch die Frage, wer Zugang hat zu welchen Räumen, wer im öffentlichen Raum agiert und wer im privaten. Dass Menschen ohne Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis im öffentlichen Raum mit Drogen handeln, hat eben vor allem ökonomische und aufenthaltsrechtliche Gründe.

Das wäre die Kehrseite dieses rassistischen Schreckensbildes des Schwarzen Dealers: Menschen ohne Aufenthaltsstatus sind zum Teil schlicht darauf verwiesen, im öffentlichen Raum mit illegalen Substanzen zu dealen, weil sie keine legale Arbeit ausüben dürfen. Welche Auswirkungen hat das Cannabisgesetz wohl auf diesen informellen Sektor, in dem marginalisierte Menschen arbeiten?

Ich glaube, dass deren Kriminalisierung nicht enden wird. Insbesondere auf der Basis der 100-Meter-Abstandsregelung von Schulen, Kitas und so weiter wird die Polizei weiterhin vor allem rassifizierte, marginalisierte Menschen im öffentlichen Raum kontrollieren. Ob jetzt der sogenannte Schwarzmarkt zusammenbrechen oder sich ausweiten wird, ist zu diesem Zeitpunkt schwer zu sagen. Es ist zum Beispiel denkbar, dass es jetzt erst einmal zu einem leichten Anstieg des Konsums kommt, der vielleicht auch den illegalen Handel oder sogenannten Social Supply – also die Weitergabe von Drogen ohne Profierzielung, in der Regel im Bekanntenkreis – fördert, bis dann der Eigenanbau richtig losgeht.

Zu den Cannabis-Clubs ist übrigens zu sagen, dass die Teilhabe daran nicht unbedingt niedrigschwellig ist. Es geht im Cannabisgesetz, so wie es jetzt besteht, auch darum, dass Cannabis nicht sofort der kapitalistischen Marktlogik unterstellt wird. So soll es etwa keine Werbung geben. Stattdessen gibt es eben diese Vereine, in denen man einen monatlichen Mitgliedsbeitrag zahlt. Dabei ist es in der Regel nicht vorgesehen, dass am Monatsende automatisch ein bestimmter Ertrag ausgeschüttet wird. Wie der Anbau dann genau organisiert werden soll, ist noch ziemlich unklar. Unter anderem ist eigentlich geplant, dass die Mitglieder selbst aktiv im Club mithelfen. Für den Beitritt muss man sich ausweisen können, also gültige Dokumente haben und in Deutschland gemeldet sein. Außerdem gilt auch für die Clubs eine Sperrzone von 100 Metern. Wie gesagt, das ist alles andere als niedrigschwellig und es muss sich erst noch zeigen, wie gut das in der Praxis funktioniert – und für wen.

Was waren die Überlegungen dahinter, Cannabis nicht einfach vollständig zu legalisieren wie in einigen Bundesstaaten der USA?

Die Bundesregierung hatte ursprünglich einen kommerziellen Anbau geplant, aber das EU-Recht gibt das nicht her. In der jetzigen Version des Gesetzes ist Cannabis eigentlich immer noch verboten, es gibt jedoch Ausnahmen, zum Beispiel der Besitz von 25 Gramm der Substanz im öffentlichen Raum, der private Anbau von drei Pflanzen und so weiter. Oft genannt wird außerdem ein Gesundheitsschutzgedanke, der ist ja auch gar nicht verkehrt. Da gibt es einmal das Werbeverbot und dann eben auch die nicht kommerzielle Anbauüberlegung. Darin besteht die erste Säule des Cannabisgesetzes. Dann gibt es aber noch die zweite Säule, und da sollen in verschiedenen Regionen Modellprojekte zu der Frage durchgeführt werden, wie doch auch kommerzieller Anbau vonstattengehen könnte. Als Modellversuch ist das mit EU-Recht dann wiederum kompatibel.

Und warum wurde ausgerechnet Cannabis legalisiert und nicht eine der anderen viel konsumierten Drogen?

Das ist eine spannende Frage. Ich würde sagen, weil der Konsum von Cannabis einerseits relativ weitverbreitet ist und weil andererseits den meisten Menschen, die sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen, klar sein muss, dass die gesundheitlichen Risiken überschaubar sind. Es gibt keine Drogentoten durch Cannabis, anders als zum Beispiel durch Alkohol oder Tabak, oder auch durch Heroin.

Hier habe ich eine Nachfrage: Sie hatten ja eingangs gesagt, dass die Illegalisierung von Substanzen zumeist ganz anders gelagerten politischen, häufig rassistisch motivierten Beweggründen von Staaten folgt und das Wohl der Bevölkerung dabei gar nicht im Zentrum steht. Jetzt haben Sie die Cannabis-Politik aber doch wieder auf gesundheitspolitische Überlegungen zurückgeführt. Könnte man das Ganze nicht umdrehen und sagen, dass der gesundheitliche Notstand in Bezug auf Heroin – der durch die Kriminalisierung ja erst hervorgerufen wird – viel größer ist, weil die Leute hier tatsächlich massenhaft sterben? Und trotzdem wird Cannabis legalisiert und nicht Heroin.

Ja, das stimmt. Durch Entkriminalisierung oder Legalisierung würde auch die Stigmatisierung weniger werden, die bei Heroin-User*innen noch mal deutlich stärker ist als bei Cannabis-Konsumierenden. Aber der gesellschaftliche Druck dahinter, Cannabis zu legalisieren, ist einfach ein anderer als bei Heroin. Und die Gruppe derjenigen, die wirklich regelmäßig Heroin konsumieren, hat auch einfach nicht die Beschwerdemacht, das überhaupt durchzusetzen.

Sehen Sie denn durch das Cannabisgesetz eine Perspektive eröffnet auf eine grundsätzliche Veränderung der Drogenpolitik hin zu Legalisierung?

Ich würde es mir wünschen. Aber ich bin nur vorsichtig optimistisch, weil ich glaube, dass die Ideologien rund um Drogen und Drogenkonsum in der Gesellschaft noch viel zu wirkmächtig sind.

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