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Amnesty-Experte: »Es fehlt die Gegenrede«

Philipp Krüger, Polizei-Experte bei Amnesty International in Deutschland, zur Berliner Kongressmesse für die Polizei

Probesitzen im Polizeipanzer, Handanlegen an der Waffe: Zur Kaffeepause laden Aussteller an ihre Stände.
Probesitzen im Polizeipanzer, Handanlegen an der Waffe: Zur Kaffeepause laden Aussteller an ihre Stände.

Lieber Philipp Krüger, am Dienstag beginnt der sogenannte Europäische Polizeikongress in Berlin. Was ist das überhaupt für eine Veranstaltung? Müsste sie nicht eher als Messe bezeichnet werden?

Es handelt sich bei dem Kongress im Wesentlichen um eine Zusammenkunft von höheren Beamt*innen aus Polizei und Ministerien, aus Deutschland, aber auch dem – zumeist europäischen – Ausland, sowie Vertreterinnen der Wirtschaft. Die Veranstaltung wird vom Verlag Behördenspiegel durchgeführt und hat schon einen starken Messecharakter, das ist seit dem Umzug in den Berliner Westen auch noch einmal deutlicher geworden. Es werden aber auch viele Fachforen angeboten und es ist viel Raum für Vernetzung unter den Besucher*innen.

Nicht alle Veranstaltungen sind öffentlich, es gibt geschlossene Workshops und Hintergrundgespräche. Was wird dort besprochen?

Geschlossene Foren sind eher die Ausnahme. Es geht dann beispielsweise um Spezialkräfte oder darum, in welchen Ausmaß Handys ausgewertet werden können. Dem Kongress wurde häufiger Intransparenz vorgeworfen, und wenn man sich anschaut, dass manche Publikationen keine Presseakkreditierung bekommen haben, ist das auch nicht völlig unberechtigt. Dennoch: Die Brisanz wird in dieser Hinsicht eher überschätzt, die Probleme liegen nach meiner Ansicht woanders.

Interview

Der zweitägige Europäische Polizeikongress findet am Dienstag und Mittwoch zum 27. Mal in Berlin statt. Als Sponsoren können sich Überwachungs- und Sicherheitsfirmen dort Redezeit kaufen.

Philipp Krüger ist Polizei-Experte bei Amnesty International in Deutschland. Er twittert unter @philippkruiger zu Polizei und Menschenrechten in Deutschland.

Und zwar wo?

Es gibt dort viele Aussteller aus dem Bereich verschiedener Sicherheitstechnologien, die Amnesty als problematisch einschätzt, weil sie beispielsweise unverhältnismäßig in die Privatsphäre eingreifen und ein undemokratisches Überwachungsregime schaffen können. Die Wirtschaft hat dort die Möglichkeit, den Entscheidungsträger*innen von Polizei und Ministerien unmittelbar »den Mund wässrig« zu machen, und ist damit auch recht erfolgreich.

Und was wird auf dem »Polizeikongress« nicht besprochen, also was fehlt aus der Perspektive von Amnesty?

Das ist ein weiteres Problem: Es fehlt die Gegenrede. Man ist dort im Wesentlichen unter sich. Immer wieder hört man dort Aussagen, die fachlich kaum haltbar sind. Strukturelle Probleme wie Rassismus, Racial Profiling oder Polizeigewalt werden nicht besprochen. Vor ein paar Jahren hat der veranstaltende Behördenspiegel – das soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben – Rechtsextremismus zum Thema gemacht, offenbar auch wegen der einschlägigen Skandale. Dazu hat man namhafte Persönlichkeiten wie Prof. Dr. Matthias Quent eingeladen. Das stieß beim Publikum jedoch auf sehr wenig Interesse – indirekt hat das natürlich einen gewissen Aussagewert.

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Der Polizeiwissenschaftler Hartmut Aden sagt, dass Racial Profiling immerhin auch bei der Polizei selbst als Problem adressiert wird. Welche Schritte müssen aus Ihrer Sicht hier noch gegangen werden?

Es braucht hier insgesamt eine stärkere öffentliche Anerkennung dafür, dass das Problem existiert. Anlasslose Kontrollmöglichkeiten müssen verboten werden, denn diese sind ein Einfallstor für Racial Profiling. Es braucht zudem auch hier mehr Forschung. Schlussendlich müssen entsprechende Inhalte in die Ausbildung fließen. Wichtig zu betonen ist auch, dass die Polizei profitiert, wenn sie sich dem Problem stellt.

Vor zwei Wochen wurden Zahlen zu Rechtsextremismus bei der Polizei bekannt, mit Blick auf die Gesamtzahlen der Beschäftigten scheinen diese aber niedrig. Wie schätzt Amnesty das Dunkelfeld ein?

Selbst bei konservativer Schätzung wird man nicht weniger als zehn Prozent Polizeibeamt*innen annehmen müssen, die ein Weltbild entwickelt haben, das nicht mehr mit dem vereinbar ist, was wir von einer demokratischen Polizei erwarten dürfen. Das muss nicht Rechtsextremismus im engeren Sinne sein. Es können aber auch höhere Zahlen sein. Ich persönlich würde auf etwa 15 Prozent tippen, möglich sind aber auch 20 Prozent. Dass wir das alles nicht so genau sagen können, ist Teil des Problems. Hierzu braucht es entsprechende Beforschung, die an Widerständen, auch aus den Polizeigewerkschaften, scheitert.

Kürzlich hat der Polizeibeauftragte des Bundes sein Amt angetreten. Wird jetzt vieles besser?

Es ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Herr Grötsch hat ja mit progressiven Äußerungen zu Racial Profiling schon von sich reden gemacht. Was für uns vor allem entscheidend ist, ist die Ausgestaltung dieser Stellen. Sie müssen echte Ermittlungskompetenzen haben, also Akten einsehen, Zeugen vernehmen, Tatorte besuchen können, und sie müssen vor allem personell gut ausgestattet werden. Insgesamt bleiben die Stellen in Bund und Ländern alle hinter unseren Forderungen zurück. Manche mehr, manche weniger.

Wie kann eine effektive Kontrolle der Polizei aussehen? Und hilft dabei die Umsetzung der Kennzeichnungspflicht?

Die Kennzeichnungspflicht ist entscheidend. Ohne sie könnten Täter*innen, das haben unsere Recherchen gezeigt, regelmäßig gar nicht namhaft gemacht werden. Sie ist umgekehrt aber auch kein Allheilmittel. Wenn weiterhin unabhängige Untersuchungsmechanismen und der Verfolgungswille fehlen, das hat der G20-Gipfel gezeigt, hilft auch eine Kennzeichnungspflicht wenig.

Im April hat die Polizei wieder zwei Menschen erschossen, beide in einer psychischen Ausnahmesituation. Was läuft da schief?

Es ist nach unseren Erkenntnissen ein Ausbildungsdefizit, das dazu führt, dass solche Lagen nicht adäquat bewältigt werden. Manche Bundesländer haben das bereits erkannt beziehungsweise Angebote ausgeweitet, aber insgesamt ist es zu wenig.

Wenn derartig aus dem Ruder gelaufene Polizeieinsätze vor Gericht landen, braucht es Beweismittel wie Fotos oder Videos. Die Polizei verhindert diese Aufnahmen aber mit verschiedenen Begründungen. Was kann hier getan werden?

Hier wäre vor allem eine gesetzliche Klarstellung beziehungsweise höchstrichterliche Rechtsprechung wünschenswert, die diesen Versuchen konsequent einen Riegel vorschiebt.

Auf dem Polizeikongress scheint eine toxische Männlichkeit gepflegt zu werden, wenn etwa Rheinmetall seinen Polizeipanzer »Survivor« mitbringt und beim Probesitzen Werbebier ausschenkt.

Offen gestanden verstehe ich nicht so richtig, warum sich die Kritik an dem Panzerwagen aufhängt. Dass die Polizei über gepanzerte Fahrzeuge verfügt, ist nicht neu. Beim Thema Ausrüstung fallen mir andere Dinge ein. Taktische Westen, die mit allerhand bedenklichen Gadgets vollgestopft sind, insbesondere mit dem Taser; quasischwarze Uniformen – das alles schafft Distanz zu Bürger*innen. Selbst einfache Bereitschaftspolizist*innen sehen in einigen Bundesländern mittlerweile aus wie Kommandosoldat*innen. Manchmal habe ich den Eindruck, die Polizeibehörde mit dem zivilsten Auftritt sind aktuell die Feldjäger.

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