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  • Neuer Film von Ryusuke Hamaguchi

»Evil does not exist« im Kino: Die Teufel aus der Stadt

Das Waldepos »Evil does not exist« des japanischen Regisseurs Ryusuke Hamaguchi beschäftigt sich mit der komplexen Beziehung zwischen Mensch und Natur

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Takumi (Hitoshi Omika) und seine Tochter Hana (Ryo Nishikawa)
Takumi (Hitoshi Omika) und seine Tochter Hana (Ryo Nishikawa)

Die Kamera von Yoshio Kitagawa ist gen Himmel gerichtet. Dort tanzen die Baumwipfel im Rhythmus des Windes – und zur sphärischen Musik von Eiko Ishibashi. Das bleibt dann auch die ganzen 106 Minuten lang so – bis auf die Störungen dieser Idylle aus (mäßigem) Wind, Bäumen und den (wenigen) Menschen hier, die Holz hacken und mit reinem Quellwasser kochen. Die Störungen kommen immer von außen, genauer: aus der nicht weit entfernten Großstadt Tokio.

Städter sind kranke, vielleicht sogar böse Vertreter der Spezies Mensch, Landbewohner dagegen sind gesund (siehe Kochen mit reinem Quellwasser), weise und gut, denn sie pflegen die Tradition, Pflanzen und Tiere. Schon seltsam, wie hier ein religiös zelebrierter Ökologismus jenen Anspruch der Vernunft zu revidieren versucht, der schon im 13. Jahrhundert in den Ruf mündete: »Stadtluft macht frei!« Dass diese Luft zu Zeiten der ungebremsten Industrialisierung ziemlich giftig war, ist allerdings unstrittig. Was folgt nun daraus? »Zurück zur Natur« als Programm forcierter Deindustrialisierung?

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Man hat den Eindruck, dass Regisseur Ryusuke Hamaguchi hier seine Rousseau-Lektüre in fließende Bilder gebracht hat, oder ist es die japanische Version von Henry David Thoreaus »Walden«, der wir beiwohnen? Nichts gegen langsame Bilder und die Magie der einfachen Dinge, wie einer unscheinbaren Pflanze am Waldboden, die man kennen muss, damit sie zu einem spricht.

Aber wenn das Gezeigte etwas vorsätzlich Didaktisches bekommt, Meditation wie Meditationsworkshop aussieht, dann wird der (zweifellos wichtige) kulturkritische Ansatz wieder ideologisch. Der Kampf Stadt gegen Land als der Kampf des Bösen gegen das Gute verstanden – das wäre solch ein Fall von Ideologie, die ein gefährlich falsches Bewusstsein ist.

Auch Hamaguchi scheint nicht frei von solchem Messianismus. Am Ende löst Magie das schnöde Profitinteresse ab, was kein Fortschritt ist. »Evil Does Not Exist« (»Das Böse existiert nicht«) ist zudem ein irreführender Titel, denn hier wird ein einziger großer Exorzismus betrieben. Und die langsamen Bilder sind eben nicht die kraftvoll in sich verschlossenen eines Andrei Tarkowski, mit denen er uns in seiner mysteriösen Endzeitgeschichte »Stalker« konfrontiert, sondern wirken designt. Ist die hier so verklärte Natur also nur ein Kunstgewerbeprodukt?

Hamaguchis Waldepos lief im vergangenen Jahr auf dem Filmfestival in Venedig und bekam immerhin einen Silbernen Löwen. Und vor zwei Jahren hat sein existenzialistisch karger Film »Drive My Car« sogar einen Oscar gewonnen. Also muss er doch sein Metier beherrschen? Ja, er beherrscht es, vielleicht sogar zu gut, wenn er Öko-Endzeitfilme wie diesen dreht, der auch etwas von jenem Produktcharakter an sich hat, den er doch gerade als neoliberalen Sündenfall geißeln will.

Es gibt das merkwürdige Wort vom »Waldbaden«, auch als Wellness für die Seele beworben. Das betrifft sowohl den Natur verklärenden Gestus des Films als auch das hier angeprangerte Prinzip, die Idylle gewinnbringend zu vermarkten. Hamaguchi bedient mit »Evil Does Not Exist« beide Seiten: die der seichten Wellness-Industrie mitsamt ihrer sentimentalen Vorstellung von Natur und die ihrer Kritiker. Wenn das kein Kunststück ist!

Darum geht es: Ein »Glamping«-Unternehmen will die Naturidylle zu einem profitablen Resort umfunktionieren. Die neoliberale Wortmischung verkauft Camping auf glamourösem Niveau – ein Wellness-Produkt für Leute, die sonst nur in Fünf-Sterne-Hotels wohnen, aber jetzt das Bedürfnis nach Natur und Ruhe haben, ohne auf den gewohnten Luxus verzichten zu wollen. Eine Unternehmensidee, die hohe Gewinne verspricht.

Es kommen zwei Vertreter der Branche ins Dorf, um für das Projekt zu werben. Und diese Szene im Film, die vielleicht eine halbe Stunde dauert, ist ansehenswert und zeigt, dass Hamaguchi nicht nur in Bildern schwelgen kann, sondern auch dramatische Auseinandersetzungen – auf minimalistische Weise – in Szene zu setzen vermag. Diese eine lange Szene ist alles andere als langatmig. Denn da sitzen nun die zwei Glamping-Vertreter, ein junger Mann und eine junge Frau mitsamt obligatem Computer und Werbefilm, recht hilflos vor der Dorfversammlung und sollen diese davon überzeugen, dass es gut und schön ist, was sie planen.

Doch beide laufen gegen eine Wand aus Ablehnung. Der geplante Abwasserklärtank etwa sei zu klein und stehe in den Plänen zudem an der falschen Stelle, bekommen sie zu hören. Aber zu 90 Prozent werde damit doch das Abwasser geklärt! Aber die verbleibenden zehn Prozent Schmutz ruinierten das reine Quellwasser, für das die Gegend berühmt sei. Es ist ein ungleicher Schlagabtausch. Denn die Dorfbewohner, nicht wenige von ihnen ebenfalls Aussteiger aus dem urbanen Milieu, wissen genau, was sie hier suchten und fanden, sie haben immer die besseren Argumente. Wenn das ökologische Gleichgewicht erst einmal gestört sei, dann habe das noble »Glamping« nur Müll in den Wald gebracht.

Die beiden »Glamping«-Vertreter, in denen bereits starke Zweifel wachsen, fahren zurück nach Tokio, übermitteln die gehörten Bedenken. Sie sollten nicht so zögerlich sein, es gelte, den Faktor Zeit als Wettbewerbsvorteil nicht aus den Augen zu verlieren, so die Antwort ihrer Chefs. Sie müssen sofort zurückfahren und Ergebnisse liefern. Egal wie.

Das Ende ist dann vorsätzlich mysteriös. Einer der Vertreter hängt sich an Takumi, den Wortführer der Dorfopposition, angeblich, um hier alles besser zu verstehen, von ihm zu lernen. Zahlreiche Verbeugungen folgen, die Japaner sind auch dann noch höflich, wenn auf Leben und Tod gekämpft wird. Und plötzlich ist Takumis Tochter Hana verschwunden. Eigentlich muss man sich um die Achtjährige keine Sorgen machen, sie taucht öfters im Wald unter, kennt sich hier aus. Aber diesmal ist es anders. Ein Rehbock ist von Fremden angeschossen worden und steht dem Mädchen auf einer Lichtung direkt gegenüber. Doch wie sich beide in die Augen blicken, das Mädchen und das sterbende Reh, weiß man, es wird ihr nichts tun. Ihr gemeinsamer Feind steht woanders.

Nun ja, das war allerdings zu vermuten – der »Glamping«-Vertreter aber, der doch auch ein Mensch ist, ein zögerlicher zumal, wird es büßen müssen.

»Evil does not exist«: Japan 2023. Regie und Buch: Ryusuke Hamaguchi. Mit: Hitoshi Omika, Ryo Nishikawa, Ryuji Kosaka, Ayaka Shibutani. 106 Min. Kinostart: 18. April.

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