Iran: Zwischen Propaganda und Realität

Der Kampf gegen Israel gehört zur iranischen Staatsräson. Doch in der Bevölkerung sinkt die Zustimmung. Innenansichten aus der islamischen Republik

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.
Bislang sollte der Kampf gegen Israel und die USA soziale und wirtschaftliche Missstände im Iran überdecken. Doch in der Bevölkerung wächst die Unzufriedenheit
Bislang sollte der Kampf gegen Israel und die USA soziale und wirtschaftliche Missstände im Iran überdecken. Doch in der Bevölkerung wächst die Unzufriedenheit

Im iranischen Fernsehen werden immer wieder Bilder von Menschen gezeigt, die auf den Straßen feiern, die vielen Einschläge der Raketen, die von der vereinten Achse des Widerstands auf den »kleinen Satan« abgefeuert wurden, und zum Sieg geführt haben.

»Wenn ich das sehe, frage ich mich immer, ob die Leute beim Fernsehen das tatsächlich glauben,« schreibt Homayoun aus Teheran. Wie alle Gesprächspartner in diesem Text sind Name und Geschlecht rein zufällig gewählt. Denn auch das passiert gerade: Der iranische Staat macht wieder mal Jagd, und zwar dieses Mal auf jene, die der offiziellen Darstellung widersprechen. In der vergangenen Woche wurden Hunderte festgenommen, einige bereits in Schnellverfahren zu harten Strafen verurteilt. Ihre Vergehen: Sie haben die Internetsperren umgangen, Informationen mit anderen geteilt.

Iraner sind im Zensurbruch wahre Meister. Schon Achtjährige wissen, wie man schnell und unbemerkt an den Internetsperren vorbei in die Außenwelt kommt, zu den Informationen und allem anderen, was man im Netz so braucht. Das Staatsfernsehen, die Radiosender und Zeitungen hingegen haben sich selbst irrelevant gemacht: Zu langweilig; selbst die Propaganda wirkt aus der Zeit gefallen, in den Revolutionsjahren der Achtziger stecken geblieben.

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»Ich kenne niemanden, der sich heute noch für den Kampf gegen den Großen und den Kleinen Satan interessiert«, sagt Homayoun, eine Aussage, die oft zu hören ist. In den Jahren nach der Revolution waren die Vereinigten Staaten und Israel die idealen Feinde. Denn Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Khomeini wollte mehr, die islamische Revolution in andere Länder exportieren, natürlich unter seiner Führung. Die Erzählung vom »großen und kleinen Satan« wurde fester Bestandteil des Wetterns gegen den Imperialismus und hatte gleichzeitig zum Ziel, selbst Imperium werden zu wollen.

Der Narrativ traf damals bei vielen einen Nerv: Die islamische Revolution hatte ihren Nährboden in einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld gefunden, in dem Ende der Siebzigerjahre nur sechs Prozent der iranischen Bevölkerung insgesamt der Mittel- und Oberschicht zugerechnet wurden. Der unter anderem von der CIA orchestrierte Versuch im Jahr 1953, Regierungschef Mohammad Mossadegh abzusetzen, nachdem der versucht hatte, die Ölförderung zu verstaatlichen, wird auch heute von der iranischen Führung oft als Beispiel dafür angeführt, dass den USA nicht vertraut werden kann. Wer allerdings dem Helden im Kampf gegen den Imperialismus seinen Respekt erweisen und sein Grab in Teheran besuchen will, trifft schon weit davor auf undurchdringliche Polizeisperren. Denn Mossadegh, wird heute vielfach auch als einer der Vorkämpfer für eine Demokratisierung des Iran gesehen, auch wenn unter Historikern umstritten ist, wie demokratisch Mossadegh tatsächlich war. Heute hat sich die Erzählung abgenutzt; man hat andere Probleme: Wirtschaft, Arbeitslosigkeit, Inflation, Wassermangel, Menschenrechte.

Nachdem der Angriff auf Israel bekannt wurde, gingen in Teheran und anderswo einige hundert Menschen auf die Straße, was natürlich im Staatsfernsehen entsprechend ausgewalzt wurde. Zwei Arbeiter in einem Unternehmen, dass unter Kontrolle der Revolutionsgarden steht, berichten, dass sie automatisierte Anrufe erhalten hätten, in denen sie aufgefordert wurden, auf die Straße zu gehen und ihre Familie und Freunde mitzubringen. Es ist eine alte Strategie: Die Revolutionsgarden und andere Machtfaktoren im politischen und militärischen System nutzen ihren Einfluss über Unternehmen und damit über deren Beschäftigte, um Kundgebungen möglichst gigantisch aussehen zu lassen. Denn einen Kündigungsschutz gibt es nicht.

Noch vor wenigen Jahren hat dieses Vorgehen funktioniert und das Bild der Islamischen Republik im Westen und in Israel geprägt. Dieses Mal war das Ergebnis überwältigend schlecht. Es scheint, als wollten sich viele nicht mehr einschüchtern lassen: »Schlechter kann’s doch eh nicht werden«, sagt Homayoun. »Heute ist im Iran alles Widerstand gegen das Regime,« sagt Marzieh, »selbst wenn man sich mal einen netten Abend zuhause macht. Dafür können sie einen doch jetzt echt nicht in den Knast stecken?«

Möglicherweise sähe die Sache anders aus, wenn sich die Menschen angegriffen fühlen würden. Aber das ist nicht der Fall; manche begrüßen sogar offen den israelischen Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus. »Die Revolutionsgarden sind nicht unsere Verteidiger,« sagt Marzieh, die auf dem Land lebt, in einer Region, in der die Menschen konservativ sind, traditionell das Regime stützen. Doch auch hier wendet sich das Blatt. Bei der Parlamentswahl Anfang März hatte man eigens einige der wichtigsten Kandidaten der Hardliner in solchen Wahlkreisen ins Rennen geschickt. Und sich trotzdem einen kräftigen Dämpfer abgeholt: Auch dort war die Wahlbeteiligung weit unter 50 Prozent; Präsident Ebrahim Raeissi verteidigte seinen Parlamentssitz mit gerade einmal 21 Prozent der Gesamtstimmen in seinem Wahlkreis.

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