Türkischer Militäreinsatz für neue Handelsroute?

Die Türkei will die Angriffe im Nordirak ausweiten. Das könnte auch wirtschaftliche Gründe haben

  • Tim Krüger
  • Lesedauer: 4 Min.
Türkische Militärübung nahe der irakisch-türkischen Grenze 2017: Seit Jahren gibt es Militärangriffe der Türkei im Nordirak.
Türkische Militärübung nahe der irakisch-türkischen Grenze 2017: Seit Jahren gibt es Militärangriffe der Türkei im Nordirak.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine Regierungskoalition mussten bei den Kommunalwahlen vom 31. März eine schwere Schlappe einstecken – und bereits am Wahlabend kündigt Erdoğan bei einer Ansprache vor seiner Anhängerschaft eine Ausweitung der Militäroperationen im Nordirak an. Man werde »der separatistischen Terrororganisation einen schweren Schlag versetzen«, so der Präsident. Seit 2018 geht die türkische Armee in den angrenzenden Bergregionen des Nordiraks immer wieder gegen Guerillaverbände der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor. Seit eine türkische Delegation unter Frührung des Außenministers und ehemaligen Geheimdienstchef Hakan Fidan am 14. März in Bagdad zu Gast war, befürchten Beobachter eine Eskalation der türkischen Angriffe.

Die Rolle der irakischen Regierung

Auf der Tagesordnung des Treffens der beiden Nachbarländer stand – neben der Vertiefung der türkisch-irakischen Wirtschaftsbeziehungen – ein mögliches gemeinsames Vorgehen gegen die Präsenz der PKK im Norden des Landes. Laut dem türkischen Verteidigungsminister Yaşar Güler soll die geplante Operation ein Gebiet von 30 bis 40 Kilometer ins Landesinnere umfassen.

In der Vergangenheit hatte die irakische Zentralregierung sich mehrfach gegen die militärischen Operationen der Türkei in der Autonomieregion Kurdistans ausgesprochen und die Alleingänge Ankaras als Verletzung der irakischen Souveränität verurteilt. Die Annäherung zwischen Ankara und Bagdad könnte nun ein Wendepunkt im Kriegsverlauf im Nordirak sein.

Angriffe auf Flüchtlingslager

Der Nationalkongress Kurdistans (KNK) warnte in einer schriftlichen Stellungnahme vom 9. April, dass eine möglicher türkischer Vorstoß nicht nur abgelegene Bergregionen nahe der türkischen Grenze umfassen könnte. Auch das von Jesiden bewohnte Şengal-Gebirge (arab. Sinjar) sowie das selbstverwaltete Flüchtlingslager Mexmûr könnten zum Ziel der Operation werden. Das kurdische Exilparlament mit Sitz in Brüssel erklärte: Neben seinem »üblichen antikurdischen Kreuzzug« sei es ein Ziel Erdoğans, den Weg für eine neue Handesroute zu ebnen. Gemeint ist das sogenannte Iraq Development Road Project. Das im Frühjahr 2023 verkündete Infrastrukturprojekt soll den im Bau befindlichen Hafen der irakischen Stadt Basra am Persischen Golf über ein Netz von Straßen und Eisenbahnlinien mit der 1200 Kilometer entfernten türkischen Grenze verbinden.

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Der Dreh- und Angelpunkt der Route liege zwischen dem Şengal-Gebirge und Mexmûr, so der KNK. Das 1998 gegründete Flüchtlingslager Mexmûr beheimatet 12 000 kurdische Geflüchtete aus der Türkei und ist Ankara aufgrund seiner Nähe zur kurdischen Freiheitsbewegung seit jeher ein Dorn im Auge. Seit 2017 hat die türkische Luftwaffe insgesamt 14 Luftangriffe gegen das unter dem Schutz des UNHCR stehende Lager durchgeführt. Besonders seit den jüngsten Treffen ist die Lage angespannt. »Täglich fliegen türkische Drohnen über unser Camp«, sagte Bêwar Emin aus Mexmûr dem »nd«. »Wir wissen nicht, wann und wo sie angreifen werden.« Der Sprecher des Komitees für Außenbeziehungen des Volksrates von Mexmûr befürchtet, dass die politischen Geflüchteten zum Spielball türkisch-irakischer Interessen werden könnten.

Jesidisches Siedlungsgebiet im Visier

Auch das von der jesidischen Religionsgemeinschaft bewohnte Şengal-Gebirge wird immer wieder zum Ziel türkischer Luftangriffe. Erst am 2. April bombardierte eine Kampfdrohne in der Region Serdeşt ein ziviles Fahrzeug. Im März kam ein Kommandant der Widerstandseinheiten Şengals, YBŞ, bei einem Luftangriff ums Leben. Die Mitglieder der Selbstverteidigungseinheiten, die nach dem Genozid durch die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat 2014 gegründet wurde, gelten der türkischen Regierung aufgrund ihrer Nähe zur kurdischen Freiheitsbewegung als »Terroristen«. Doch auch vor zivilen Mitarbeitern der jesidischen Selbstverwaltung machen die türkischen Drohnenpiloten keinen Halt. Am 29. Februar verstarb ein Mitarbeiter des Demokratischen Autonomierats Şengal. Eine türkische Rakete hatte sein Fahrzeug zerfetzt.

Sollte die Türkei ihre militärischen Operationen in den jesidischen Siedlungsgebieten weiter ausweiten, so wäre dies auch für die bundesdeutsche Außenpolitik relevant. So hat der Deutsche Bundestag im vergangenen Jahr die Massaker des Islamischen Staates an der jesidischen Bevölkerung im Jahr 2014 als Genozid anerkannt. Anschließend reiste Außenministerin Annalena Baerbock in das Şengal-Gebirge und versprach den Opfern des Völkermords die Unterstützung der Bundesrepublik.

Die türkische Luftwaffe intensiviert derweil ihre Luftangriffe auf die Region Kurdistan im Nordirak. So sollen laut lokalen Informationen die Regionen Qendil, Garê, die umkämpfte Bergregion Metîna und die fast 200 Kilometer von der türkischen Grenze entfernte Region Şarbajêr in der südkurdischen Provinz Suleymaniah in den vergangenen drei Tagen bombardiert worden sein. Laut der kirchlichen NGO »Community Peacemaker Teams« zerstörten die türkischen Bomben im Dorf Girgashe ein ziviles Wohngebäude vollständig. CPT hatte zuletzt im März vor einer Ausweitung der Militäroperationen gewarnt.

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