Hedwig Dohm: Gegen die »Signatur unserer Zeit«

Vor 105 Jahren starb die kampfesmutige Intellektuelle Hedwig Dohm, deren Polemiken und Abhandlungen die radikale Frauenbewegung vorwegnahmen

  • David Bebnowski
  • Lesedauer: 7 Min.
Eine Demonstration für das Frauenwahlrecht am 12. Mai 1912 in Berlin, das 1918 schließlich erkämpft wurde
Eine Demonstration für das Frauenwahlrecht am 12. Mai 1912 in Berlin, das 1918 schließlich erkämpft wurde

In Hedwig Dohm regte sich der Ärger. Drastisch drückte sie 1873 aus, was sie über die politische Unterdrückung der Frauen zu sagen hatte. Dohm klagte die »Tyrannei« der Männer an, in der Frauen »unfreiwillig unter dem Willen anderer leben« und wie »Sklaven« behandelt werden. Den Grund hierfür erblickte die Berliner Feministin darin, dass die Gesetze von Männern gemacht seien. Konsequenterweise plädierte sie dafür, Frauen das Wahlrecht zu erteilen: »Für mich liegt der Anfang alles wahrhaften Fortschritts auf dem Gebiet der Frauenfrage im Stimmrecht der Frauen. Die Gesetze, bei denen sie am meisten interessiert sind, sind gegen sie, weil ohne sie.«

Wie keine zweite Frauenrechtlerin der damaligen Zeit warf sich Hedwig Dohm in die öffentliche Debatte, stellte klarsichtige Fragen, förderte Widersprüche ans Tageslicht und scheute nie davor zurück, Gräben – explizit auch gegenüber anderen Frauen – zu ziehen. Die Frauenrechtlerinnen Helene Lange und Gertrud Bäumer schrieben 1901, dass »die Polemik in dieser Zeit ausschließlich« von Hedwig Dohm geführt worden sei. Die Berlinerin verfasste die entschlossensten feministischen Pamphlete ihrer Zeit in Deutschland und gilt zu Recht als bedeutende Vordenkerin der radikalen Frauenbewegung.

»Unsere bescheidenen Frauen«

Hedwig Dohms Zorn hatte gute Gründe. 1871 war das deutsche Kaiserreich ausgerufen worden. Hoffnungen, dass Frauen nun als vollwertige Staatsbürgerinnen gelten und politische Mitwirkungsmöglichkeiten erhalten würden, wurden enttäuscht. Die organisierten »bürgerlichen« Frauenvereine blieben dennoch zurückhaltend. Dies lag nicht nur daran, dass auch sie vielfach an tradierten Rollenmodellen hingen. Hinzu kam, dass Frauen eine politische Betätigung im Kaiserreich durch die preußischen Vereinsgesetze verboten war. Der Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF), der sich 1865 als Interessenzusammenschluss gegründet hatte, trat auch deshalb verhältnismäßig zahm auf und vertrat Forderungen, die von den behördlichen Zensoren toleriert wurden.

Zulässig war unter diesen Vorzeichen der Einsatz für die Förderung ökonomischer Selbständigkeit und Freiheit der Frauen. Diese setzte wiederum die Möglichkeit für Frauen voraus, einer unabhängigen Erwerbsarbeit nachgehen zu können. Dafür mussten jedoch parallel Berufe für Frauen geöffnet und vor allem Bildungsmöglichkeiten für Mädchen geschaffen werden, die in Deutschland kein Abitur erwerben und nicht studieren durften. Hier setzte die Frauenbewegung an: Die »ökonomische Selbstständigkeit des weiblichen Geschlechts« sei die wichtigste Aufgabe der Zeit, schrieb die Vorsitzende des ADF Louise Otto-Peters 1866, »für alles Uebrige brauchen wir dann kaum noch weitere Forderungen zu stellen, kaum zu kämpfen – es wird von selbst folgerichtig kommen«.

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Ein solches Politikverständnis wurde von Hedwig Dohm regelrecht verspottet: »Die guten deutschen Frauen placken sich damit ab, einige Verbesserungen an Mädchenschulen vorzuschlagen, kleine, niedliche Fortbildungsanstalten zu errichten (…). Unsere bescheidenen Frauen schmachten nach einer kleinen Anstellung am Post- oder Telegrafenamt.« Dohm konnte sich die Spitzen erlauben, denn sie blieb eine Solitärin. Trotzdem war es alles andere als selbstverständlich, dass sich eine Frau derart selbstbewusst in die Debatten einmischte.

Polemik und Ideologiekritik

Als Tochter eines Tabakfabrikanten war Hedwig Dohm in relativem Wohlstand aufgewachsen, hatte wie viele andere feministische Aktivistinnen das Lehrerinnenexamen absolviert und sich ihr Wissen als Autodidaktin angeeignet. Mit 21 Jahren heiratete sie den 12 Jahre älteren Ernst Dom, der sie als gemäßigter liberaler Demokrat und Redakteur des Satireblattes »Kladderadatsch« in die intellektuellen Kreise Berlins einführte, in denen sich Kontakte mit anderen Intellektuellen ergaben, darunter auch Ferdinand Lasalle. Dennoch bedeutete die Ehe auch für Hedwig Dohm eine traditionelle geschlechtliche Arbeitsteilung. In den 1850er Jahren kamen fünf Kinder des Ehepaars zur Welt. Der erstgeborene Sohn verstarb mit 12 Jahren, die vier Töchter – unter deren Töchtern sich wiederum Katia Mann und Hedda Korsch befanden – verkehrten später selbst in intellektuellen und politischen Kreisen.

Schon ihre erste Schrift von 1872, »Was die Pastoren von den Frauen denken«, brachte ihre Wut auch über diese traditionellen Rollenerwartungen fast ungefiltert aufs Papier. »Ich kann nicht sagen, mit welchem Widerwillen mich die Verlogenheit jener landläufigen Phrasen erfüllt«, schrieb die 41-jährige Berlinerin über die Anmaßungen, mit denen Männer die soziale Unterdrückung von Frauen rechtfertigten. Mit großem Willen zur Konfrontation ging sie Geistliche an, zerriss deren Argumente und führte sie regelrecht vor. Am Ende ihrer intellektuellen Demontage blieb der Spott: »Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun!«

Das ein Jahr später erschienene Buch »Der Jesuitismus im Hausstande« war Dohms umfangreichste Schrift. Hier übte sie Ideologiekritik auf hohem Niveau und gab sich als Kritikerin bürgerlicher Ideologie und Moralvorstellungen zu erkennen. Ausgerechnet in einer Zeit, in der technischer Fortschritt mit Nähmaschinen, Gas- und Wasserleitungen oder der banalen Erfindung von Zündhölzern das Leben der Frauen hätte erleichtern können, wurde das soziale Leitbild der Frau als Hausfrau und Mutter noch verpflichtender. Das Netz bürgerlicher Moralvorstellungen zog sich um die Frauen immer enger zusammen. Dohm geißelte diese Entwicklung: »Welches ist die Signatur unserer Zeit? Die Heuchelei, der Jesuitismus, der alle socialen Verhältniße erfüllt, der unser Denken und Fühlen bis zu unseren Handlungen, der nicht nur das Wort auf unserer Zunge, sondern selbst die Keime, aus denen Gedanken werden, vergiftet.« Mit ihren Forderungen, die zur selben Zeit auch von frühsozialistischer Seite aufgestellt worden waren, bekannte sich Dohm als Radikale oder Linke.

Frauenrechte als Menschenrechte

Die radikale Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Hedwig Dohm um 1870
Die radikale Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Hedwig Dohm um 1870

In ihren beiden in den darauffolgenden Jahren erscheinenden Schriften hielt Dohm diese kämpferische politische Haltung durch. »Die wissenschaftliche Emancipation der Frau« wiederholte das erprobte Verfahren, Wissenschaftler ob ihrer offensichtlichen Verblendung vorzuführen. Erneut standen dabei weibliche Rollenerwartungen im Mittelpunkt, nur ging es hier nicht um das Schicksal des Hausfrauendaseins, sondern um den Anspruch und das Recht auf Bildung.

Wenn sich in diesem Thema eine Annäherung an die Frauenbewegung andeutete, wurde diese in ihrer 1876 erscheinenden Streitschrift »Der Frauen Natur und Recht« noch deutlicher. Hier forderte sie den politischen Kampf der Frauen direkt ein. Denn Frauen litten unter einem »Geschlechtsdespotismus«, der ihnen keine Möglichkeit des Entscheidens über ihre eigenen Belange lasse. In diesem Buch rief Dohm nun direkt zur Organisation der Frauen auf. Die Frauenbewegung sei ein »Hauptfaktor unserer Zeit«, im Stimmrecht der Frauen liege der entscheidende Schlüssel zur Verbesserung ihrer Situation.

Allerdings forderte Dohm die deutsche Frauenbewegung damit heraus. Denn die Berlinerin hatte als Vorbilder die Frauenbewegung in England und den Vereinigten Staaten vor Augen. Dort gehörte die »Frauenfrage zu den großen nationalen Angelegenheiten«. Dohm forderte entsprechend die Gründung von »Stimmrechtsvereinen« und beschloss ihre Schrift mit den Worten: »Die Menschenrechte haben kein Geschlecht«. Damit siedelte sie Frauenrechte und das Stimmrecht in der Tradition der Französischen Revolution an, deren Zentraldokument die Erklärung der Menschenrechte gewesen war. Schon 1791 hatte dies eine andere radikale Intellektuelle, Olympe de Gouges, einer feministischen Überarbeitung unterzogen.

Ein »unausbleiblicher« Kampf

Frauen als vollwertige Rechtssubjekte zu begreifen und keinen Unterschied durch die Geschlechtszugehörigkeit zuzulassen, war elementar in Hedwig Dohms Denken. In Deutschland forderte dies organisiert erst der »radikale« Flügel der Frauenbewegung, der sich in den 1890er Jahren um Minna Cauer, Anita Augspurg und andere konstituierte. Einen ihrer Vorläufer, den 1888 von Cauer gegründeten »Verein Frauenwohl«, unterstützte Hedwig Dohm von Anfang an. Erst in den Folgejahren entwickelten sich die Forderungen nach der Einführung des weiblichen Stimmrechts zu einem Anliegen, das sich auf eine Massenbasis stützen konnte. 1902 wurde es zu einer Hauptforderung der Feministinnen.

Hedwig Dohm wagte nun ein Comeback als politische Polemikerin. In »Die Antifeministen« versammelte sie Aufsätze, die in den zurückliegenden Jahren erschienen waren. Das Buch – das vom selben Verlag verlegt wurde wie das Organ der »Radikalen«, die Zeitung »Die Frauenbewegung« – verteidigte die Frauenbewegung gegen jene männlichen Kritiker, welche die weibliche »Entrechtung für alle Zeit festhalten« wollten. Der Kampf dagegen sei »unausbleiblich«, er bringe »flutende Bewegung in die Massen«.

Dohm hatte recht mit ihrer Skepsis, die den Kampf zur Notwendigkeit machte. Denn es dauerte weitere 16 Jahre und erforderte die Absetzung der Monarchie nach der Niederlage im Weltkrieg, bis auch Frauen am 30. November 1918 das volle Wahlrecht zugestanden wurde. Hedwig Dohm erlebte diesen Triumph noch auf dem Sterbebett. Die Feministin verstarb am 1. Juni 1919, vor 105 Jahren.

David Bebnowski ist Historiker und Sozialwissenschaftler. Er arbeitet am Amerika-Institut der LMU München im ERC-Projekt »The Arts of Autonomy« an einer Geschichte feministischen Drucks in Deutschland und den USA.

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