Alexander Lang gestorben: Zwischen Distanz und Aberwitz

Der Theaterrevolutionär Alexander Lang ist gestorben

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein Berufsphilosoph bei der Arbeit: Alexander Lang als Darsteller neben Renate Krößner in »Solo Sunny«
Ein Berufsphilosoph bei der Arbeit: Alexander Lang als Darsteller neben Renate Krößner in »Solo Sunny«

Mit Alexander Langs Auftritt als Regisseur änderte sich das Theater von Grund auf. Man kann von einer Revolution sprechen. Und das ausgerechnet am Olymp des DDR-Theaters, dem Deutschen Theater in Berlin, dem Lang seit 1969 als Schauspieler angehörte.

Vielleicht war es für den 1941 in Erfurt geborenen Lang die Rolle des aufsässigen Paul Bauch in Volker Brauns »Die Kipper« gewesen, die ihn zum Flugschriftenschreiber am eigenen Theater werden ließ? Darin forderte er mehr Mitbestimmungsrecht der Schauspieler am Theater – und wechselte umgehend ins Regiefach. Das waren die Paradoxien, aus denen sein Theater die Energie bezog. Langs furioser Regie-Einstand erfolgte 1977. Da hatte gerade der Regisseur von Heiner Müllers »Philoktet« hingeworfen. Unklar ist, ob wegen der drei renitenten Schauspieler oder wegen des überaus anspruchsvollen Textes.

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»Dann mach’ ich es eben selber!«, rief Lang, Philoktet in Müllers Adaption von Sophokles’ Urfassung, die mit einer kardinalen Akzentverschiebung für Bestürzung sorgte: »Der tote Held tut’s auch!« Die Urzelle des Lang-Theaters war geschaffen, mitsamt Christian Grashof und Roman Kaminski. Sie hatten einige Freunde und viele Feinde am Haus. Zu neu, zu unbedingt, zu grell, zu formal überspitzt erschien dem mehrheitlich nach dem Motto »Hauptsache, wir können gut sprechen« agierenden Ensemble sein Ansatz. Der hieß: Spielen, bis das Absurde aller hehren Ideen augenfällig wird! Mit Volker Pfüller kam ein Bühnenbildner hinzu, der wusste, Schauspieler sind beseelte Marionetten, die sich von den Fäden, an denen sie hängen, verzweifelt zu befreien versuchen.

Zur Probe auf diese höchst formal zugespitzte Lesart, die Lang »fantastischen Realismus« nannte, wurde Büchners Revolutionsstück »Dantons Tod«, das 1981 zur Premiere kam – und geradezu eine Krise der Revolutionstheorie auslöste, nach der die Revolutionen »Lokomotiven der Weltgeschichte« (Marx) sind. Mit Lang aber wurde in der Pfüllerschen Guckkastenbühne Adornos »negative Dialektik« gespielt, was man in der DDR aber so nicht ansprechen durfte. Revolutionen vernichten eine alte Ordnung. Und jetzt? Es eröffnet sich eine Leerstelle, die ein Fragezeichen bleibt. Barbarei oder Gerechtigkeit? Bei Büchner gehen sie in Gestalt von Danton und Robespierre eine blutige Hochzeit ein. In Langs »Arbeitsthesen« zu »Dantons Tod« kann man lesen: »›Dantons Tod‹ ist kein Historiendrama, sondern ein Büchnerisches Gegenwartsstück … Dantons und Robespierres Kampf ›Wie der neue Mensch beschaffen sein soll‹, erweist sich als irreal. Der ›epikureische Mensch‹ und der ›asketische Tugendmensch‹ sind beides Denkmodelle, die ohne Änderung der sozialen Situation geplant werden.«

Wie löst man diesen Ansatz szenisch? Durch einen spielerischen Kunstgriff, den man genial nennen darf: Christian Grashof verkörperte beide Figuren, Danton und Robespierre. Mit einer Drehung nach rechts war er Danton in Dandy-Weiß, mit einer nach links Robespierre als dunkler Hohepriester des Jakobinismus. Die heftigen Wortwechsel zwischen ihnen wurden so zum irren Selbstgespräch einer Revolution, die sich jeder Vernunft entzogen hatte.

Was für ein furioser schauspielerischer Höhenflug von Grashof und Co., aber auch eine abgründige Lesart von Revolution, die Volker Brauns »Lenins Tod« nahe kam. Es waren die Theater der DDR, die in den 80er Jahren neue Lesarten von Geschichte schufen, Denkmodelle anboten, um aus dem lähmenden Status quo nach der Biermann-Ausbürgerung von 1976 herauszukommen. Langs furiose Inszenierung von Christoph Heins »Die wahre Geschichte des Ah Q« an den Kammerspielen des DT erschien 1983 wie eine aberwitzige Fußnote zu Beckett. Theater im Niemandsland der Geschichte. Unter dem Motto einer »Trilogie der Leidenschaft« verband Lang 1986 drei Stücke: Euripides’ »Medea«, Goethes »Stella« und Strindbergs »Totentanz«. Diesmal ein Reigen in Schwarz-Weiß: Zerstörung von Leidenschaft durch leidenschaftslose Mächte.

Meine Lieblingsinszenierung von Lang aber bleibt Grabbes »Herzog Theodor von Gothland« von 1984: der schreiende Irrsinn, der sich befremdlich lustvoll Bahn bricht, in Gestalt des Schwert schwingenden Gothland (wieder Grashof). Langs Kommentar dazu, Gothland sei bereit, »die Welt in die Luft zu sprengen«.

Dann siegte die konservative Fraktion am DT und wohl auch in der SED-Kulturpolitik. Lang bekam 1986 ein Arbeitsvisum für den Westen, war zur Wendezeit Oberspielleiter am Westberliner Schillertheater. Auch dort konnte man dann wichtige Inszenierungen sehen, so etwa »Grimms Märchen« mit dem uralten Bernhard Minetti, oder seinen bitter-bösen Kommentar zur deutschen Einheit mit Schillers »Die Räuber« vom Herbst 1990.

Lang gehörte zu den wenigen deutschen Regisseuren, die eingeladen wurden, an der Comédie-Française in Paris zu inszenieren (1994 mit Kleists »Prinz von Homburg«), kam als Regisseur und Schauspieler 2003 zurück ans Gorki-Theater, wo er nach der Schauspielschule einst debütiert hatte, legte dort ein provozierend kaltes »Nachtasyl« vor und 2006 einen ebenso radikalen »Zerbrochnen Krug«. Aber die meinungsmachenden Medien hatte sich entschlossen, Alexander Lang nur noch herablassend zu behandeln, was dieser große Regisseur gelassen ertrug.

Zum Glück gibt es seine Inszenierungen von Heinrich Manns »Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen« (DT, 1982) und Brechts »Die Rundköpfe und die Spitzköpfe« (DT, 1983) auf DVD. Und seinen legendären Saxofon spielenden Philosophen in Konrad Wolfs ultimativem Berlin-Film »Solo Sunny« von 1980 an der Seite von Renate Krößner sollte man ohnehin gesehen haben.

Die letzten Lebensjahre wurden für den grandiosen Distanzspieler, der immer ein freundlich-zugewandter und generöser Gesprächspartner blieb, zur schweren Prüfung, als ihm beide Beine amputiert werden mussten. Wer ihn 2020 bei der Entgegennahme des Konrad-Wolf-Preises in der Akademie der Künste erlebte, wie immer ironisch-scharfzüngig, von überwältigender Intelligenz, der vergaß ganz und gar den Rollstuhl, an den er gefesselt war. Am 31. Mai ist der bedeutende Regisseur und Schauspieler Alexander Lang in Berlin gestorben.

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