Rechte gegen Arbeiterrechte

Mit gewerkschaftsfeindlichen Politiken verstärken extrem rechte Parteien in der EU ihre Popularität unter Lohnabhängigen

Eine neue Auswertung des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) zeigt, dass extrem rechte EU-Abgeordnete in dieser Legislaturperiode in 15 Fällen gegen die Verbesserung von Arbeiter*innenrechten und Sozialstandards gestimmt haben. So lehnte die extrem rechte Fraktion Identität und Demokratie (ID), der auch die AfD bis vor kurzem angehörte, mit großer Mehrheit die EU-Mindestlohnrichtlinie ab. Danach sind EU-Länder verpflichtet, den gesetzlichen Mindestlohn auf 60 Prozent vom Medianlohn oder 50 Prozent vom Durchschnittslohn im jeweiligen Land anzuheben. In Deutschland wird derzeit eine Anhebung auf 15 Euro diskutiert.

Auch bei den Themen Menschenrechte in globalen Lieferketten, Mindeststeuern für multinationale Konzerne, geschlechtergerechte Löhne, EU-Betriebsräte und Arbeitsbedingungen in Pflege- und Betreuungsberufen stimmten sie gegen Verbesserungen. Acht der neun AfD-Abgeordneten lehnten zudem die neue EU-Plattformrichtlinie ab, obwohl in dem Fall sogar eine Mehrheit der extrem rechten Gruppe ID zustimmte. Mit der Richtlinie will die EU Lohndumping und Formen der Scheinselbständigkeit unter den geschätzt 28 Millionen Plattformarbeiter*innen eindämmen.

Auch mit Blick auf die Ergebnisse warnt der EGB vor einem Erstarken der extremen Rechten bei den Europawahlen. »Das Abstimmungsverhalten bestätigt, dass sie keine Freunde der arbeitenden Bevölkerung sind«, sagt EGB-Generalsekretärin Esther Lynch zur Auswertung. Für deren Aufstieg macht sie unter anderem die Austeritätspolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten verantwortlich.

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Dass es diesen Zusammenhang gibt, legt auch eine aktuelle Studie des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) nahe, die unter rund 15 000 Erwerbstätigen und Arbeitsuchenden in zehn EU-Ländern durchgeführt wurde. Danach hängt das extrem rechte Wähler*innenpotenzial unter Erwerbspersonen stark mit schlechten Arbeitsbedingungen und Benachteiligungs- und Ohnmachtserleben im Joballtag zusammen. Die sind »in allen untersuchten Ländern ein Nährboden für die Entstehung antidemokratischer Einstellungen, die von rechten Parteien mobilisiert werden können«, erklärt WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch.

Die Folge ist ein selbstverstärkender Effekt für extrem rechte Parteien. So erhalten sie mit ihrer Politik prekäre Arbeitsbedingungen und Sozialstandards aufrecht und tragen dazu bei, damit verknüpfte Ohnmachtserfahrungen zu verstärken. Die wiederum führen zu einer erhöhten Bereitschaft unter Arbeiter*innen, extrem rechte Parteien zu wählen.

Eine sozialpsychologische Erklärung für dieses Phänomen liefern die Forscher*innen des Leipziger Else-Frenkel-Brunswik Instituts (EFBI). In ihren Studien zu autoritären Einstellungen fanden sie heraus, dass »wer sich im Arbeitsalltag ohnmächtig fühlt, auch mehr dazu neigt, andere abzuwerten und sich in Vergemeinschaftsungsideologien zu flüchten«, erklärt Andre Schmidt vom EFBI im Gespräch mit »nd«.

Bemerkenswert ist dabei, dass der Konflikt zwischen »Kapitalisten und Arbeitern« zwar nach wie vor als maßgebender gesellschaftlicher Konflikt wahrgenommen wird. Aber vielfach dringen Verbesserungen für Arbeiter*innen, die erstritten werden, nicht zu ihnen durch. »Es gibt eine große Distanz zu Politik und Parlament, vor allem im unteren Teil der Arbeiterklasse«, erklärt der Sozialforscher. Das habe auch damit zu tun, dass der Verteilungskonflikt Oben-Unten demobilisiert und entpolitisiert ist.

»Bei vielen hat sich ein politischer Nihilismus breitgemacht«, sagt Schmidt. Hetze gegen Migranten und Forderungen nach einer Abschottungspolitik nach außen seien dabei eine destruktive Form von Selbstermächtigung und politischer Gestaltung. »Wenn der demokratische Klassenkampf aussichtslos scheint, werden die ideologischen Zerrbilder des Klassenkonflikts attraktiv«, bringt er die sozialpsychologischen Befunde auf den Punkt.

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