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»Alles falsch!«

Am Deutschen Theater rührt der Puppenvirtuose Nikolaus Habjan am Bild des opportunistischen Genies Karl Böhm

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Manchmal ist der Großkünstler auch nur ein Riesenarsch.
Manchmal ist der Großkünstler auch nur ein Riesenarsch.

Ein bucklicht Männlein im roten Pullunder sitzt auf der Bühne, eine Puppe in einem Rollstuhl; drum herum sind vornehme Sideboards wie ein Gehege für den immobilen Insassen mit dünnem grauen Haar platziert. Auf dem Möbel stehen fast ein Dutzend Uhren und ein Plattenspieler. Wir erkennen Notenständer, aber keine Musikanten. Willkommen in der Welt des Generalmusikdirektors a. D. Dr. Karl Böhm! Der Greis wird am Deutschen Theater Berlin für knapp zwei Stunden von dem Puppenspieler Nikolaus Habjan zum Leben erweckt.

Die Inszenierung, ursprünglich am Schauspielhaus Graz entwickelt, trägt den Titel »Böhm«; Habjan zeichnet auch für die Regie verantwortlich, Paulus Hochgatterer hat den Text geschrieben. Mit Kunststoffkörperhüllen (gebaut von Marianne Meinl und Habjan) macht er die seelischen Abgründe von Künstlerkult und politischem Opportunismus erfahrbar. Denn dieser Böhm, der typisch österreichisch titelgeil ist und sich immer Doktor nennen lässt, wurde als skrupelloser NS-Karrierist einer der berühmtesten Dirigenten des 20. Jahrhunderts.

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Am DT erleben wir einen garstigen, hasserfüllten Alten. Spricht er und regt sich auf, macht er mit Kopf und Hals Schnappbewegungen; öffnet Böhm dabei den Mund, will er anscheinend die Luft zerbeißen. Ihm fehlt zwar der Stock des Dirigenten, aber jede Armbewegung ist ein Befehl. Ein unberrührbares Häufchen Elend, das immer wieder in sich zusammenfällt und nur aus der Negativität Kraft zieht, denn »Alles falsch!« ist sein liebster Satz.

Es bleibt dabei in der Schwebe, ob es sich bei dem Greis wirklich um Böhm handelt oder um einen ehemaligen Volksschulwart, der, wie es seine Pfleger nahelegen, nur den Dirigenten spielt. Ein geschickter Kniff, welcher der Figur später so etwas wie Selbstkritik ermöglicht.

In Rückblenden wird erzählt, wie Böhm Musikdirektor der Dresdner Semperoper wurde. Sein Vorgänger lässt sich nicht korrumpieren, verrät die jüdischen Freunde nicht, was für den NS-Kulturfunktionär, den Habjan als sächselnden Tölpel darstellt, ein guter Anlass ist, sich seiner zu entledigen und den Karrieristen Böhm einzusetzen. Der will zwar nicht in die NSDAP, weil er – ästhetizistischer Stumpfsinn – ja bereits Mitglied einer, nämlich der »musikalischen Partei« sei, aber den Posten nimmt er gerne an.

Später legt er sein Erfolgsrezept im Zwiegespäch mit dem Geiger Schneiderjahn dar: »Wenn das Politische auf Sie zukommt, schauen Sie auf die Noten.« Dass er und der Geiger ihre sehr gut bezahlten Stellen haben, legitimiert Böhm mit dem Hinweis, dass, wenn die einen gehen, die anderen für sie nachrücken. Das Prinzip des generationellen Wandels setzt er gleich mit der Flucht, Vertreibung, Ermordung der Juden.

Nach dem Krieg jettet Böhm um die Welt, unter anderem als Dirigent des Chicago Symphony Orchestra. Ein Reporter fängt ihn ab, stellt ihn zur Rede, warum er nur so selten in Wien sei. Der Direktor rechtfertigt alles mit seinem Vertrag, der ihm diese Reisen erlaube. Trotzdem: Böhm wird in einer packenden Szene von einem unsichtbaren Publikumschor ausgebuht, exponiert im Licht am Pult. So schafft es Habjan, die Panik des Bloßgestellten in seinem Puppenspiel zu transportieren. Böhm tritt zurück, behauptet der Pöbel habe übernommen. Die SA war braver auf ihren Plätzen.

Habjan gelingt ein grandioser Abend: Er entlarvt Künstler- und Geniekult als billige Weltabkehr opportunistischer Privatdiktatoren, die nichts vom anderen und dessen Leid wissen wollen, um sich im Wahn ihrer Größe zu ergehen, die ihnen in Wahrheit von ganz kunstfernen Kräften zugesprochen wurde, weil sie selbstsüchtige Spinner sind. Die ziellose Präzision des Dirigats ist nur Tortur, Unterwerfungsbeweis. »Böhm« ist nicht nur gepeinigten Geigenkindern zu empfehlen, sondern allen, die Kunstreligion als Mythos kleinmütiger Männer verstehen wollen.

Nächste Vorstellungen: 29. und 30. Juni
www.deutschestheater.de

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