Verdächtig schnelle Bestzeiten bei der Tour de France

Die Topfahrer der Tour brechen Rekorde, die ihre Vorgänger nur unter Dopingeinfluss aufstellen konnten

  • Tom Mustroph, Superdévoluy
  • Lesedauer: 4 Min.
Jonas Vingegaard (v.) und Tadej Pogačar fuhren am Sonntag so schnell wie niemand vor ihnen hinauf zum Plateau de Beille.
Jonas Vingegaard (v.) und Tadej Pogačar fuhren am Sonntag so schnell wie niemand vor ihnen hinauf zum Plateau de Beille.

Die Bergrekorde purzeln nur so bei dieser Tour de France. An drei großen Anstiegen pulverisierte Tadej Pogačar bereits die Rekorde seiner Vorgängergenerationen. Am Galibier war er schneller als Nairo Quintana 2019, am Pla d’Adet übertraf er den 1993 aufgestellten Rekord des Polen Zenon Jaskula – der später zugab, in jener Saison mit Koffein und Kortison gedopt gewesen zu sein. Am Sonntag war Pogačar dann auf dem Plateau de Beille sage und schreibe drei Minuten und 44 Sekunden schneller als Marco Pantani bei dessen Toursieg 1998. Pantanis Doping mit Epo ist allgemein bekannt. Zudem stellte der Slowene gemeinsam mit seinem Rivalen Jonas Vingegaard einen neuen Rekord auf der steilen Rampe von San Luca auf.

Die professionellen Antidopingjäger blicken besorgt auf diese Entwicklung. Mario Thevis, Direktor des Kölner Dopingkontrolllabors, mahnt dennoch zur Vorsicht. Er will Doping nicht gleich als alleinige Ursache für die Rekordflut sehen. »Man muss natürlich andere Faktoren für die besseren Leistungen in Betracht ziehen«, sagt er in einem Telefonat mit »nd« und weist dabei auf die Entwicklung des Materials, Fortschritte in der Trainingsmethodik und der Ernährung hin. Er gibt aber auch zu bedenken: »Klammert man diese Faktoren aus, dann muss man auch feststellen, dass die Möglichkeiten der Leistungsbeeinflussung durch nicht erlaubte Mittel und Methoden umfangreicher geworden sind.«

Schwer nachweisbare Dopingmittel

Laut Thevis gibt es immer mehr Mittel auf dem Dopingmarkt, die nur schwer nachzuweisen sind. Ein Beispiel dafür ist AICAR, eine körpereigene Substanz, die für eine höhere Energiebereitstellung im Körper sorgt. Damit steigt die Ausdauerleistung. Im klinischen Alltag wird die Substanz unter anderem Leukämie- und Diabetes-Patienten verschrieben. »Die Herausforderung ist, dass AICAR als körpereigene Substanz vorkommt. Eine Unterscheidung zwischen diesem natürlich produzierten AICAR und dem synthetisch hergestellten und verabreichten AICAR in Dopingproben ist anspruchsvoll. Es bedarf eines Hinweises, wie beispielsweise einer erhöhten AICAR-Konzentration im Urin oder auffällige Markerwerte, um mit einer Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie-Analyse die tatsächliche Herkunft des vorliegenden AICARs zu bestimmen«, erklärt Thevis.

Das heißt: Damit ein positiver Test glückt, müssen gleich zwei Verfahren angewendet werden. Erst wird die Konzentration von AICAR gemessen. Nur wenn diese einen Grenzwert übersteigt, wird das zweite, aufwendigere Testverfahren durchgeführt. Den Auftrag dafür erteilen Sportverbände und Antidopingagenturen. Das sei aber bisher nur etwa zehnmal vorgekommen, sagt der Dopingexperte.

Eine weitere Schwierigkeit ist, dass körperfremdes AICAR recht schnell aus dem Organismus verschwindet. »Das erlaubt ein nicht allzu großes Nachweisfenster«, sagt er. Auch hier warnt der Dopingkontrolleur aber vor Kurzschlüssen: »Auch die Option, dass es nicht oder sehr selten verbotenerweise zum Einsatz kommt, kann die geringen Zahlen auffälliger Proben hinsichtlich AICAR erklären.« Im Radsport tauchte die Substanz erstmals 2009 auf. Damals wurden leere AICAR-Verpackungen im Teamhotel von Astana gefunden. Der kasachische Rennstall gewann in jenem Jahr die Tour de France.

Kohlenmonoxid statt Höhentraining?

Für Aufregung sorgte zuletzt auch ein Bericht des Escape Collectives über den Einsatz von Kohlenmonoxid-Tests, um den Hämoglobinwert zu bestimmen. Drei Teams – die von Pogačar und Vingegaard sowie Israel Premier Tech – gaben den Einsatz zu. Der Test ist umstritten. Zum einen wegen seiner Gefährlichkeit – man atmet schließlich das Gift Kohlenmonoxid ein. Zum anderen, weil das Einatmen den Körper in einen Schock versetzen kann, der die Produktion roter Blutkörperchen beschleunigt. Diese erhöhen die Sauerstofftransportfähigkeit. Kohlenmonoxid einzuatmen, kann damit ein Ersatz für Höhentraining sein. Als Pogačar am Dienstag danach gefragt wurde, reagierte er unwirsch: »Ich weiß nichts darüber. Ich dachte, es wäre etwas, das aus den Autos kommt.« Mit letzterem hat er recht. Ob Radprofis für dickeres Blut zurzeit auch Abgase schnüffeln – diese Frage begleitet nun die Tour.

Der Gerechtigkeit halber muss auch erwähnt werden, dass manche Allzeitrekorde auch diese Frankreich-Rundfahrt überstehen werden. Panatani etwa erkletterte l’Alpe-d’Huez im Jahr 1995 in nur 36 Minuten und 50 Sekunden. Pogačar und Vingegaard stehen hier nur auf Platz 18 mit mehr als 39 Minuten, erreicht bei der Tour 2022. Die Alpe wird in diesem Jahr ausgelassen. Stattdessen geht es am Freitag auf den mehr als 2000 Meter hohen Col de la Bonette. Hier hält der mittlerweile 47 Jahre alte französische Ex-Profi Peter Pouly mit einer Stunde, fünf Minuten und einer Sekunde den Rekord. Mal sehen, ob es Pogačar sogar unter einer Stunde schafft.

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