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IG Metall: Neue Streikformen stärken Forderungen der Basis

IG Metaller Dieter Lieske über die neue Kraft der Gewerkschaften und mehr Mitgliederbeteiligung

  • Interview: David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.
Tarifforderungen sind mehr als heiße Luft, wenn die Mitglieder an der Basis an ihrer Aufstellung beteiligt sind. Neue Streikformen und Umfragen tragen dazu bei.
Tarifforderungen sind mehr als heiße Luft, wenn die Mitglieder an der Basis an ihrer Aufstellung beteiligt sind. Neue Streikformen und Umfragen tragen dazu bei.

Zuletzt hat die Chemiegewerkschaft IGBCE einen Tariferfolg erzielt. Sie ging mit 7 Prozent in die Verhandlungen mit den Arbeitgebern, und bekam 6,85 Prozent. Wie kommen Gewerkschaften auf solche Zahlen? Sie hätten doch auch 9 Prozent fordern können.

Forderungen werden im Vorfeld in den Tarifkommissionen diskutiert. Da die Gewerkschaften grundsätzlich am Flächentarifvertrag festhalten wollen, wird die Situation der unterschiedlichen Betriebe in einer Branche analysiert und danach eine Forderung erarbeitet, die für alle Betriebe der Branchen tragfähig ist. Dabei orientiert man sich in erster Linie an der Situation der Branchen, dem Preisindex für Verbraucher, also der Entwicklung der Lebenshaltungskosten, und einer sogenannten Umverteilungskomponente. Diese soll bewirken, dass ein gewisser Ausgleich der Einkommen von »oben nach unten« erfolgt. Bei der IGBCE hat man all diese Punkte sehr intensiv diskutiert und auch danach geschaut, wie hoch andere Gewerkschaften mit ihren Forderungen gehen.

Wichtig ist Gewerkschaften natürlich auch, was die Basis denkt und möchte. Inwieweit spielen die Ergebnisse von Mitgliederbefragungen eine Rolle?

Die Meinung unserer Kolleginnen und Kollegen ist bei der Diskussion zur Vorbereitung einer Tarifrunde unerlässlich. Mit verschiedenen Methoden und Möglichkeiten werden die Erwartungen erfragt. Dazu gehören intensive Diskussionen im Betrieb, schriftliche Mitgliederbefragungen, Diskussionen in den gewerkschaftlichen Vertrauenskörpern und Mitgliederversammlungen. Diese Befragungen zur Mitgliedermeinung betreiben die IG Metall und der Deutsche Metallarbeiterverband (Vorläuferorganisation des heutigen Arbeitgeberverbands) in vielfältiger Form schon seit den 1920er Jahren. Allerdings haben Befragungen zur Tarifrunde in den vergangenen Jahren immer stärker an Bedeutung gewonnen.

Interview

Dieter »Didi« Lieske wurde 1958 in Recklinghausen geboren. Er war viele Jahre Erster Bevollmächtigter und Geschäfts­führer der IG-Metall-Geschäfts­stelle Duisburg-Dinslaken. Er sitzt für die SPD im Duisburger Stadtrat.

Die IG Metall geht in die anstehende Tarifverhandlung in der Metall- und Elektroindustrie im Herbst ebenfalls mit »nur« 7 Prozent. Kritiker sehen darin einen vorauseilenden Kompromiss mit der Wirtschaft, weil die Forderung zu lasch sei. Stimmt das?

Kritiker an Tarifforderungen und -abschlüssen gibt es immer. Wir richten uns sehr beteiligungsorientiert nach der Meinung unserer Mitglieder. Das ist schon deshalb wichtig, weil wir die Mitglieder hinter unserer Forderung versammeln müssen, für die wir uns ja gegebenenfalls auch mit Kampfmaßnahmen einsetzen. Von einem vorauseilenden »Kompromiss« kann hier nicht die Rede sein. Eine Tarifforderung muss auch für die Mitglieder transparent und nachvollziehbar sein. »Fantasieforderungen« kann man aufstellen – an einer Forderung ist noch kein Arbeitgeberverband oder Betrieb gestorben. Aber auch die Beschäftigten haben ein gutes Gespür dafür, was gegebenenfalls durchsetzbar ist.

Wie könnte eine stärkere Beteiligungsorientierung aussehen, die offensiver mit den Lohnforderungen der Basis in die Verhandlungen geht?

Eine stärkere Beteiligung an Tarifauseinandersetzungen sind etwa neue Streikformen wie der 24-Stunden-Streik. Das sind Warnstreiks, die die IG Metall 2018 erstmals als zusätzliche Eskalationsstufe in Tarifkonflikten eingeführt hat und die sich auf einzelne Betriebe beziehen. Voraussetzung ist, dass die Mehrheit der Mitglieder im Betrieb dafür stimmt. Das bietet hohe Flexibilität. Die Beschäftigten können sich beteiligen, mitplanen und -organisieren bei der Durchführung dieser recht neuen Kampfform.

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Den Gewerkschaften geht es wieder besser, angesichts steigender Mitgliederzahlen und der jüngsten Tariferfolge. Könnten sie nicht selbstbewusster in die Verhandlungen gehen und sich mehr in den politischen Diskurs einmischen?

In der derzeitigen Situation, bei einem fast optimalen Arbeitsmarkt für die Beschäftigten, ist eine Verbindung zwischen reinen Tarifrunden und einem generellen politischen Diskurs über die Situation von Beschäftigten möglich und wünschenswert. Gerade in jetzigen Zeiten wäre es geboten, über die generelle Einkommensfrage wieder andere Themen nach vorn zu bringen wie die weitere Verkürzung der Arbeitszeit. Das ist nach wie vor, wie in der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung, das »rote Tuch« für die Arbeitgeber. Ansonsten könnte man die Mobilisierung der Beschäftigten wie in der Chemiebranche durch die Forderung nach einem Mitgliederbonus für Gewerkschafter erhöhen, den die Arbeitgeber zahlen.

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