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Berliner Freibäder: Nach der Welle kommt kein Sturm
Neue Sicherheitskonzepte sollen Freibadgäste schützen, könnten jedoch diskriminierend wirken
»Mach mal keine Welle!«, forderte die linke Gruppe Migrantifa während ihrer Kundgebung vor dem Freibad Kreuzberg im vergangenen Juli. Ziel war es, eine linke Antwort auf die Freibaddebatte zu formulieren. Der »Welt«-Journalist Henryk M. Broder sagte damals, dass Freibäder keine öffentlichen Räume mehr seien, sondern »organisierte Plätze für Gangs«. Sowohl auf Bundes- als auch Landesebene sprachen sich Politiker*innen für das Durchgreifen der Polizei in den Bädern aus. Die antirassistischen Aktivist*innen forderten stattdessen eine Aufstockung und bessere Bezahlung des Personals, die Öffnung leerstehender Bäder und mehr soziale Arbeit.
Von einer »Welle der Gewalt« in Freibädern war 2023 berichtet woren, der Präsident des Bundesverbands Deutscher Schwimmmeister Peter Harzheim sprach wortwörtlich davon. Schaut man auf die Berliner Polizeistatistik, nimmt die Gewalt ab: Nach Angaben der »Tagesschau« ist die Zahl der registrierten Straftaten in Schwimmbädern 2022 im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie auf 285 gesunken. 2019 waren es noch 358, 2013 sogar 512 gewesen. Auch die Zahl der registrierten Gewalttaten lag 2022 unter der von 2019. Die Zahlen für 2023 konnte die Polizei bis Redaktionsschluss nicht mitteilen. Ob nun weniger oder mehr Delikte – das Personal der Berliner Bäderbetriebe (BBB) veröffentlichte 2023 einen Brandbrief und meldete sich kollektiv krank.
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Diesen Sommer bleibt die mediale Welle um Freibäder vorerst aus. Doch wer in eines der zwölf Freibäder der BBB möchte, muss gegen den Strom einer neuen Sicherheitspolitik schwimmen: Ohne Lichtbildausweis und Taschenkontrolle, der unter anderem Gläser und Besteck jeglicher Art zum Opfer fallen, kommt keine*r hinein. In den Freibädern Am Insulaner in Steglitz, Humboldthain in Wedding und in den Freibädern Pankow, Kreuzberg und Neukölln kann man nach zehn Uhr morgens nur noch mit Online-Ticket oder Sammelkarte einchecken. Die Eingänge werden videoüberwacht.
Von einer »Exklusiv-Bad-Saison für wenige« spricht die Initiative »Freibad einfach für alle« als Folge der neuen Sicherheitsmaßnahmen. Sie findet die Regelungen diskriminierend und sammelt 3000 Unterschriften, um sie dem Innensenat und den BBB zu übergeben. Die Diskriminierung zeige sich laut Initiative gegenüber Kindern und Jugendlichen, Älteren und Armen sowie Menschen ohne EU-Ausweis.
Nicht alle Kinder und Jugendlichen haben einen Paypal-Account, die wenigsten eine Kreditkarte. Eines von beidem braucht man, um das Online-Ticket zu kaufen. »Kinder und Jugendliche berichteten, dass sie unbekannte Erwachsene ansprechen, damit diese ihnen ein Online-Ticket kaufen«, heißt es in einer Mitteilung der Initiative, die beim Unterschriftensammeln mit Badbesucher*innen sprach. Wer es schafft, das Ticket online zu kaufen, der braucht entweder die Möglichkeit zum Drucken oder ein Smartphone für den QR-Code. Auch die Jugendliche Carolina erzählt »nd« im Freibad Pankow von der Problematik. »Früher hatten wir immer 3,50 Euro auf Tasche«, sagt sie. Freund*innen von ihr hätten jedoch kein Smartphone oder Paypal. »Es ist so viel leerer geworden«, sagt die Pankowerin, die das Freibad seit ihrer Kindheit wöchentlich besucht. Laut einer Mitteilung der BBB führt das Online-System zu kürzeren Warteschlangen und Entlastung für Personal. Was man aber in den Schlangen beobachten kann, sind viele irritierte und aufgebrachte Familien, denen Ticket oder Ausweis fehlt.
Wer nach Deutschland geflohen ist, hat – wenn überhaupt – einen Pass oder ein Ersatzdokument. Da Diebstahl in Freibädern nicht ausbleibt und Schließfächer begrenzt sind, dürfte es abschrecken, damit ins Bad zu kommen. Mehrere Sicherheitskräfte im Freibad Pankow und Kreuzberg bestätigen »nd«, dass sie täglich Dutzende Menschen aus diesem Grund abweisen müssten. »Darunter waren viele junge Menschen, die von weit her kommen«, sagt ein Sicherheitsmitarbeiter in Pankow. Die Linke-Abgeordnete Elif Eralp spricht von Diskriminierung von »illegalisierten und armen Menschen« durch Ausweiskontrolle und Online-Ticket-Kauf. Der »Tagesspiegel« berichtete bereits, dass es im Freibad Am Insulaner zu einem Schwarzmarkt im Ticketverkauf durch Sicherheitskräfte gekommen sei. Dies zeigt laut der Initiative »Freibad für alle«, wie hochschwellig das derzeitige Ticketsystem ist.
Sowohl Eralp als auch die Initiative fordern soziale Lösungen, wie sie die Migrantifa 2023 bereits formulierte. »Es braucht insgesamt viel mehr Bäder, unser Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat beispielsweise nur eines, manche haben gar keines«, sagt Eralp zu »nd«. Statt Polizei wären ihrer Meinung nach »mehr sozialarbeiterisch geschulte Beschäftigte wie an anderen Orten, wo viele Jugendliche aufeinander treffen, hilfreich.« Die Initiative sagt auf Nachfrage von »nd« zur aktuellen Sicherheitspolitik, dass die Streichung von niedrigschwelligen Freizeitangeboten und Kürzungen im Bereich Soziales und Gewaltprävention nicht dafür sprächen, dass das Problem politisch nachhaltig angegangen werde.
Freibäder sind vielleicht schon lange keine Oasen der Ruhe mehr, falls sie es je waren. In erster Linie sind sie die Orte für jene Berliner*innen, die sich Urlaub nur in der Stadt leisten können. Orte, an denen Geschichten und Hormone kollidieren und viele ein Gefühl von Freiheit suchen. Es bleibt fragwürdig, inwiefern die aktuelle Sicherheitspolitik es allen Berliner*innen ermöglicht, daran teilzuhaben. Ob sich auch in den Besucher*innenzahlen ablesen lassen wird, dass nach der Welle 2023 der Ansturm auf die Freibäder ausblieb, lässt sich erst zum Ende der Saison sagen, wenn die BBB ihre Abschlussbilanz veröffentlichen.
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