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Eva Mamlok und Pieter Siemsen: Liebe in grausamen Zeiten

Der Widerstandskämpferin Eva Mamlok und dem sozialistischen Emigranten Pieter Siemsen blieb in den 30er Jahren eine gemeinsame Zukunft verwehrt

  • Marcus Christoph
  • Lesedauer: 8 Min.
Eva Mamloks kurzes Leben wird mit einer Ausstellung im FHXB-Museum in Berlin-Kreuzberg rekonstruiert. Ihr Jugendfreund war Pieter Siemsen, der nach Argentinien emigrierte. Sie folgte ihm nicht.
Eva Mamloks kurzes Leben wird mit einer Ausstellung im FHXB-Museum in Berlin-Kreuzberg rekonstruiert. Ihr Jugendfreund war Pieter Siemsen, der nach Argentinien emigrierte. Sie folgte ihm nicht.

Cristina Siemsen ist den weiten Weg von Buenos Aires nach Berlin gekommen. Aber die 78-jährige Psychologin hat die Reise über den Atlantik bewusst auf sich genommen. Schließlich hat der Grund dafür mit ihrem Vater Pieter Siemsen zu tun. Dieser hatte Deutschland 1937 aus politischen Gründen in Richtung Argentinien verlassen. Im dortigen Exil lebte er bis 1952, ehe er sich entschied, ein neues Leben in der DDR zu beginnen. Er starb 2014 kurz vor seinem 90. Geburtstag in Berlin.

Konkreter Anlass ist eine Ausstellung, die derzeit im FHXB-Museum in Berlin-Kreuzberg zu sehen ist. Bei dieser geht es um den Widerstand einer Gruppe jüdischer Frauen gegen das NS-Regime. Die Protagonistin Eva Mamlok war Mitte der 30er Jahre die Partnerin von Pieter Siemsen.

In der Ausstellung wird erzählt, wie das junge Paar sich bei Woolworth Eheringe für »90 Pfennig« kaufte – zu einem Zeitpunkt, als die Nazis bereits die Heirat zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen verboten hatten. Pieter wanderte dann aber alleine nach Südamerika aus.

Die Familie von Cristina Siemsen hat einen Brief von Eva Mamlok zur Ausstellung beigesteuert. Dieser ist datiert vom 13. Dezember 1937, als Pieter wohl schon in Argentinien angekommen war, wie Ausstellungskuratorin Alexandra Weltz-Rombach einordnet. Darin begründet Eva, warum sie es für besser hielt, die Beziehung zu beenden.

»Zwei Jahre, in denen Gefühl und Verstand miteinander kämpften, zermürbten mich. Aber dieses sind die schwersten Kämpfe. Das Gefühl erhielt seine Nahrung aus der Fantasie, der Verstand aus der Wirklichkeit. Endlich hat der Verstand gesiegt.« In dem Brief beklagt Eva Mamlok, dass ihr Partner versucht habe, ihr Meinung und Moral »einzutrichtern«. Die Kreuzbergerin spricht von der »Unmöglichkeit des Zusammenlebens«. Cristina Siemsen vermutet, dass das Schreiben so deutlich formuliert wurde, damit ihr Vater sich keine Illusionen mehr mache.

Kuratorin Weltz-Rombach meint: »Pieter hat offenbar die Tragweite des Engagements seiner Partnerin unterschätzt.« Siemsen stammte aus einer »großen SPD-Familie«. Sein Vater August Siemsen saß für die Sozialdemokraten im Reichstag – und auch Pieter (Jahrgang 1914) war schon in jungen Jahren ein politisch bewusster Mensch. In dem Vergleich mag der Protest der um vier Jahre jüngeren Eva in jenen Jahren als eher »wild« erschienen sein, erläutert Weltz-Rombach.

Gleichwohl ist Evas Mut bewundernswert. Die Kreuzbergerin war gerade 14 Jahre alt, als sie 1933 mit großen Lettern ans Dach des Hertie-Kaufhauses am Halleschen Tor »Nieder mit Hitler« schrieb. Dies war der Grund für ihre erste Verhaftung. Sie wurde aufgrund ihres jungen Alters aber wieder freigelassen.

»Es ist beeindruckend, welche Personen hier aufeinander trafen«, meint die Kuratorin. Gleichwohl ist von der eigentlichen Beziehung der beiden nicht viel bekannt.

In seiner Autobiografie »Der Lebensanfänger« erwähnt Pieter Siemsen, wie er ausgerechnet beim Militär in Kontakt zu oppositionellen Kreisen bekam. Dadurch lernte er dann Eva kennen. »Diese Freundschaft war ungeheuer wichtig für mich, denn ich war bis dahin ziemlich alleine.«

Seine Liebe zu dem Teenager romantisiert er: »Eva und ich hatten uns sehr gerne.« Dabei erwähnt er die Eheringe. »Die steckten wir uns stolz an die Finger.« Er habe den Ring lange getragen. Von Argentinien aus habe er versucht, Eva nachzuholen. Aber die Bemühungen blieben erfolglos.

Über die Beziehung ihres Vaters zu Eva Mamlok sagt Cristina Siemsen: »Ich wusste von einer Freundin. Aber nicht, dass es eine große Liebe war.« Erst kürzlich fand ihr Sohn Adrián Feferbaum Siemsen im Nachlass des Großvaters den erwähnten Brief. Der 45-jährige Architekt aus Buenos Aires beschäftigt sich mit der Geschichte seiner Vorfahren. Im Mai dieses Jahres hielt er im Polyrama Museum für Lebensgeschichten am Stuttgarter Platz in Charlottenburg einen Vortrag zu diesem Thema.

Die Lebensläufe von Pieter Siemsen und Eva Mamlok verliefen nach ihrer Trennung sehr unterschiedlich. Das Schicksal Evas wird in der Ausstellung dargestellt. Sie wehrt sich gegen das NS-Regime durch »Widerständigkeit im Alltag«, beschreibt die Kuratorin ihren Aktionismus. Durch Flugblätter oder regimekritische Parolen an Wänden. Gleichgesinnte organisieren Treffen, um den Inhalt verbotener Bücher zu diskutieren.

Aufgrund ihres Widerstands wird Eva als 16-Jährige ins niedersächsische Konzentrationslager Moringen gesperrt. Diese schlimme Erfahrung hindert sie nicht daran, sich nach ihrer Freilassung weiter politisch zu engagieren. In den ersten Kriegsjahren musste sie bei einer Berliner Schraubenfabrik Zwangsarbeit leisten. Anfang 1942 erfolgte die Deportation nach Riga. Der Leidensweg der jungen Frau setzte sich im Konzentrationslager Stutthof fort. Dort kam sie Ende 1944 nach offiziellen Angaben aufgrund »allgemeiner Körperschwäche« ums Leben, was wohl eine euphemistische Formulierung sein dürfte.

Eine Vita, die einen nicht kaltlässt. Die Schrecken der NS-Herrschaft werden konkret erkennbar an einem Einzelschicksal. »So wird eine direkte Identifikation möglich«, meint Weltz-Rombach. Sie hat zwei Jahre lang mit anderen Historikerinnen und Historikern für die Ausstellung recherchiert.

Die Kuratorin spannt den Bogen zur Gegenwart, die durch das Erstarken rechtspopulistischer Parteien gekennzeichnet ist. Das lasse das Thema der Ausstellung wichtiger werden. So könne man sich beim Blick auf die Geschichte fragen: Steht uns so etwas wieder bevor?

Auch am Lebensweg von Pieter Siemsen spiegeln sich die Verwerfungen des vorigen Jahrhunderts wider. Er hatte mit seinen Eltern Deutschland nach der Machtübernahme der Nazis zunächst in Richtung Schweiz verlassen. Dann trennten sich die Wege vorübergehend. Sein Vater August Siemsen, von Beruf Lehrer, nahm 1934 eine Einladung nach Buenos Aires an. Dort plante der Verleger des »Argentinischen Tageblatts«, Ernesto Alemann, eine neue Schule zu gründen, die als liberaler Gegenpol zu den im NS-Geist gleichgeschalteten deutschen Auslandsschulen in Argentinien dienen sollte. Die so entstandene Pestalozzi-Schule besteht bis heute.

Pieter Siemsen musste aber zurück nach Deutschland, da er in der Schweiz keine Beschäftigungsmöglichkeit fand. Er kam in den Arbeitsdienst und später zum Militär. Von Argentinien aus ließ sein Vater ihn 1937 wissen, dass er Deutschland unbedingt verlassen müsse. Die deutsche Botschaft in Buenos Aires ließ nämlich Recherchen über August Siemsen und seine Familie anstellen. Auch Pieter war gefährdet. Mithilfe eines Offiziers konnte der Sohn die zur Ausreise erforderlichen Papiere beschaffen und folgte seinen Eltern nach Argentinien.

»Diese Freundschaft war ungeheuer wichtig für mich, denn ich war bis dahin ziemlich allein.«

Pieter Siemsen

Arbeit fand Pieter Siemsen beim Zeitungsunternehmen der Familie Alemann, in deren Druckerei er als Setzer angelernt wurde. Wegen Beteiligung an einem Streik verlor er diesen Posten aber wieder. Es folgten Beschäftigungen bei anderen Druckereien sowie als Lagerarbeiter.

Politisch engagierte er sich bei dem 1937 gegründeten Verein »Das andere Deutschland«, ein Zusammenschluss deutscher Emigranten in Buenos Aires. Zu den Gründern gehörte der Lehrer Erich Bunke, dessen Tochter Tamara später unter dem Kampfnamen »Tania« an der Seite »Che« Guevaras kämpfte. Bei der Gruppe ging es darum, sich auf deutsche Kultur – speziell Goethe, Schiller und Brecht – zu besinnen und diese der NS-Ideologie entgegenzustellen.

Im Rückblick bezeichnete Pieter Siemsen die Jahre in Argentinien als „produktivste Zeit“ in seinem Leben. Die Mentalität der dortigen Menschen habe ihm sehr zugesagt, wie er in einem Interview mit der „Informationsstelle Lateinamerika“ betont.

Dennoch entschied er sich, das Land am Río de la Plata zu verlassen. Seine Ehe mit Lene Laub, einer jüdischen Emigrantin aus Wien, mit der er zwei Töchter hatte, war zerbrochen. Pieter Siemsen kehrte alleine nach Deutschland zurück. »Meine Mutter bekam die Kinder, mein Vater die Schreibmaschine«, erzählt Cristina Siemsen, die bei der Trennung von ihrem Vater sechs Jahre alt war.

Offenbar verband Pieter Siemsen mit der DDR mehr Hoffnungen auf einen gesellschaftlichen Neuanfang nach der Nazi-Zeit als in der Bundesrepublik. „Er war ein Idealist. Er dachte wohl, dass in der DDR der neue Mensch heranwachsen werde“, sagt Cristina Siemsen.

Um überhaupt in der DDR leben zu können, musste Pieter Siemsen sich gedulden. Den Behörden waren Zuzügler aus der westlichen Hemisphäre scheinbar suspekt. Nur durch Heirat mit einer DDR-Bürgerin gelang es Pieter Siemsen, in den östlichen Teil Berlins zu ziehen.

In der DDR fand Pieter Siemsen seine Nische als Spanisch-Redakteur bei dem Berliner Verlag Die Wirtschaft. Mehrere Male begleitete er auch DDR-Delegationen zu Reisen in lateinamerikanische Länder.

Mit seinen Töchtern entstand ein reger Briefkontakt. 1976 besuchte Cristina ihren Vater erstmals in Ost-Berlin. Sie erinnert sich noch an das Klima beim Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstraße. »Man war eine Nummer! Es wurde viel geschrien. Es war sehr unangenehm.«

Pieter Siemsen lebte bis 2014 in Berlin. »Er war ein sehr herzlicher Mensch, ziemlich argentinisch«, erinnert sich Cristina Siemsen. Heute lebt ihre Tochter Sandra in Berlin. Die 39-Jährige hat kürzlich das Projekt »Jetztzeit-Lebenserinnerungen« initiiert, bei dem es um Immigration zwischen Deutschland und Argentinien geht.

»Es freut mich, dass meine Kinder sich für diese Geschichte interessieren«, meint Cristina Siemsen. Mit einer Generation Abstand scheint der Zugang zu der bewegten, aber auch tragischen Geschichte einfacher zu sein.

Die Ausstellung über die Widerstandsgeschichten um Eva Mamlok ist im Museum Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg bis zum 22. September zu sehen.

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