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Bisexualität: Unsichtbar und doppelt diskriminiert
Der Bi+Visibility Day soll auf die spezifischen Probleme bisexueller Menschen aufmerksam machen
Bei der Bi+Pride in Hamburg, einer Demonstration für bi- und pansexuelle Sichtbarkeit, wird Rahel Korinth am kommenden Samstag eine Rede über ihre Forschung halten. Und sie will erstmals öffentlich von sich als bisexueller Person sprechen. Bislang habe sie das strikt von ihrer Arbeit als Sexualwissenschaftlerin an der Medical School Hamburg getrennt. Das nun zu ändern, »sehe ich als meinen Auftrag«, sagt die 29-Jährige gegenüber »nd«.
Schließlich haben die Aktionen rund um den Bi+Visibility Day (Tag der bisexuellen Sichtbarkeit) am 23. September dasselbe Anliegen wie ihre jüngste Publikation: »Das Unsichtbare sichtbar machen« heißt die im August veröffentlichte Studie, für die Korinth mit ihren Kolleginnen Sonja Bröning und Urszula Martyniuk über 500 Bi+Personen aus ganz Deutschland zu ihren Erfahrungen befragt hat. Der Begriff schließt neben bi- auch Labels wie poly- oder pansexuell ein, steht also für Menschen, die sich zu mehr als einem Geschlecht hingezogen fühlen.
Obwohl sie zur größten der sexuellen Minderheitsgruppen gehören, gaben knapp 95 Prozent der Bi+Befragten an, sich in ihrer Sexualität entweder nie, selten oder nur manchmal sichtbar zu fühlen. Je nach Geschlecht der Partnerperson würden Bisexuelle meist entweder hetero- oder homosexuell gelesen. »Monosexismus« nennt Korinth die Annahme, dass es für jede Person nur ein »richtiges« Geschlecht geben könne.
Die häufigste Strategie gegen die Unsichtbarkeit sei ein Coming-Out, wobei sich unter den Befragten lediglich 49 Prozent häufig, 34 Prozent nur manchmal und 17 Prozent selten bis nie outen. Fehlende Sichtbarkeit werde unter Umständen nämlich auch als Vorteil wahrgenommen, zum Beispiel als Schutz vor Diskriminierung.
Auch das Verhältnis zur queeren Szene hat Korinth untersucht und sei überrascht gewesen, »dass so viele Menschen von Doppeldiskriminierung berichtet haben«, also auch in der LGBTIQ-Szene diskriminiert zu werden – die englische Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans, Inter* und Queers. »Das hat mich schockiert, denn die queere Szene sollte ja eigentlich ein Schutzraum sein«, sagt Korinth. Dabei hat sie dieselbe Erfahrung auch schon gemacht, als sie in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung und viel in der lesbischen Szene unterwegs gewesen war.
Solche Abwertung treffe härter, als wenn sie aus der Mehrheitsgesellschaft kommt und erschwere es Bi+Personen, gleichgeschlechtliche Beziehungen einzugehen. So sind 43 Prozent der Studienteilnehmer*innen in gemischtgeschlechtlichen Partnerschaften und 32 Prozent Single. Korinth selbst habe beinahe 15 Jahre gebraucht, »bis ich begriffen habe, dass ich mich nicht entscheiden muss«. Ein männliches Date mit zu einer queeren Party nehmen – das sei für sie aber noch immer unvorstellbar.
Ohnehin würden weiblich gelesene Bi+Personen eher als heterosexuell wahrgenommen. Das monosexistische Denken nehme also meist dasjenige Begehren an, das sich auf Männer richtet. »Das Patriarchat arbeitet mit«, so Korinth. Genauso sei es bei der Fetischisierung von Bi+Frauen: Sie seien besonders von dem Vorurteil betroffen, hypersexuell zu sein, also beispielsweise Lust auf »Dreier« zu haben. Ihre eigentlichen Bedürfnisse würden nicht ernst genommen oder instrumentalisiert. Zudem seien sie häufiger von sexueller Gewalt betroffen.
Schließlich gebe es noch das Stereotyp, Bisexuelle könnten ihren Partner*innen nicht treu sein, weil sie permanent auch das Bedürfnis nach einer Person anderen Geschlechts hätten. »Dafür gibt es überhaupt keine Beweise«, stellt Korinth klar. Dennoch sei auffällig, dass 46 Prozent der für die Studie interviewten Personen nicht monogam lebe. Offene Beziehungen könnten also durchaus ein Mittel sein, um die eigene »Bi+Identität sich selbst und anderen gegenüber zu behaupten«, heißt es in der Publikation. Problematisch daran sei eher, dass auch diese Lebensweise gesellschaftlich abgewertet wird.
Über 70 Prozent von Korinths Studienteilnehmerinnen wünscht sich mehr Sichtbarkeit, und viele von ihnen gaben an, diese im Engagement bei einer queeren Gemeinschaft zu finden. Gerade deswegen sieht Korinth auch die LGBTIQ-Community in der Verantwortung, für bi+spezfische Herausforderungen zu sensibilisieren. Genau wie die Unsichtbarkeit der eigenen Identität ist laut ihrer Studie auch doppelte Diskriminierung ein Stressfaktor, der sich nachweislich schädlich auf die psychische und physische Gesundheit von Bi+Personen auswirkt.
Müller wünscht sich außerdem mehr Vorbilder, die offen über ihre Bisexualität sprechen – so wie Korinth es bei der Bi+Pride in Hamburg am kommenden Samstag nun tun wird.
Anmerkung: Dieser Artikel erschien in ausführlicher Form zuerst auf Siegessaeule.de.
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