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Tarifflucht: Mit schlechtem Beispiel voranstraucheln
Felix Sassmannshausen über verheerende Signale durch Tarifflucht mit öffentlichen Mitteln
Gut die Hälfte der Unternehmen, die vom Bund mit Hoheitsaufgaben betraut werden, ist nicht tarifgebunden. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Arbeitsbedingungen dort per se schlecht sind. Aber wenn sie es sind, können Beschäftigte oft nur schwer etwas dagegen unternehmen; im schlimmsten Fall sind sie mit knallhartem Widerstand der Arbeitgeberseite konfrontiert.
Das zeigt der Fall des Bundesanzeiger-Verlags: Dort streiken Beschäftigte seit 90 Tagen für einen Haustarifvertrag, doch die Leitung blockiert. Verdi wirft dem Unternehmen gewerkschaftsfeindliche Methoden vor. Zuletzt wurde eine Beschäftigte, die sich an einem Streik beteiligte, entlassen (sie soll sich der Körperverletzung durch Verwendung einer Trillerpfeife schuldig gemacht haben).
Das ist ein verheerendes Signal: Wenn Unternehmen, die öffentliche Aufgaben übernehmen, nichts zu befürchten haben, wenn sie sich weigern, Tarifverträge abzuschließen, warum sollten sich dann Unternehmen im »freien Markt« darauf einlassen? Wenig überraschend, dass sich die Tarifbindung seit Jahren im Sinkflug befindet.
Da hilft es auch nicht, sich als Regierung die Stärkung der Tarifbindung auf die Fahnen, beziehungsweise in den Koalitionsvertrag zu schreiben. Erst recht, wenn man sich bei jedem kleinsten Schritt nach vorn, wie im Fall des Tariftreuegesetzes, von der Blockadepartei FDP ein Bein stellen lässt. Statt »Mehr Fortschritt wagen« hätte der Koalitionsvertrag eher »Mit schlechtem Beispiel voranstraucheln« lauten sollen.
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