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Landraub und Zerstörung

Wie Israel gegen die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland vorgeht

  • Jara Nassar, Zanuta und Jabal Al-Makhrour
  • Lesedauer: 8 Min.
Ein Palästinenser inspiziert die Schäden im Dorf Zanuta. Am 21. August kehrten die Bewohner*innen zurück, sie waren zuvor vor der Gewalt der israelischen Siedler*innen geflohen.
Ein Palästinenser inspiziert die Schäden im Dorf Zanuta. Am 21. August kehrten die Bewohner*innen zurück, sie waren zuvor vor der Gewalt der israelischen Siedler*innen geflohen.

»Jeden Tag ist das hier so.« Der Junge zeigt auf die Drohne, die über uns schwebt. Ihr Sirren klingt wie das einer Mücke, aber sie ist wesentlich gefährlicher: Drohnen gehören entweder Siedler*innen oder der israelischen Armee. Sie werden eingesetzt, um palästinensische Gemeinden zu überwachen und einzuschüchtern. Insgesamt zähle ich in meinem knapp fünfstündigen Aufenthalt acht Drohnen, die über uns hinwegfliegen.

Khirbet Zanuta, oder einfach Zanuta, ist ein kleines palästinensisches Beduinendorf am südlichsten Zipfel des Westjordanlands. Massafer Yatta, wo der preisgekrönte Dokumentarfilm »No Other Land« gedreht wurde, liegt nur wenige Kilometer entfernt. Wie Zanuta gibt es viele Dörfer in dieser kargen Landschaft, die sich über steinige Hügel erstreckt und deswegen auch South Hebron Hills genannt wird: Ein paar Häuser, ein paar Familien, die vor allem von der Viehzucht und Arbeit in nahegelegenen Städten wie Yatta und Hebron leben und seit Jahrzehnten unter dem Ausbau der israelischen Siedlungen sowie der konstant ansteigenden Siedlergewalt leiden.

Im Oktober 2023 verließen die Bewohner*innen Zanutas wegen der eskalierenden Siedlergewalt ihr Dorf. Nun sind sie zurückgekehrt – in das, was davon noch übrig ist. Wir besuchen Zanuta mit einer kleinen Gruppe. Für Shaniyat, einem Journalisten aus New York, und mich ist es das erste Mal, die anderen drei jüdisch-israelischen Aktivist*innen kommen seit Jahren regelmäßig. »Ich war total politisiert, als ich mit 18 hierherkam«, sagt Becca, »aber auf die falsche Art.« Sie erzählt, wie sie mit 18 Jahren als glühende Zionistin nach Israel zog und zwei Jahre in der Armee diente, bevor sie zu der Auffassung gelangt ist, dass die Besatzung ein historisches Unrecht darstellt. Mittlerweile arbeitet sie seit zwölf Jahren daran, den Schaden wiedergutzumachen, den sie in ihrer Jugend mit der Unterstützung Israels angerichtet hat. Später berichtet sie von ihrer Furcht als baldige Mutter, einen Jungen in einer militarisierten Gesellschaft großzuziehen.

Auf den Ruinen einer Schule werden wir mit starkem arabischem Kaffee begrüßt. Die Schule wurde einst mit EU-Geldern erbaut und Ende 2023 zusammen mit zehn weiteren Häusern abgerissen. Man weiß nicht mit Sicherheit, wer die Zerstörung angerichtet habe, erzählen Aktivist*innen. Man weiß allerdings, dass ein fanatischer israelischer Siedler im Besitz eines Baggers ist, der für den Abriss von Häusern benutzt wird. Der Mann wohnt ganz in der Nähe. Eine Untersuchung der angerichteten Schäden wird es nicht geben: Die israelische Politik und die Behörden ignorieren die Gewalt von israelischen Siedler*innen gegenüber Palästinenser*innen systematisch.

Zanuta ist von mehreren israelischen Siedlungen umgeben. In knapp 500 Metern Entfernung befindet sich das Industriegebiet Metarim, dessen Solaranlagen in der Sonne funkeln. Es kommt regelmäßig vor, dass EU-Staaten oder europäische Organisationen palästinensischen Dörfern Solaranlagen als Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen, die dann von israelischen Soldaten zerstört oder beschlagnahmt werden. Derzeit verweigert Israel Zanuta eine Anbindung ans Stromnetz.

Auf einem nahen Hügel befindet sich ein sogenannter israelischer Outpost – ein paar Wohnwagen auf einem Hügel als Vorposten einer Siedlung. Eigentlich sind diese oft von fanatischen Zionisten errichteten Camps auch unter israelischem Recht illegal, doch sie stehen unter dem Schutz der Armee. Von der israelischen Regierung werden sie zunächst ignoriert, nach einiger Zeit aber legalisiert und als »Stadtviertel« in die bestehende Siedlung integriert. Daraufhin entwirft Israel einen Bebauungsplan für das neue »Viertel« der nun unter israelischem Recht legalen Siedlung und erweitert das annektierte Land mit staatlich geförderten Häusern, in denen jüdische Israelis zu stark subventionierten Preisen leben können. Auf diese Weise erweitern sich die Siedlungen konstant auf palästinensischem Land, die bisherigen Bewohner*innen werden dagegen verdrängt.

Mit einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom Juli ist das nicht vereinbar. Die höchsten Richter*innen der UN erklärten im Juli, dass jegliche israelische Siedlung auf besetztem Land illegal sei. Und damit auch jedes Wasserversorgungssystem, jede Solaranlage und jedes öffentliche Gut für Siedler*innen. Ressourcen des besetzten Landes dürften folglich ausschließlich zum Wohle der Palästinenser*innen benutzt werden, doch Israel erlaubt Siedler*innen den Bau von Schwimmbädern, während Regenwasserkanister von Beduinen von der Armee zerstört werden.

Fährt man von Zanuta eine halbe Stunde Richtung Norden und biegt kurz vor dem Checkpoint nach Jerusalem ab, kommt man nach Jabal Al-Makhrour, die Heimat einer der ältesten christlichen Gemeinden der Welt. Es liegt östlich von Bethlehem und südlich von Jerusalem zwischen den israelischen Siedlungen Har Gilo und Beitar Illit. Jabal Al-Makhrour wurde 2014 als Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen und unmittelbar danach auf die Liste der bedrohten Stätten gesetzt.

Früher stand hier zwischen Olivenhainen das Restaurant der Familie Kisiya, eine christliche französisch-palästinensische Familie. Vom Restaurant sind aber nur noch Trümmer übrig: Es wurde 2012, 2013, 2015, 2016 und 2019 jeweils von israelischen Streitkräften zerstört. Seit 2019 wurden mehr als 20 Gebäude auf dem Land der Familie Kisiya abgerissen.

Ende Juli stürmten bewaffnete Siedler*innen erneut das Land der Familie und versuchten, sie gewaltsam zu vertreiben. Alice Kisiya rief die Polizei, doch die israelischen Kräfte erklärten ein benachbartes Gebiet zum geschlossenen Militärbereich und verbaten der Familie den Zugang zu ihrem Land – die Siedler*innen hingegen durften bleiben.

Am 14. August verkündete dann der rechtsextreme israelische Finanzminister, Bezalel Smotrich, der zugleich zuständig für den Siedlungsbau im Westjordanland ist, eine israelische Bebauung auf dem Unesco-geschützten Land der Kisiyas. Smotrich erklärte, die neue Siedlung sei zusammen mit vier anderen als Strafaktion für die Anerkennung Palästinas durch fünf Staaten gedacht. Im Mai hatten sich Norwegen, Spanien und Irland dazu bekannt, im Juni folgten Slowenien und Armenien. Israel hat sich daraufhin vorgenommen, eine neue Siedlung pro Anerkennung zu bauen.

Dass Israel Palästinenser*innen für die internationale Unterstützung bestraft, ist keine Seltenheit. Nach dem Gutachten des IGH zur illegalen israelischen Besetzung im Westjordanland startete Israel Ende August die größte und gewaltsamste militärische Operation im Westjordanland seit der Blockade Dschenins 2002. Bei der Operation zerstörte Israel Straßen, schnitt die Wasser- und Elektrizitätsversorgung für Zehntausende Menschen ab. Die Armee belagerte Krankenhäuser und tötete mindestens 50 Palästinenser*innen.

Die Kisiyas erbauten zusammen mit israelischen und internationalen Aktivist*innen ein Zelt auf ihrem Land, in dem sie einen mehrtägigen Sitzstreik abhielten. Anfang September löste die israelische Armee den Protest gewaltsam auf. Mehrere Personen, darunter Alice Kisiya und ihre französisch-israelische Mutter Michelle, wurden von der israelischen Armee verhaftet.

Hausabrisse sind eine häufige Methode, mit der Israel das palästinensische Leben im Westjordanland einschränkt. Die Abrisse können als kollektive Bestrafung ausgeübt werden. Häufig sind die Angeklagten schon getötet, oder sie sitzen in israelischen Gefängnissen. Die Zerstörung dient dann der Abschreckung. Dabei wird oft die ganze Familie des Angeklagten obdachlos. Häuser werden aber auch unter einem bürokratischen Vorwand abgerissen. Bei Gebäuden, die nach der Besatzung des Westjordanlands inklusive Ostjerusalems 1967 erbaut wurden, behaupten die israelischen Behörden meistens, diese seien ohne Genehmigung errichtet worden. Tatsächlich gestatten die israelischen Behörden so gut wie nie palästinensische Bauanträge, was es den Menschen quasi unmöglich macht, legal zu bauen.

Als »illegales Bauwerk« gilt dabei manchmal schon ein Sonnenschutz, den die Bewohner*innen Zanutas über eines der zerstörten Häuser ausbreiteten. Sechs bewaffnete israelische Soldaten kamen während meines Besuchs und zwangen die Bewohner*innen, den Sonnenschutz zu entfernen.

Bei Gebäuden, die älter als die Besatzung sind, bringen die Behörden dagegen verschiedene Vorwände vor. In Zanuta behauptet Israel beispielsweise, dass die Häuser auf archäologischen Stätten erbaut worden seien. Die Definition einer archäologischen Stätte wird dabei oft weit gefasst, um eine Abrissgenehmigung für unliebsame palästinensische Häuser zu erhalten. Für historische palästinensische Bauten gilt ein solcher Schutz dagegen nicht, die werden oft geschleift, um den israelischen Siedlungsbau voranzutreiben. Nicht wenige Mitglieder der Knesset fordern sogar, den Al-Aqsa-Komplex auf dem Jerusalemer Tempelberg abzureißen, weil sie dort einen neuen Tempel errichten wollen.

Die Realität im Westjordanland sieht oft so aus: Wurde ein palästinensisches Haus vor der Besatzung errichtet, steht es auf einer archäologischen Stätte, wurde es danach erbaut, ist dies ohne Genehmigung erfolgt. Passen keine der beiden Vorwände, werden andere Gründe herangezogen: In Al-Walaja, ganz in der Nähe Jabal Al-Makhrours, wurden beispielsweise zwei Häuser zerstört, weil sie zu nah an der Mauer stehen, die Israel entlang der Grenze zum Westjordanland auf dem palästinensischen Territorium errichtet hat. Dabei wurde die Grenzanlage erstellt, als die Häuser bereits standen. Überall gibt es im Westjordanland Beispiele für einen aggressiven Siedlungsbau.

»Diese Politik hat das Ziel, dass wir unser Land verlassen«, sagt Alice Kisiya, die bereits seit mehr als 20 Jahren für ihre Rechte kämpft und jetzt womöglich ihr Land endgültig verloren hat »Wir sind erschöpft, sowohl finanziell als auch emotional. Aber wir werden nicht aufgeben«, verspricht sie.

Neue Siedlungen sind als Strafaktion für die Anerkennung Palästinas gedacht. Im Mai hatten sich Norwegen, Spanien und Irland dazu bekannt, im Juni folgten Slowenien und Armenien. Israel baut jetzt eine neue Siedlung pro Anerkennung.

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