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- Mietenwahnsinn in Berlin
»Manne« kann bleiben
Das Landgericht Berlin verwirft ein Räumungsurteil gegen einen 85-Jährigen
Nach der Gerichtsverhandlung vor dem Landgericht Mitte in der Littenstraße ist die Erleichterung groß. Zwar ist bis Redaktionsschluss noch kein Urteil ergangen, aber nach der Verhandlung ist klar: Das Urteil des Amtsgerichts Wedding, dass der 85-jährige Manfred Moslehner seine Wohnung räumen muss, wird keinen Bestand haben. Auch »Manne« selbst ist erleichtert: »Ich bin wieder voll im Leben«, sagt er noch im Flur des Gerichts zu »nd«. »Eine kleine Feier« werde es schon geben, so der 85-Jährige.
Moslehner wohnt seit seiner Geburt in einem Reihenhaus in der Reinickendorfer »Siedlung am Steinberg«. Die Häuser der Siedlung wurden vor 14 Jahren vom Wohnunsgunternehmen GSW an die Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft mbH verkauft. Das Unternehmen will die schmucken Häuschen sanieren und teuer verkaufen. Von ursprünglich rund 40 Mieter*innen sind nur noch 18 übrig. Von den Altmieter*innen seien nur drei ausgezogen, berichtet Hartmut Lenz, der auch in der Siedlung wohnt, »nd«. Der Rest sei entweder verstorben oder ins Altersheim gegangen. »Weil wir überaltert sind«, wie Lenz sagt.
Auch Moslehners Haus soll modernisiert werden, inklusive Mieterhöhung von voraussichtlich 1360 Euro. Bei knapp 1000 Euro Rente wäre das für Moslehner unbezahlbar. Der Vermieter wollte, dass er für die Dauer der Bauarbeiten seine Wohnung räumt. Weil der 85-jährige Mieter diese Modernisierung nicht geduldet haben soll, kündigte die Eigentümergesellschaft ihm am 5. Oktober 2023 den Mietvertrag. Die Verhandlung am Dienstag war schon die dritte im Jahr 2024 zu der Moslehner antreten musste. Einer seiner Unterstützer, Steffen Doebert, sagt im Gespräch mit »nd«, dass das Mietrecht nicht vor »Mürbemachtechniken« schütze. »Diesen Psychoterror stehen Menschen nicht durch.« Auch Moslehner selbst ist erschöpft: »14 Jahre, da baut man schon ab.«
»Es ist klar, dass das Thema für Herrn Moslehner für die Zukunft nicht ausgestanden ist.«
Henrik Solf Anwalt von »Manne« Moslehner
Noch bevor die Verhandlung losgeht, ermahnt die Vorsitzende Richterin die zahlreich anwesenden Zuschauer, dass sie weder Unmuts- noch Beifallsbekundungen hören wolle. »Ich möchte gar nichts hören von Ihnen«, sagt sie. Was dann folgt, ist eine Abrechnung mit dem Verhalten des Eigentümers und Vermieters von Moslehner. »Streng nach Gesetz und Rechtssprechung«, wie sie betont.
Das fängt schon mit der Modernisierungsankündigung an. Aus dieser ergebe sich nicht, warum Moslehner sein Haus für die Bauarbeiten räumen müsse. Außerdem habe das Amtsgericht »ohne jeden Anhalt« angenommen, dass sich ohne solche Maßnahmen der Gebäudezustand verschlechtere. Alle angekündigten Arbeiten seien solche, für die niemand aus seiner Wohnung ausziehen müsse. Insbesondere angekündigte Fassaden- und Dacharbeiten hätten ohne Gewährung von Zutritt zur Wohnung durchgeführt werden können.
Überhaupt seien Vermieter dazu verpflichtet, Bauarbeiten so zu gestalten, dass auf Mieter*innen Rücksicht genommen wird. Die Richterin bringt auch an, dass bei älteren Mieter*innen eine andere Rücksichtnahme vonnöten sei als etwa bei jungen alleinstehenden Personen. Und die Vermieterseite wusste um die Situation von Moslehner. Eine fachärztliche Stellungnahme des Sozialpsychiatrischen Dienstes Reinickendorf, die vom Mieterverein übersandt wurde, enthielt die Diagnose, dass Moslehner depressiv ist. »Spätestens dann hätte die Klägerin die Bauplanung anpassen müssen«, so die Richterin.
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Zusammenfassend erklärt die Richterin, die klagende Eigentümergesellschaft habe Moslehner ohne Rechtsgrundlage mit Verlangen überzogen, die ihr nicht zustehen. Die Anwältin der Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft mbH erklärte lediglich, man werde das Urteil auswerten und prüfen – sowohl für dieses Verfahren als auch für andere Mieter*innen der Siedlung.
Er habe die Verhandlung mit Freude aufgenommen, sagt Moslehners Anwalt Henrik Solf. Aber: »Es ist klar, dass das Thema für Herrn Moslehner für die Zukunft nicht ausgestanden ist.« Denn die vom Gericht vorgetragene Begründung lasse Raum für weitere Versuche, Modernisierungen in der Wohnung seines Mandanten durchzuführen.
Was das für die anderen Mieter*innen bedeute, könne er nicht sagen. Denn auch die weiteren Altmieter*innen der Siedlung haben Stress mit dem Eigentümer, wie etwa die 71-jährige Angelika Dörnbrack, die zusammen mit ihrem Ehemann seit 1993 in der Siedlung wohnt. Aktuell läuft keine Klage gegen sie, zuletzt wurde aber entschieden, dass sie eine Dachsanierung dulden müssen. Seither hat sie vom Vermieter nichts mehr gehört. Sie sagt, dass sie Angst habe, dass man sie wie bei Moslehner aus der Wohnung rauskriegen wolle, um diese dann teuer zu verkaufen oder zu vermieten. »Sagen Sie mir, wohin! Jeder kennt doch die Wohnungssituation in Berlin.«
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