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Die B3 übt Toleranz

Ortstermin Süd-Kampfbahn: Wie in Leipzig jugendliche Fußballer in Sachen Vielfalt und Demokratie geschult werden

  • Ullrich Kroemer, Leipzig
  • Lesedauer: 7 Min.
Mit modernen Mitteln: Die Spieler des JFV checken einen QR-Code zum Thema auf dem Smartphone.
Mit modernen Mitteln: Die Spieler des JFV checken einen QR-Code zum Thema auf dem Smartphone.

Eigentlich hätte das B3-Jugendteam des JFV Neuseenland an diesem Mittwochabend im Nieselregen auf dem Platz trainieren sollen. Doch die Übungseinheit der Teenager wird diesmal im Dachgeschoss des historischen Vereinsgebäudes auf dem Gelände der Süd-Kampfbahn ausgetragen. Statt Hütchen und Toren haben die Veranstalter von der IVF Leipzig Stuhlkreis, Flipchart-Tafel, Leinwand und Beamer aufgebaut. »Diskriminierung im Fußball« lautet der Titel des Workshops – eine Sondereinheit Toleranz, Vielfalt und Demokratie für die 15- und 16-Jährigen vom JFV, der ein Zusammenschluss von Vereinen aus dem Leipziger Süden und dem benachbarten Markkleeberg ist.

IVF ist die Abkürzung für Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball, wie Workshopleiter Dennis Schmitt den jugendlichen Teilnehmern erklärt. Die gemeinnützige Organisation wurde jüngst vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) mit dem renommierten Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet, weil sie seit 15 Jahren eigeninitiativ wichtige Bildungsarbeit im sächsischen Nachwuchsfußball betreibt. Als eine der wenigen Projekte in Sachsen sensibilisiert die IVF nicht Multiplikatoren, sondern arbeitet direkt mit den Jugendlichen. Im Fußballkontext macht das sonst keiner im Freistaat.

JFV-Trainer Marcel Leß hat Cola, Fanta und Sprite besorgt; die Spieler trudeln nach und nach ein. Leß stellt seine Einheit gern für die zwei Stunden Antidiskriminierungs-Training zur Verfügung. »Die Jungs wissen manchmal nicht, was beleidigend ist und was einfach so daher gesagt, weil sie das Gefühl dafür noch nicht haben«, sagt der Coach. Gegenspieler etwa würden im Spiel schonmal anhand ihrer Hautfarbe benannt. »Ich sage dann immer: Der Spieler hat auch eine Rückennummer, anhand derer ihr ihn bezeichnen könnt«, berichtet Heß. Das sei keine absichtliche Diskriminierung, sondern geschehe »eher unbewusst«.

Auch die Beleidigung von Schiedsrichtern ist ein Thema und komme auch im Nachwuchs-Spielbetrieb vor. »Da fallen schonmal blöde Sprüche oder Beleidigungen gegen den Schiedsrichter«, beobachtet der Nachwuchstrainer.

Der JFV Neuseenland ist einer von sieben Vereinen, die an dem IVF-Programm »Ein Verein für alle« teilnehmen, bei dem Mannschaften von der C- bis zur A-Jugend kontinuierlich mit Bildungsangeboten begleitet werden und auch Vereinsverantwortliche hinsichtlich vielfältiger Vereinskultur geschult werden. »Diese Philosophie ist wichtig für den JFV Neuseenland; bei anderen Vereinen, in denen ich trainiert habe, war das gar kein Thema«, sagt Leß. »Ich halte es für sinnvoll, dass diese Gespräche überall mehr auf die Tagesordnung genommen werden.«

Er selbst hätte sich auch für den Workshop interessiert, darf aber nicht teilnehmen, weil sich Spieler*innen ohne Trainer bisweilen besser können und ohne Autoritätsperson im Raum freier sprechen können. Durchaus nachvollziehbar, doch auch für Trainer, Schiedsrichter und andere Ehrenamtler wären mehr Workshops wie dieser sinnvoll.

In der vergangenen Saison mussten laut DFB 909 Fußballspiele in Deutschland wegen Gewalt oder Diskriminierung abgebrochen werden. Etwa 1,5 Millonen Spiele werden jährlich unter dem Dach des Verbandes ausgetragen, bei fast 4000 Partien wurden Gewaltvorfälle im Spielbericht verzeichnet, bei 2520 Partien Diskriminierung. Die Dunkelziffer der nicht gemeldeten Vorfälle dürfte weitaus höher liegen. Wie der Sächsische Fußballverband (SFV) mitteilte, kam es 2023/24 in Sachsen zu 71 Diskriminierungsfällen bei Spielen – so viel wie in den vergangenen zehn Jahren nicht; 13 Spiele mussten wegen Gewalt und/oder Diskriminierung abgebrochen werden. Gewaltvorfälle jedoch nahmen im Vergleich zur Vorsaison massiv ab.

Das Team der Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball, Dennis Schmitt ist der Dritte von rechts.
Das Team der Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball, Dennis Schmitt ist der Dritte von rechts.

Um auch vom Knowhow der IVF zu profitieren, wird nun auch der SFV ab 2025 erstmals mit der IVF kooperieren, wie ein Verbandssprecher auf nd-Anfrage bekannt gab. Es gehe dabei um die »Ausweitung der Netzwerke, Informationsaustausch, Wissenstransfer, Qualitätssicherung und die Integration passender Workshops der IVF in die SFV-Angebote«.

Seit 2020 ist im sächsischen Verband eine Person als Referentin für Antidiskriminierung und Gewaltprävention hauptamtlich tätig. Viel zu wenig bei etwa 900 Vereinen und rund 60 000 Spielen pro Jahr. »Hier würden wir uns deutlich mehr staatliche/politische Unterstützung bei Personal und Finanzierung wünschen, denn die Förderung von Demokratie, Vielfalt und Toleranz ist nicht allein Aufgabe eines Fachverbandes«, teilte der SFV mit.

Doch zurück zum Workshop der B3-Jugend. Die Lust, sich nach einem langen Schultag zwei Stunden mit Antidiskriminierung zu beschäftigen, ist bei einigen anfangs überschaubar. Er habe schon zwei Veranstaltungen dieser Art besucht, sagt der Vizekapitän des Teams, deswegen hätte er lieber gekickt. Doch dass es Bedarf gibt, Ausgrenzung zu thematisieren, sehen die Spieler allesamt ein. Einer berichtet von einem Vorfall in der D-Jugend, als ein Akteur des Vereins einen Gegenspieler nach einem Foul aufgrund seines Gewichts beleidigt hatte und deswegen mit Rot vom Platz geflogen und für mehrere Spiele gesperrt worden war. Auch Trainer Leß hatte zuvor von diesem Ereignis berichtet: »Die Rote Karte ist auch eine Form des Lernens, doch es wäre mir lieber gewesen, er hätte das nicht gesagt, dann hätte er niemanden beleidigt und wäre nicht vier, fünf Spiele ausgefallen, wenn er das vorher mal beigebracht bekommen hätte.«

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Nach der Vorstellungsrunde ziehen die Workshop-Leiter von der IVF die Teenager mit einem ausführlichen Quiz ins Thema hinein. Anhand von Bildern, Videos und Schilderungen werden verschiedene Arten von Diskriminierung kategorisiert. Bei einer Frage ist das bekannte antisemitische Banner von Fans von Energie Cottbus zu sehen, die Anhänger von Dynamo Dresden als Juden bezeichnen und damit schmähen wollen. Nach jeder Antwort wird kurz über die Motive dieser Diskriminierung diskutiert. Die jugendlichen Fußballer sind aufgeschlossen, beteiligen sich motiviert und sind ziemlich fit bei dem Thema. Einer aus der Gruppe weiß, wie Diskriminierung gegenüber Personen mit Behinderung bezeichnet wird: Ableismus.

Dazwischen werden immer wieder auch Diskussionsfragen eingebaut, bei denen sich die Teilnehmer zum Beispiel darüber Gedanken machen, warum es gerade im Frauenfußball sinnvoller ist, von Team statt Mannschaft zu sprechen. Auch Sprache kann Barrieren bilden. Ein Teilnehmer ist des Deutschen noch nicht so mächtig, als dass er dem Workshop folgen könnte; ein Mitspieler setzt sich neben ihn und übersetzt sozusagen simultan ins Englische. Auch das ist Teamgeist.

Neben der allgemeinen Sensibilisierung und einer Einführung in das Thema erhalten die Teilnehmenden im zweiten Teil des Abends auch ganz konkrete Handlungsempfehlungen: Wie soll man sich verhalte, wenn jemand auf dem Platz diskriminiert wird? Eine Videoszene von 2013 wird gezeigt, in der Kevin Prince Boateng und seine Mitspieler vom AC Milan nach rassistischen Beleidigungen geschlossen den Platz verließen. Politikwissenschaftler Dennis Schmitt, einer von drei hauptamtlichen Mitarbeitern der IVF, sieht darin einen der Schlüsselmomente des Workshops. »Hier tauschen die jungen Leute sich oft innerhalb des Teams zum ersten Mal miteinander darüber im Detail aus: Wie würden wir das eigentlich machen? Was haben wir für Möglichkeiten? Was brauchen die betroffenen Personen?«

Für Schmitt und seine Kollegen waren die vergangenen Wochen turbulent. Es gab einerseits durch die Verleihung des Julius-Hirsch-Preises viel Aufmerksamkeit und Anerkennung, andererseits aber war das Projekt in seiner Existenz bedroht. Wegen der andauernden Koalitionsgespräche und der unklaren politischen Lage in Sachsen entscheidet die Sächsische Aufbaubank erst ab Mitte 2025 über die Förderung neuer Projekte des Programms »Weltoffenes Sachsen«, durch das sich die IVF bisher vor allem finanzierte.

Da die Förderung stets nur maximal drei Jahre andauert, müssen sich auch bestehende Initiativen nach Ablauf der Förderung stets neu bewerben. Nun hieß es, dass es auch rückwirkend keine Förderung geben werde und Projekte nach Zustimmung erst im Herbst 2025 ihre Arbeit aufnehmen können. Das sächsische Sozialministerium teilte auf Anfrage mit, dass 56 neue Anträge eingegangen seien, die nun allesamt zunächst keine Förderung erhalten. Lediglich die 59 Projekte, die bereits bewilligt waren, werden mit insgesamt 6,3 Millionen Euro weiter finanziert.

Das hätte für die IVF bedeutet, dass von eigentlich vier hauptamtlichen Stellen höchstens eine hätte weiter finanziert werden können – aus Rücklagen. Doch aufgrund einer glücklichen Fügung wurden die Leipziger am vergangenen Montag auch bei einer Preisverleihung der Fondsgesellschaft Union Investment unter mehr als 200 Bewerbern als Leuchtturmprojekt ausgezeichnet und erhielten dafür 30 000 Euro. Genug, um die wichtige Arbeit an der Fußballbasis erst einmal weiterführen zu können.

Um die Programme ausbauen zu können und mehr Vereine zu erreichen, bräuchte es jedoch noch deutlich mehr Mittel und Förderung. Wie wichtig Toleranztraining und Sensibilisierung gerade im Vereinssport sind, zeigt sich überall. Als Spieler einer anderen Mannschaft das Vereinsheim der Süd-Kampfbahn verlassen, frotzeln diese Teenager lautstark untereinander: »Verpiss dich hier, du hast hier nichts verloren!« Es ist auch und gerade im geschlossenen Raum des Sportvereins-Umfeldes ein schmaler Grat zwischen blöden Sprüchen und Diskriminierung.

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