Ampel-Aus: Vorwärts in die Vergangenheit?

Mit dem Ampel-Aus stehen wir vor der Wahl zwischen national-konservativer Konterrevolution und echter links-grüner Politik

  • Klaus Dörre
  • Lesedauer: 6 Min.
Die FDP wirkte schon länger wie eine Opposition auf der Regierungsbank. Wahlpolitisch ist ihr das schlecht bekommen.
Die FDP wirkte schon länger wie eine Opposition auf der Regierungsbank. Wahlpolitisch ist ihr das schlecht bekommen.

Das Ende der Ampel-Koalition in Berlin fällt mit zwei Ereignissen zusammen, deren politische Bedeutung kaum zu überschätzen ist: dem Comeback Donald Trumps und der Prognose des EU-Beobachtungsprogramms Copernicus, dass die 1,5-Grad-Schwelle bei der Erderhitzung 2024 »ziemlich sicher« überschritten wird.

Beginnen wir mit den Berliner Ereignissen. Ungeachtet der öffentlich ausgetragenen Fehde um den Stil des Koalitionsbruchs gilt: Das Ampel-Aus war überfällig. Die Dreier-Allianz hatte sich anfangs als Koalition präsentiert, die bei der Umsetzung der Agenda 2030, auf die sich die Weltstaatengemeinschaft geeinigt hatte, eine Vorreiterrolle beanspruchte. Aussichten auf grünes Wachstum und eine ökologisch erneuerte Wirtschaft einten Koalitionäre, die allerdings gegensätzliche Strategien verfolgten. Grüne und SPD setzten auf einen Staat, der Märkte als ideeller Gesamtkapitalist selbst schafft. Das geht nicht ohne Planung und vor allem nicht ohne öffentliche Investitionen in Milliardenhöhe, die mit der Schuldenbremse nicht zu realisieren sind.

Die FDP favorisierte hingegen das politische Arsenal eines marktgetriebenen Finanzkapitalismus. Ließen sich die programmatischen Gegensätze anfangs noch überbrücken, traten sie mit dem Ukraine-Krieg, dem Wegfall von billigem russischen Gas, der Inflation und den Wohlstandsverlusten vor allem der unteren Einkommenshälfte offen hervor. Fortan wirkte die FDP wie eine Opposition auf der Regierungsbank. Wahlpolitisch ist ihr das schlecht bekommen: Die Freidemokraten müssen trotz unverhältnismäßig großer medialer Präsenz um ihre parlamentarische Existenz fürchten.

Deshalb hat sich die Führungsriege der FDP mehrheitlich zu einem Befreiungsschlag entschlossen, der – zu Recht – zu einer politischen Richtungsentscheidung aufruft. Das Lindner-Papier für eine »Wirtschaftswende Deutschland« ist tatsächlich eine Scheidungsurkunde, deren Umsetzung Grünen und SPD die politische Selbstaufgabe abverlangt hätte. Die FDP will die Unternehmenssteuern senken und Investitionen in Bundeswehr, Infrastruktur und Digitalisierung durch Einsparungen beim Klimaschutz und beim Bürgergeld ermöglichen. An die Stelle einer »vertikalen Industriepolitik« soll eine marktbasierte, technologieoffene Angebotspolitik treten. Die besondere Förderung erneuerbarer Energien soll beendet werden, die vermeintliche »Überregulierung« etwa durch ein Tariftreue- und ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gestoppt und die Arbeitszeit verlängert werden. Beim Klimaschutz soll Deutschland nicht länger »Vorreiter«, sondern »Vorbild« sein, unter anderem durch »Abschaffung von unnötigen klimapolitischen Regulierungen und Subventionen« und Auflösung des Klima- und Investitionsfonds (KTF).

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Das Lindner-Papier plädiert letztendlich für eine sozial-ökologische Konterrevolution. Es ist prokapitalistisch, aber in wichtigen Aussagen nicht mehr neoliberal. Zwar entspricht es der alten Utopie des Kapitals, der zufolge eine möglichst regelungsfreie Wirtschaft ein Optimum an Wachstum und Wohlstand garantiere. Aber es ruft zugleich nach einem starken Staat. Das gilt neben den Rüstungsplänen vor allem für das ohnehin rigide Migrationsregime, das laut Lindner-Papier weiter verschärft werden soll. Wie Grenzkontrollen und Abschreckung von Migranten zu einem Wirtschaftsmodell passen, das zumindest innerhalb der EU auf Freizügigkeit und grenzüberschreitender Mobilität beruht, bleibt ein Geheimnis der FDP-Führungsriege. Kein Wunder, dass der Verkehrsminister mit seinem Parteiaustritt der Lindner-Crew indirekt staatspolitische Verantwortungslosigkeit bescheinigt.

Um es klar zu sagen: Was die FDP-Führungsriege vorschlägt, bedeutet eine Annäherung an eine national-konservative Politik, die große Schnittmengen nicht nur mit der Merz-Söder-Union, sondern auch mit der AfD enthält. Darin liegt die eigentliche politische Herausforderung: Gelingt einem national-konservativen Block, dessen inhaltliche Grenzen zur extremen Rechten immer durchlässiger werden, der Sprung an die Macht? Oder kommt es zu einer echten Nachhaltigkeitswende, die klarstellt, dass Klimaschutz und Erhalt der Artenvielfalt bei Ausblendung sozialer Gerechtigkeit nicht zu haben sind?

Statt verpassten Chancen zur Einigung hinterherzutrauern und zu postulieren, dass eine Einigung selbst unter Wahrung der Schuldenbremse möglich gewesen wäre, wie Robert Habeck argumentiert, sollte die gesellschaftliche und politische Linke innerhalb wie außerhalb der Regierung die anstehende Richtungsentscheidung ernst nehmen.

Dazu wäre im ersten Schritt zu korrigieren, was vor allem für die Grünen einen Genickbruch bedeutete. Die grüne Politik leidet nicht nur an einem Vermittlungsproblem, und längst nicht alle Fehler sind auf die Führungsschwäche des Kanzlers zurückzuführen. Das Hauptproblem der rot-grünen Koalitionäre ist, so die Wahrnehmung vieler, dass sie ökologische Nachhaltigkeitsziele unter Ausblendung sozialer Gerechtigkeit betrieben haben. Wo ist das Klimageld geblieben? Welche Sicherheitsgarantien gibt es für jene, die beim Umbau der Industrie ihre Jobs verlieren werden? Wie verhalten sich Krieg und geplante Aufrüstung zu ökologischer Nachhaltigkeit? Diese Fragen haben die rot-grünen Koalitionäre unbeantwortet gelassen. Nicht das sozial-ökologische Umbauprogramm mit seinen Themen ist ihr Hauptproblem, sondern die Inkonsequenz, mit der sie es vorangetrieben haben.

Deshalb liegt die Chance einer linken Opposition jenseits von Rot-Grün nicht in der Vermeidung oder gar in der affektgesteuerten Abwertung ökologischer Zielsetzungen, wie sie sich auch beim BSW findet. Für ökologische Großgefahren wie den Klimawandel gilt: Werden sie zeitweilig verdrängt, schlagen sie etwa in Gestalt von Wetterextremen umso heftiger auf die Gesellschaften auch der reichen Länder zurück. Die Unwetter, die in der spanischen Region Valencia Hunderte das Leben kosteten, deuten die Zustände an, wenn wir – wie gegenwärtig wahrscheinlich – auf ein 2,4- oder gar ein 2,8-Grad-Erderhitzungsszenario zusteuern.

Was AfD, CDU/CSU und FDP wollen, bedeutet unnötigen Zeitverlust und höhere Kosten für den sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft. Die Neue Volksfront in Frankreich hat trotz aller internen Streitigkeiten gezeigt, was dem entgegenzusetzen ist: »Tax the Rich!« und Nutzung der Einnahmen für den sozial-ökologischen Umbau lautet ihr Programm, mit dem sie als Siegerin aus den zurückliegenden Parlamentswahlen hervorgegangen ist. Dass der gesellschaftliche Reichtum auch in Deutschland gerechter verteilt werden könnte, meint hierzulande nahezu jeder und jede. Doch kaum jemand glaubt, der Linken könnte eine Umverteilung von den Stärksten zu den Schwachen wirklich gelingen. Deshalb konnte die extreme Rechte die Oben-unten-Konflikte in Auseinandersetzungen zwischen »Innen« und »Außen«, zwischen »autochthoner« Bevölkerung und vermeintlich integrationsunwilligen Migranten umdeuten.

Ethnisierende Deutungen der sozialen Frage sind in Teilen der Bevölkerung inzwischen fest verankert. Umso wichtiger ist, dass diese mittels besserer Politik allmählich wieder an Glaubwürdigkeit verlieren. Die Linke kann nur erfolgreich sein, wenn sie sich zur politischen Trägerin einer Nachhaltigkeitsrevolution macht, die ökologische und soziale Zielsetzung gleich gewichtet. Eine solche Zielsetzung ist die einzig zukunftstaugliche Antwort auf jene Weltordnung, die mit Donald Trump neu entstehen wird.

Dem erwartbaren Neomerkantilismus der USA und der geplanten Exportoffensive Chinas – wieder einmal – allein mit den Kräften des Marktes begegnen zu wollen, ist lächerlich. Die CO2-Bepreisung, wie sie Liberale und Konservative befürworten, bietet Anschauungsunterricht: Sind die CO2-Preise zu niedrig, haben sie für Unternehmen keine Lenkungswirkung; sind sie zu hoch, belasten sie vor allem die unteren und mittleren Einkommensschichten und treiben diese in die ausgebreiteten Arme der ökologischen Konterrevolution.

Dagegen hilft nur eine linke Politik, die utopischen Überschuss mit politischem Realismus verbindet. Dazu gehört, dass gängige Feindbilder korrigiert werden. Die Linke jenseits der Ampel hatte sich lange auf einen grünen Kapitalismus eingeschossen, dessen Verwirklichung nun in den Sternen steht. Das hat die transformierende Linke unfähig gemacht, die radikale Rechte im tagespolitischen Geschäft erfolgreich zu bekämpfen. Dass die AfD bei den zurückliegenden EU- und Landtagswahlen jeweils mit Abstand stärkste Arbeiterpartei wurde, ist ein Alarmsignal. Werden die Signale gehört, dann kann die Zukunft – wenn auch noch nicht bei den kommenden Bundestagswahlen und keineswegs zwingend innerhalb bestehender Parteigrenzen – links-grün sein.

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