System Of A Down: Eine Wut, die weitergeht

Frontmann aus Versehen: Serj Tankian, Sänger von System Of A Down, hat eine Autobiografie veröffentlicht

  • Matthias Penzel
  • Lesedauer: 6 Min.
Eigentlich war er Fan von Cure und Depeche Mode: Serj Tankian
Eigentlich war er Fan von Cure und Depeche Mode: Serj Tankian

Bereits der Name war von Anfang an seltsam, fremd, verstörend: System Of A Down. Der ursprüngliche Vorschlag, das Quartett Victims of a Down zu nennen, also »Opfer eines Unten«, wurde schnell verworfen, als 1994 die beiden Gitarristen Daron Malakian und Serj Tankian in Glendale, Kalifornien, eine neue Band gründeten. Denn ihre Sache hat System. Das überzeugte auch den Bassisten Shavarsh Odadjian und den Schlagzeuger Ontronik Khachaturian.

Sie alle sind Kinder armenischer Einwanderer, und ihre Musik sollte lauter und krasser als die der allermeisten anderen Bands sein. Ihre Eltern waren Flüchtlinge und Vertriebene aus Syrien, Irak, abgelegenen Gebieten der Türkei und der ehemaligen UdSSR. Denkwürdig sind auch die Bärte und Frisuren. Ihre Musik ist noch mehr durcheinander, nicht einzuordnen, einfach verdammt unordentlich: gegen den Strich mit Baritongesang und pathetisch, hardcore-brutales Abbrettern, dann wiederum folkloristisch bis zur Schnulze, wie kostümiert für die nächsten Takte. Unvorhersehbar und atemlos. Das erzeugte bei den Plattenfirmen viel Unsicherheit. Wie sollte man das vermarkten? Nur der Produzent Rick Rubin sagte: »Musik für oder von Irren, also total mein Fall.« Hart wie ein Brett, Breaks wie Gewitter und dauernd unvermittelte Wechsel wie bei Black Sabbath.

Serj Tankian sah mit ulkigem Bart aus wie Frank Zappa, sang aber nicht so. Und auch nicht wie Ozzy Osbourne von Paranoia, Kriegsschweinen, Megalomanie und Sucht. Ein komischer Typ. Bei der Bandgründung fast 30, die anderen Anfang 20. Mehr ein Agitator als Musiker oder Sänger oder Texter. Tankian kam mit Metal nur zufällig in Berührung, weil ihn, den Fan von Depeche Mode und Cure, eine Freundin zu einem Konzert von Iron Maiden mitnahm. Er fand es okay.

Inhaltlich waren die vier aber auf einer Linie. In ihren Songs ging es um Krieg und Gerechtigkeit, Bomben und Verlust, um Leben und Tod. Und ganz konkret um das Eliminieren eines Volkes: den Genozid an den Armeniern. Die Songs waren Appelle für Anerkennung, Wiederherstellung und Wiedergutmachung. Zum ersten Auftritt hielt Drummer Khachaturian am Anfang ein Laken hoch, darauf stand: »1915. 1,5 Millionen. Always Remembered«. Das war und ist der Kitt, der die Band ausmacht: die Massaker 1915/16 an den Armenien im Osmanischen Reich. Von Mehrheiten verschwiegen, von Tätern und Nachfahren dementiert, und von der Türkei bis heute nicht anerkannt.

Nun hat Sänger Serj Tankian seine Autobiografie veröffentlicht: »Down with the System«. Seinetwegen tritt die Band nur noch selten auf. Er mag das Touren nicht, wurde eher versehentlich der Frontmann und kann mit dem Rockstar-Klimbim eh nix anfangen. Und auch nicht mit dem Geschäft: Er weigerte sich in Russland, vor großem Publikum von Putin begrüßt zu werden.

Das erste Drittel von »Down with the System« dreht sich um den Genozid in Armenien. Viele Episoden handeln von Tankians Großeltern, die ihn überlebten. Es geht auch um die Katastrophen der 1890er Jahre, um Pogrome mit vielen Details über die Vertreibung und um die anhaltende Wut darüber, nicht nur über Erdoğans Politik heute. Ein spannendes Buch. Erwartungsgemäß atypisch für eine Rockstar-Autobiografie. Tankian wurde 1967 in Beirut geboren. Wegen des libanesischen Bürgerkriegs floh seine Familie ohne den Vater 1975 nach Los Angeles.

Trotz oder wegen der Schwere ihrer Themen sind System Of A Down eine Band, die es krachen lässt, die Managern auf der Nase rumtanzt und lauter Unerhörtes macht (krasse Filme, Plattenfirma erpressen, CDs wie Bootlegs veröffentlichen, ohne konzernimmanenten Copy-Schutz). Und dann flüstert, singt, rast, greint und schreit Serj Tankian – zu mehrfach gestählten Riffs und hammerhartem Sound, mal pathetisch wie für armenische Volksmusik, mal hymnisch, dann mit Urschrei. Er singt das, was Jesus einst sprach: »Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!« Eine markante Stelle aus Lukas, 23:46, rasend vorgetragen, wie vom Stroboskop zerhäckselt.

Der Songtext insgesamt ist zum besseren Verständnis voller Wiederholungen, kaleidoskopisch arrangiert, sodass einem gegen Ende dämmert, worum es geht. Komischerweise weiß es nicht jedes Kind: Es geht um »Chop Suey!«, ihren großen Hit. In den Konferenzräumen der Branche nennt man das nicht einen Bestseller, sondern ein Monster. Um die 12 Millionen Mal hat sich das Album verkauft, bei Youtube wurde der Song 1,4 Milliarden Mal aufgerufen.

Das Album kam in die Plattenläden, nachdem wenige Tage zuvor Selbstmordattentäter mit entführten Passagiermaschinen in New York ins World Trade Center geflogen waren. Großes Aufatmen bei der Plattenfirma, vom eigentlich geplanten Songtitel »Suicide« abgeraten zu haben. Komposition und Songtext blieben wie gedacht, nur das Wort »Suicide« wurde in der Mitte zerhackt, vulgo: »Chop Suey!«, englisch für zerhackt.

Man kann einen ganzen Tag damit verbringen, die Youtube-Beiträge über diesen Song zu sichten und zu analysieren, wie dessen Texturen, Video und Text seziert wurden. Therapeuten, Gesangscoaches und Influencer filmten sich, wie sie aufstehen und schreien müssen, wenn sie dieses Lied hören. Dabei ist der Text noch verstörender. Kurzversion: Stirbt jemand, nachdem er lange krank war, sind alle erleichtert; ist eine Person aber mental so leidend, dass sie es nicht aushält, dann gilt der Freitod als egoistische, als »selbstgerechte« Tat. Manchen Influencer*innen kommen da die Tränen, sobald diese Erkenntnis ankommt. Im Song ist sie kaleidoskopisch arrangiert, verschachtelt und wiederholt.

Tankians 350-Seiten-Autobiografie ist exakt auf dieser Wellenlänge. Dass er gut schreiben und Dinge auf den Punkt bringen kann, wurde am 11. September 2001 deutlich, als er auf der Website der Band seinen Essay »Understanding Oil« veröffentlichte. Die Idee war, den Amerikanern, die zumindest auf CNN fassungslos schrien: »Warum hassen sie uns so sehr?«, eine Antwort zu liefern. Das kam nicht gut an. Dieser Text wurde dann wieder von der Website runtergenommen.

Tankian aber denkt über vieles sehr lange nach. Das hat er schon als Kind so gehalten, erzählt er in »Down with the System«. Die USA sind für ihn »weniger ein faktischer Ort als eine Idee«, und der sogenannte Amerikanische Traum erscheint ihm wie eine Achterbahnfahrt, bei der einem auch schlecht werden kann, wenn es gerade bergab geht.

Anscheinend ist es aber ein Vorteil, mit mehreren Sprachen aufzuwachsen, denn dann sei man sensibilisiert für die Nuancierungen, für das, was Worte kaum merklich transportieren. Tankian lernte erst spät Englisch, als dritte oder vierte Sprache. Politisch ist er kritisch links, da verwundert es nicht, wenn er Noam Chomsky und Howard Zinn erwähnt, aber auch Gustave Flaubert und den hierzulande nur wenig bekannten großen armenisch-amerikanischen Schriftsteller William Saroyan – und natürlich die anderen aus der Band. Von Rock ’n’ Roll-Exzessen ist dabei kaum die Rede.

Serj Tankian: Down with the System. A Memoir (of Sorts). Hachette Books, 352 S., br., 14,99 €.

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